Ich hatte das Portrait noch keine zwei Minuten in der Hand, als die schöne Künstlerin zurückkehrte.
»Nur Jemand, der nach dem Gemälde kommt,« sagte sie, um ihre schnelle Entfernung zu entschuldigen. Ich sagte ihm, daß er warten solle.«
»Ich fürchte, daß Sie es für eine Impertinenz halten werden,« sagte ich, »daß ich es gewagt, ein Gemälde anzusehen, welches der Maler der Wand zugekehrt hat; darf ich eben fragen —«
»Es ist eine sehr große Impertinenz, Sir,I und ich bitte Sie daher, nichts weiter darüber zu fragen, denn Ihre Neugier wird nicht befriedigt werden,« antwortete sie, in dem sie sich bemühte, die Strenge ihres Tadels mit einem Lächeln zu verdecken — ich konnte aber an ihrer erhitzten Wange und ihrem funkelnden Auge sehen, daß sie sich ernstlich ärgerte.
»Ich wollte nur fragen, ob Sie es selbst gemalt hätten,« fragte ich, indem ich ihr das Gemälde verdrießlich überließ, denn sie nahm es mir ohne alle Umstände aus der Hand, stellte es schnell wieder mit der Vorderseite nach der Wand in den dunkeln Winkel, das ändere wie früher dagegen und wendete sich dann lachend zu mir.
Ich war aber in keiner scherzhaften Laune; ich wendete mich nachlässig nach dem Fenster und blickte in den Garten hinaus, indem ich sie ein paar Minuten lang mit Rosa sprechen ließ, sagte dann, daß es Zeit zum Gehen sei, schüttelte dem Kleinen die Hand, verbeugte mich kühl gegen die Dame und bewegte mich der Thüre zu.
Nachdem Mrs. Graham jedoch von Rosa Abschied genommen, hielt sie mir die Hand hin und sagte mit sanfter Stimme und keineswegs unangenehmem Lächeln:
»Lassen Sie die Sonne nicht über Ihrem Zorne untergehen, Mr. Markham; es thut mir leid, daß ich Sie durch meine Unfreundlichkeit beleidigt habe.«
Wenn sich eine Dame herabläßt, Entschuldigungen zu machen, so ist es natürlich unmöglich zornig zu bleiben. Wir trennten uns also zum ersten Male als gute Freunde und diesmal gab ich ihrer Hand einen herzlichen und nicht einen malitiösen Druck.
Sechstes Kapitel.
Fortschritte.
In den nächsten vier Monaten trat weder ich in Mrs. Grahams Haus noch sie in das unsere, dessenungeachtet aber fuhren die Damen fort über sie zu sprechen und dessenungeachtet machte unsere Bekanntschaft, wenn auch nur langsame, Fortschritte. Was ihr Gerede betraf, so bewies ich demselben nur geringe Aufmerksamkeit — wenn es sich auf die schöne Einsiedlerin bezog, meine ich — und die einzige Belehrung, welche ich dadurch erhielt, war die, daß sie sich an einem schönen, frostigen Tage hinausgewagt und ihren kleinen Knaben bis zum Pfarrhause mitgenommen hatte, wo unglücklicher Weise Niemand als Miß Milward zu Hause war. Trotzdem war sie lange dort geblieben und Beide hatten, allen Berichten nach, viel miteinander gesprochen und sich mit dem gegenseitigen Wunsche, wieder zusammenzutreffen, getrennt. — Mary hatte aber die Kinder gern und zärtliche Mamas lieben diejenigen, welche ihre Schätze gehörig würdigen.
Mitunter sah ich sie aber auch selbst — nicht nur wenn sie in die Kirche kam, sondern auch wenn sie mit ihrem Sohne im Freien war und entweder einen langen entschlossenen Spaziergang mit ihm machte, oder — an besonders schönen Tagen gemächlich über das Moor oder das öde Weideland um die alte Halle her hinstreifte und mit einem Buche in der Hand dahinging, während ihr Knabe um sie her sprang, und bei allen diesen Anlässen wußte ich es, wenn ich sie auf meinen einsamen Spaziergängen oder Ritten erblickte oder meinen ländlichen Geschäften folgte, meist so einzurichten, daß ich mit ihr zu sammentraf oder sie einholte, denn ich fand Behagen daran, Mrs. Graham zu sehen und mit ihr zu sprechen und entschiedene Freude am Plaudern mit ihrem kleinen Gefährten, an dem ich, nachdem einmal das Eis seiner Schüchternheit gebrochen war, einen recht liebenswürdigen, intelligenten und unterhaltenden kleinen Burschen fand, und wir wurden bald vortreffliche Freunde, inwiefern zur Zufriedenheit seiner Mama, kann ich mich nicht zu sagen erkühnen. Ich argwöhnte anfänglich, daß sie kaltes Wasser über diese zunehmende Vertraulichkeit zu schütten, — so zu sagen, die auflodernde Flamme unsrer Freundschaft zu verlöschen wünschte — als sie aber endlich, trotz ihrer Vorurtheile gegen mich, entdeckte, daß ich vollkommen harmlos war und selbst gute Absichten hatte, und daß ihr Sohn von der Bekanntschaft mit mir und meinem Hunde viele Freuden hatte, die er sonst nicht gekannt haben würde, so hörte sie endlich auf, Einwendungen dagegen zu machen, und bewillkommnete mich selbst, wenn ich erschien, mit einem Lächeln.
Was Arthur betraf, so schrie er mir seinen Gruß schon von ferne zu und lief mir wohl fünfzig Schritt von der Seite seiner Mutter her entgegen. Wenn ich zufällig zu Pferde war, so machte er immer einen Trab oder Galopp darauf mit, oder wenn sich eines von den Zugpferden in nicht zu großer Entfernung befand, so machte er einen langsamen Ritt darauf, der ihm fast eben so gut gefiel.
Aber seine Mutter folgte und ging stets neben ihm her — ich glaube nicht sowohl um zu sehen, daß er nicht zu Schaden komme, als um zu verhindern, daß ich seinem Kindergeiste keine ihr unangenehmen Gedanken einflößte, denn sie war immer auf ihrer Hut und gestattete nie, daß er ihr aus dem Gesichte kam.
Was ihr am besten gefiel, war, ihn mit Sancho spielen und wettlaufen zu sehen, während ich neben ihr hin ging — ich fürchte allerdings, nicht aus Vorliebe für meine Gesellschaft — obgleich ich mich zuweilen auch mit dieser Idee schmeichelte — als wegen der Freude, die es ihr machte, ihren Sohn mit denjenigen Leibesübungen beschäftigt zu sehen, welche für seinen zarten Körper so stärkend waren, die er aber doch ans Mangel an einem seinem Alter entsprechenden Spielgefährten so selten genießen konnte. Und ihre Freude wurde vielleicht auch nicht wenig durch den Umstand versüßt, daß ich bei ihr und nicht bei ihm und daher unfähig war, ihm direkt oder indirekt, absichtlich oder unabsichtlich Uebles zuzufügen — wofür ich ihr jedoch wenig dankte.
Mitunter glaube ich aber, daß es ihr wirklich etwas Vergnügen machte, mit mir zu sprechen, und an einem schönen Februarmorgen legte sie bei einem zwanzig Minuten langen Gange aus dem Moor ihre gewöhnliche Rauhheit und Zurückhaltung ab, und begann ein ordentliches Gespräch mit mir, bei dem sie mit solcher Beredtsamkeit und Tiefe des Gedankens und Gefühles von einem Gegenstande sprach, der glücklicher Weise mit meinen eignen Ideen übereinstimmte, wobei sie so schön aussah, daß ich bezaubert nach Hause ging und auf dem Wege — moralisch —— zusammenschrack, als ich mich bei dem Gedanken ertappte, daß es, Alles recht bedacht — am Ende doch besser sein würde, wenn man seine Tage mit einer solchen Frau verlebte, als mit Elise Milward — und dann erröthete ich — figürlich — über meine Unbeständigkeit.
Als ich in das Wohnzimmer trat, fand ich dort Elisen bei Rosa, aber sonst Niemand. Die Ueberraschung war mir nicht ganz so angenehm, wie sie hätte sein sollen. Wir plauderten lange Zeit zusammen, aber ich fand sie im Vergleich mit der reiferen und ernsteren Mrs. Graham etwas frivol und selbst etwas abgeschmackt, — ach, über die menschliche Beständigkeit!
Ich dachte jedoch, ich darf Elisen nicht heirathen, da meine Mutter so sehr dawider ist, das Mädchen aber auch nicht mit der Idee täuschen, daß ich es im Sinne habe. Wenn nun diese Laune anhält, so werde ich um so weniger Schwierigkeiten haben, mich von ihrer milden, aber unausgesetzten Herrschaft zu befreien, und wenn auch gegen Mrs. Graham so viele Einwendungen vorhanden sein sollten, so wird es mir am Ende doch gestattet sein, wie die Aerzte ein größeres Uebel durch ein kleineres zu heilen denn ich denke nicht, daß ich mich ernstlich in die junge Witwe verlieben werde, — noch sie in mich — das ist gewiß — wenn ich aber etwas Vergnügen an ihrer Gesellschaft finde, so mag es mir wohl gestattet sein, es zu suchen, und wenn der Stern ihrer Gottheit glänzend genug ist, um die Strahlen von dem Elisens zu verdunkeln, dann ist es um so besser, — aber ich kann es kaum glauben.
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