Mit einem giftig-süßen Lächeln auf den Lippen straffte sie sich, rückte ihre Robe zurecht, fuhr sich durch ihr langes, seidig schimmerndes Haar und war wieder die Dunkle Königin, Herrscherin über die Verbannten, Gebieterin ihrer Gefühle. Nichts konnte sie aufhalten. Gefasst und siegessicher trat sie aus der Kammer in den steinernen Palisadengang hinaus.
Die Wände waren aus massivem Granit gebaut. Wie ein Fort, eine Trutzburg, die dereinst jedem Ansturm standhalten würde. Aber noch war es nicht soweit. Noch brauchte es Vorbereitung und weitere Planung. Und es brauchte die Menschen. Diese unerschöpfliche Welt.
Sie brauchten Nahrung und Waffen, Handwerker, Schmiede, Bauleute. Und es brauchte Informationen. Ein Netzwerk, das sich über die Welt spannte, um über jedwede Entwicklung, die ihr Vorhaben betraf, auf dem Laufenden zu sein.
Menschenseelen waren so schwach und anfällig. Ein Fingerschnipsen reichte, um sie sich dienstbar zu machen, ihren Willen zu brechen, sie als brave Marionetten auf dem Schachbrett zu positionieren und nach ihren Wünschen zu verschieben. Es wurde Zeit, die Figuren zu wählen.
Die Schritte der Dunklen Königin hallten durch die Gänge und fingen sich im Turm der Wendeltreppe, als sie im Stechschritt hinabstieg. Das erste Mal, seit sie in Tara angekommen war und den Bau ihrer Trutzburg begonnen hatte, verließ Bandorchu ihre neue Heimstatt, trat aus dem schützenden Wall heraus, um sich unter die Menschen zu mischen. Gänzlich allein. Durch ihre eigene Macht geschützt.
Der Weg ins Dorf war nicht weit. Nach ein paar hügeligen Wiesen und Feldern tauchten die kleinen Hütten und Höfe vor ihr auf. Ein typisch irisches Idyll. Durchdrungen von Schafdung und schalem Ale. Die Menschen hier liebten es einfach, herzlich und streitlustig, so viel wusste Bandorchu über das Volk der Koboldfreunde und Freiheitskämpfer.
Mit erhabenem Gang stieg sie sicheren Schrittes über die Moosfelder der Weide, öffnete das Gatter und trat wie selbstverständlich hinaus auf die Dorfstraße.
Die Sonne neigte sich dem westlichen Horizont zu, um sich niederzulegen. Die Bauern waren dabei, ihr Tagwerk zu beenden, die Tiere zurück in ihre Ställe zu bringen, sie zu füttern und schließlich an das eigene Wohl zu denken. Wer nicht daheim bei seiner Familie hocken musste, ging unter Leute. Mit dem schwächer werdenden Licht wurden die Menschen redselig und gesellig.
Doch als die Dunkle Königin in ihrer weißen, beinahe durchsichtigen Robe, ihrem glatten, strahlendblonden Haar und ihrem zartelfischen Antlitz die erste Häuserzeile erreichte, kam die dörfische Welt zum Stillstand.
»Oh, wie wunderschön«, hauchte eine Bäuerin, die gerade dabei gewesen war, ihre Wäsche abzuhängen.
»Ist das ein Engel, Mama?«, fragte das Kleinkind an ihrem Rockzipfel.
Die Männer hingegen plusterten ihr imaginäres Gefieder, reckten die Köpfe, streckten die Brust heraus und strichen sich das Hemd über ihrer Bierwampe zurecht. Ein besonders eifriger Kerl eilte herbei, zog seine Kappe vom Kopf und verbeugte sich, als wäre Bandorchu eine Balldame und er ihr ergebener Tanzpartner.
»Was fürne Ehr’, so ne hübsche Dame hier zu ham«, sagte er und lächelte sein schönstes Zahnlückenlächeln.
Doch die Dunkle Königin war nicht unterwegs, um sich Schmeicheleien abzuholen. Es gab viel zu organisieren. »Wer ist der Krämer an diesem Ort? Wer der Fleischer? Und wer hat einen ordentlichen Karren mit kräftigen Pferden, um mir die gewünschten Güter zu transportieren?«, fragte sie mit klarer, lauter Stimme.
Die Männer sahen sich an und wirkten unschlüssig. Bis auf den buckelnden Speichellecker wollte sich keiner näher wagen. Also schob sich Bandorchu die Ärmel links und rechts bis zu den Ellenbogen hinauf, ließ die Finger einmal knacken, bevor sie erst nach der Magie in der Erde und dann nach den Seelen dieser Dummköpfe griff.
Einen nach dem anderen band sie an sich, machte sie alle zu ihren hörigen Opfern, raubte ihnen die Sinne und stahl ihnen ihren Willen. Genau wie es der Springgans zuvor bei dem Schäferjungen getan hatte, um ihr Zahnstocher zu besorgen.
Ihre Magie floss in schwarzvioletten Strängen zu jedem einzelnen, der sich im Umkreis von fünfzehn Metern auf der Straße befand. Ganz egal, wie sehr die Frauen und Kinder aus der Ferne protestierten oder schrien, die Männer ließen alles stehen und liegen, wandten sich ihrem neuen Mittelpunkt zu und folgten ihrem Ruf.
»Irwin! Wo willst du denn hin, Irwin?«, rief eine Alte ihrem Mann nach.
Der Greis kam in schleppendem Gang auf Bandorchu zu, ohne zu antworten oder sich auch nur nach seiner Frau umzudrehen. Sein Gesicht zeugte von jahrzehntelanger harter Arbeit bei Sonne, Regen und Sturm. Fasziniert betrachtete die Dunkle Königin die tiefen Furchen in seiner Haut. Ledrig und spröde, fast wie Baumrinde wirkte sie. Doch Bandorchu konnte spüren, dass in seinen Knochen noch reichlich Leben steckte.
Seine großen klobigen Hände baumelten seitlich aus abgetragenen Ärmelenden. Zwei gut geschulte Werkzeuge, die blind ihre Arbeit verrichten konnten.
»Was ist dein Talent?«, fragte die Dunkle Königin, als er vor ihr stehenblieb.
»Ich bin Fuhrmann. Ich transportiere das Holz, ziehe mit meinen Gäulen die Baumstämme aus dem Wald, säubere sie von Ästen und bring sie rüber in die nächste Stadt ins Lager oder direkt zum Verladebahnhof, wenn’s Holz weiter weg reisen soll«, antwortete der Mann gehorsam.
»Sag mir deinen Namen, Fuhrmann«, befahl Bandorchu mit zuckersüßer Stimme, während die Alte immer noch keifte und zeterte.
»Liam«, kam die prompte Antwort.
»Dann hör mir gut zu, Liam«, sprach sie und fasste seinen Kopf mit beiden Händen. »Du gehörst jetzt mir. Du wirst tun, was immer ich wünsche, bis ich dir etwas anderes befehle.« Erneut ließ sie die Magie aus sich heraus strömen, ihn umschlingen und schließlich in ihn dringen. Zielsicher bahnte sich ihr Zauber den Weg zum Zentrum seines Denkens und Handelns und hinab in sein Herz und seine Eingeweide. All das würde von nun an danach schmachten, ihre Stimme zu hören und ihre Kommandos zu empfangen. In ihm gab es nur noch sie als Sonne, die er zu umkreisen hatte, und ein paar elementare Überlebensinstinkte, die ihn atmen und verdauen ließen.
»Du wirst meiner Spur folgen und uns all dein Holz bringen und was du sonst noch an Waren in deinem Lager hast. Aber vorher versorgst du uns mit so viel Essen und Wein, wie auf deinen Karren passt.« Mit einem bittersüßen Kuss auf seine Lippen besiegelte sie den Bannzauber. Er stöhnte auf. Von Grauen überwältigt und doch verzückt. Denn die Erkenntnis, gefangen zu sein, wich bereits bei seinem nächsten Atemzug aus dem Bewusstsein. Mit leergefegtem Verstand stand er da, während ihm eine letzte Träne über die Wange rann.
»Hexe! Seht, was sie gemacht hat! Sie ist eine verdammte Ausgeburt der Hölle!«, schrie die Alte und kam ihrem Mann mit hoch erhobenem Teppichklopfer nach.
Bandorchu hob belustigt die Brauen, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete ab. Ein bisschen Drama war nie verkehrt, als unterhaltsames Intermezzo.
»Seht ihr das denn nicht? Dass sie euch alle bezirzt?«, keifte die Frau, als sie heran war. Den Klopfer immer noch drohend erhoben, drehte sie sich, um die Umstehenden aufzurütteln. Doch die Blicke der Männer galten nur ihr – der Dunklen Königin Bandorchu.
»Schweig jetzt«, sagte sie, als die Alte immer lauter und hysterischer wurde. Eine Handbewegung reichte, um ihr die Stimme zu nehmen. Um ihr die Kehle zuzuschnüren und dann zuzudrücken.
Die Augen weit aufgerissen, die Hände an den Hals gelegt, keuchte die Greisin, kratzte sich die Haut auf bei dem verzweifelten Versuch, sich von dem unsichtbaren Henkersseil zu befreien, das sich von Sekunde zu Sekunde fester zuzog.
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