Die Sperlingskinder staunen nicht schlecht und eifrig wiederholt Heiner seinen Wunsch von vorhin. „Da wollen wir auch mal hin.“ Auffordernd schaut er Lisa an, denn sie würde sich, genau wie er, sofort in jedes Abenteuer stürzen. Doch auch Moni und Tine, die normalerweise viel zurückhaltender sind, unterstützen Heiner in seinem Wunsch.
Mit ihrer Fragerei bringen die Spatzenkinder die Eltern ganz schön ins Schwitzen. Lange können sie die ungeduldigen Spätzchen nicht mehr im Zaum halten.
Elise tschilpt: „Geduldet euch noch ein wenig. Erst wenn ihr ausgeflogen und selbstständig seid, könnt ihr euch auf einer Abenteuerreise die Tiere anschauen und auch aufregende Begegnungen mit Zoobesuchern haben. Doch jetzt schlaft schön.“ Sie behandelt die Jungen mit Nachsicht und wünscht ihnen eine gute Nacht.
Anton hat für sie auch noch einen tröstenden Tipp parat. „Und während ihr schlaft, könnt ihr ja schon einmal von euren Streifzügen durch den Zoo träumen.“
Allerdings hoffen Anton und Elise auf die Standorttreue, die Haussperlingen üblicherweise eigen ist, denn wie allseits bekannt ist, bleibt diese Vogelart gern in ihren angestammten Revieren und breitet sich nur vorsichtig in neuen Gebieten aus. Und gerade deswegen machen sich Anton und Elise vorerst keine Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder. Was soll dem Nachwuchs zu Hause schon passieren? Sie haben jedoch keine Ahnung, welcher Plan im Kopf der Kleinen heranreift.
Mit zunehmendem Alter der kleinen Haussperlinge rückt verständlicherweise der Termin zum Ausfliegen näher. Das helle Licht am Rand des Nestes zieht nicht nur den Jungen, sondern auch die drei Mädchen mächtig in seinen Bann. Heiner und Lisa sind kaum noch zu zügeln und auch die braven Mädchen Moni und Tine sind ganz flatterig. Ihr Flüggewerden steht wohl kurz bevor. Nun ist für Anton und Elise der Zeitpunkt gekommen, an dem sie von den Gefahren, die es außerhalb des Nistplatzes gibt, berichten müssen. Die letzten Abende im Nest nutzen sie, um die Jungen darüber aufzuklären.
Anton und Elise geben sich große Mühe, um ihre Ratschläge für ein langes und sorgenfreies Spatzenleben loszuwerden. Sie wissen aber auch, dass jeder junge Vogel eigene Erfahrungen sammeln muss. Doch die kleinen Spatzen überraschen ihre Eltern. Sie lauschen den wichtigen Verhaltensregeln ebenso aufmerksam wie vorher den merkwürdigen, jedoch unheimlich spannenden Erzählungen über den Zoo und seine Tiere.
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Die Ermahnungen der Spatzeneltern
Haben junge Vögel ihr Nest verlassen, sind sie keineswegs selbstständig. Obwohl ihnen einige Verhaltensweisen angeboren sind, müssen sie andere erst erlernen. Dabei ahmen sie entweder ihre Eltern nach oder sie probieren es selbst aus. Doch wie überall in der Natur wird auch manches Spatzenkind nicht alt.
Noch hocken Heiner, Lisa, Moni und Tine sicher im Nest, aber schon bald werden sie eine neue, für sie fremde Welt erobern, in der es natürlich viele Abenteuer, aber auch etliche Hindernisse geben wird. Anton und Elise machen die Kleinen nun auf verschiedene Gefahren, die ihr Leben draußen bedrohen können, aufmerksam und sie versuchen, ihnen für jede einzelne die richtige Verhaltensweise einzuschärfen.
Erfahrungsgemäß können junge Vögel nach dem Ausfliegen nicht gleich selbstständig Nahrung finden. Sie müssen erst lernen, welches Futter das richtige ist und an welchen Stellen sie es finden können. Auch gerade flügge gewordene Haussperlinge sitzen noch einige Zeit in der Gegend herum und warten darauf, dass die Eltern mit Futter zu ihnen kommen, um es ihnen in den Schnabel zu stecken. Doch in Menschennähe besteht das große Risiko, entdeckt zu werden.
„Setzt euch stets geschützt und am besten abseits hin, aber niemals inmitten von Besuchern“, legen Anton und Elise ihren Jungen als Erstes ans Herz. Sie können ein Lied davon singen, dass allzu oft scheinbar hilflose Vögel von Menschen in vermeintlich guter Absicht aufgesammelt und anschließend weggetragen werden. „Sollte euch das passieren, können wir euch nicht wiederfinden.“
Die Warnung zeigt Wirkung, denn erschreckt rücken die Kleinen enger zusammen. Aber schon erfahren sie von einer anderen Gefahr. Bekanntermaßen fühlen sich Haussperlinge von Tierställen magisch angezogen, weil sie ihnen eine willkommene Rundumversorgung bieten. Finden die Vögel Schlupflöcher in diese Unterkünfte, gehören sie sogar zu ihren angenehmsten Aufenthaltsorten. Doch vorerst fordern Elise und Anton, dass sich Heiner und seine Schwestern von Ställen fernhalten, obwohl sie später, wenn sie besser Bescheid wissen, von diesen profitieren werden.
Jetzt bekommen sie aber zu hören: „Fliegt nicht in unbekannte Tierhäuser! Die Stalltüren können unerwartet verriegelt werden und damit ist euer Weg nach draußen abgeschnitten.“
Die jungen Haussperlinge versprechen es.
Als Nächstes betonen die Sperlingseltern die Unfallgefahr, die Fensterscheiben bergen. Im Zoo gibt es schließlich eine Menge davon. „Gebt auf Glasscheiben acht!“, mahnen sie die Jungen und Elise erklärt, warum.
„Wenn ihr dagegenfliegt, könnt ihr euch schwer verletzen und im schlimmsten Fall kann der Zusammenstoß zum Tode führen. Da viele Tiergehege mit allerlei Sichtscheiben versehen sind, solltet ihr beim Fliegen stets aufmerksam die Umgebung betrachten. Später könnt ihr euch auch die Stellen mit den Glasscheiben einprägen.“
Mit ernsten Mienen betrachten Elise und Anton ihren Nachwuchs und müssen feststellen, dass den Spatzenkindern von den Neuigkeiten schon die Köpfe schwirren. Sie beschließen deshalb, dass es für heute genug Belehrungen gab. Mit leisem Zwitschern wiegen sie die Jungen in den Schlaf.
Erst am nächsten Abend geben Anton und Elise weitere Lektionen zum Besten. Die vier Spätzchen sind hellwach und lauschen wieder artig jedem gut gemeinten Ratschlag der Eltern.
Zuerst erklären Anton und Elise ausführlich die Vorzüge einer breiten und dicht gewachsenen Hecke. Naturgemäß ist sie ja der Lieblingsaufenthaltsort eines jeden Haussperlings, denn sie bietet überlebenswichtigen Schutz und ist der ideale Ausgangspunkt, von dem Haussperlinge im Gruppenverband zu den Nahrungsquellen und zum Staubbaden ausschwärmen können.
Elise fordert die Jungen auf, stets die Sicherheit einer Hecke zu suchen. „Wenn ihr auf uns wartet, dann dort. Von den oberen Zweigen könnt ihr bequem Ausschau halten, euch aber zum Schutz vor Feinden, die uns jagen und fressen wollen, schnell in das schützende Dickicht zurückziehen.“
Daraufhin erzählt Anton ausführlich von den Feinden. „Angreifer aus der Luft sind wendige Greifvögel wie Sperber, Habichte oder Turmfalken. Sie haben kräftige Füße mit scharfen Krallen. Seid ihr erst einmal in ihre Fänge geraten, gibt es keine Rettung.“ Er macht eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Dann fährt er fort. „Ein anderer Jäger lauert am Boden. Recht unauffällig schleichen sich Hauskatzen an, um blitzschnell ihre anvisierte Beute zu packen. So anschmiegsam wie Katzen auch tun, sie sind geschickte Vogelfänger, das ist altbekannt.“ Schließlich hebt Anton mahnend seine rechte Flügelspitze, um die Jungvögel daran zu erinnern, sich am besten im Schwarm zu halten. „Damit ist die Gefahr für den Einzelnen geringer“, begründet er.
„Und bei jedem Alarm müsst ihr euch schnell in einem Busch, einem Strauch oder in einer Hecke verstecken“, wiederholt Elise noch einmal.
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