Literatur
Aitchison 21994/97; Arntz/Picht/Schmitz 72014; Busse 2012; Croft/Cruse 62010; Engelberg/Rapp 2017; Gansel 2017; Konerding 1993; Rickheit/Weiss/Eikmeyer 2010; Roelcke 32010; Schwarz 32008; Staffeldt 2017; Ungerer/Schmid 22006; Ziem 2008.
2.3 Bedeutung und Grammatik
Bedeutung entsteht in Kommunikation keineswegs nur durch Wörter, sondern auch durch die Grammatiksowie die Situation, in der kommuniziert wird, also den Kontext der jeweiligen Äußerung. Dieser vereindeutigt zum Beispiel erst, ob ein Satz ironisch gemeint ist oder nicht. Damit steht Semantikin einem engen Verhältnis zur Grammatikwie auch zur Pragmatik.
Mit Löbner (2003: 21) kann man daher verschiedene Ebenen ansetzen, auf denen Bedeutung entsteht bzw. die bedeutsam sind (vgl. Kap. 2.6.4 mit Abb. 264a):
1 die lexikalische Semantik, d.h. die kontextfreie Bedeutung eines einzelnen Lexems;
2 die Wortbildungssemantik (kompositionale Semantik);
3 die Semantik der grammatischen Formen, die den Bedeutungsbeitrag der frei wählbaren grammatischen Formen beschreibt;
4 die Satzsemantik, die die Regeln beschreibt, die festlegen, wie die Bedeutungen der Komponenten in einem komplexen Ausdruck zusammenwirken;
5 die Äußerungssemantik, die die Mechanismen (zum Beispiel Bedeutungsverschiebungen) untersucht, welche Äußerungsbedeutungen ein Ausdruck im Kontext annehmen kann.
Im Folgenden soll überblicksartig auf die Ebenen 2 bis 4 eingegangen werden, um den Zusammenhang zwischen Bedeutung und Grammatikzumindest kurz zu skizzieren. In den Kapiteln zur Frame- und Script-Semantik mit ihren Bezügen zur Kasusgrammatik (2.2.4), zur Form- und Wortbildung (2.6.1), zu Phrasen und Sätzen (2.6.2), zur Bedeutung im sprachlich-kulturellen Vergleich (2.8) sowie zum Wortschatzerwerb (3.1) werden die Zusammenhänge von Semantik und Grammatik (-Erwerb) ebenfalls aufgegriffen.
Auf den ersten Blick mögen Semantik als Bedeutung und Grammatik als Struktur verschiedene Bereiche der Sprache betreffen, wie man auch das Fremdsprachenlernen oft als Lernen einerseits von Vokabeln, andererseits von Grammatik auffasst und kennengelernt hat. Jedoch sind beide Bereiche weniger klar getrennt, als ein eingeengter Fokus rein auf die lexikalische Semantik suggerieren mag; vielmehr gibt es eine deutliche Schnittmenge, einen Bereich, in dem die Grammatik auf vielfältige Art und Weise an der Bedeutungskonstitution mitwirkt.
Als Erstes mag man hier an die Wortbildungssemantikdenken. Im Bereich der Komposita-Bildung führt die (grammatische) Kombination zweier oder mehrerer lexikalischer Morpheme zu einer neuen Bedeutung, die zumeist mehr ist als die reine Addition der Teilbedeutungen der einzelnen Konstituenten. Eine Haustür mag leicht als ‚Tür ins Haus‘ identifizierbar sein, aber dieses Beispiel zeigt bereits, dass hinter Komposita verkürzte grammatische Strukturen liegen, die man entschlüsseln können muss, um die kompositionale Bedeutung der neuen Wortbildung, die auf den ersten Blick unterspezifiziert ist, korrekt zu erfassen. So kann man nicht der Wortbildung entnehmen, sondern muss diese Bedeutungsrelation konstruieren, dass ein Kalbsschnitzel zwar ein ‚Schnitzel ausKalbsfleisch‘ ist, ein Kinderschnitzel aber hingegen ein ‚Schnitzel fürKinder‘. Das Beispiel der Komposita zu Schuhen zeigt, dass weitere Relationen möglich sind: Lederschuh ‚Schuh ausLeder‘, Damenschuh ‚Schuh fürDamen‘, Turnschuh ‚Schuh zumTurnen‘. Auch im Bereich der Derivation erschließt sich Bedeutung über grammatisches Wissen um die Bedeutung von Wortbildungsmorphemen: So gilt es im Deutschen etwa zu beachten, dass das Suffix {-er} ein nomen agentis-Suffix sein kann, das eine Person bezeichnet ( Drucker ‚Person, die druckt‘), ebenso aber ein nomen instrumentalis-Suffix, das ein Gerät bezeichnet ( Drucker ‚Maschine, die druckt‘). Nur mit diesem Wissen um Grammatik können unbekannte bzw. neue Wortbildungen verstanden, aber auch produktiv gebildet werden. Auch bei den Präfixen findet sich diese Art von Wortbildungssemantik, etwa wenn man das Präfix {be-} mit der Bedeutung ‚mit etwas [Nomen] versehen‘ beschreiben kann, zum Beispiel in bebildern, benoten .
Nach Ulrich (2000: 10) ist die sichere Beherrschung von Wortbildungsregeln als rezeptive, produktive wie kreative Wortbildungskompetenz ein zentraler Bestandteil des mentalen Lexikons (vgl. Kap. 3.1) eines Menschen.
Erweitert man die Perspektive von der Wortbildung hin zum Satz, finden sich neben Wortbildungsmorphemen weitere bedeutungshaltige grammatische Formenwie etwa die Kategorien Singular/Plural, Kasus, Tempus(vgl. etwa die analytische Perfektbildung) oder Positiv/Komparativ/Superlativ, die grammatisch/morphosyntaktisch die lexikalische Bedeutung modifizieren. Hierbei ist zu beachten, dass grammatisch transportierte Bedeutung oft alternativ auch lexikalisch auf Wortebene ausgedrückt werden kann. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Tempus: Zukünftiges kann man zum Beispiel lexikalisch, etwa durch Adverbien oder andere Konstruktionen ( morgen, demnächst, in den nächsten Sommerferien ), als zukünftig darstellen, oder aber grammatisch durch das Tempus Futur. Gleiches gilt für modale Aspekte: Vermutungen können lexikalisch ( eventuell, vielleicht ) oder grammatisch (durch den Konjunktiv) ausgedrückt werden. Aber nicht alle grammatischen Formen sind (immer) relevant für die Satzbedeutung, da sie oft schlicht aus Gründen der Kongruenz stehen müssen und redundant sind. Die Satzbedeutung beeinflussen sie nur, wenn sie frei wählbar und damit unabängig von der syntaktischen Struktur und den daraus resultierenden Anforderungen sind (Löbner 2003: 16).
Dass man der Grammatik nicht grundsätzlich das Potenzial zuschreiben kann, Bedeutung auszudrücken, lässt sich auch am Genus-Systemdes Deutschen zeigen: Denn das grammatische Genus ergibt sich zum Teil nicht aus dem außersprachlichen Geschlecht (Sexus), sondern aus der morphologischen Struktur des Wortes, wie das viel zitierte Beispiel das Mädchen schnell verdeutlicht, bei dem im grammatischen Neutrum (wegen des Diminutivsuffixes {chen}) auf eine weibliche Person referiert wird. (Das Basislexem Maid ist hingegen natürlich feminin.) Die grammatische Kategorie Femininum bedeutet umgekehrt keineswegs, dass das Referenzobjekt weiblich wäre ( die Sonne , die im Französischen übrigens maskulinum ist: le soleil ), grammatisches und natürliches/biologisches Geschlecht sind nicht kongruent. Dennoch ist die Genus/Sexus-Kongruenz in indoeuropäischen Sprachen signifikant und es gibt Versuche, die Semantik des deutschen Genussystems als ansatzweise systematisch zu beschreiben, wenn etwa im Bereich der Bezeichnungen für Tiere starke, große Tiere eher maskulinum sind ( der Löwe, der Tiger, der Bär ), kleine und Nutztiere hingegen femininum ( die Gans, die Kuh, die Maus ) oder neutrum ( das Huhn, das Schwein ) (vgl. Köpcke/Zubin 1997).
Grundsätzlich ist Entstehung von Bedeutung auf grammatischer Ebene ein mehrschichtiger Prozess: Die Bedeutung komplexer Ausdrücke ergibt sich nämlich durch semantische Komposition ( Kompositionalitätsprinzip), die auf drei Basen beruht: „1. die lexikalische Bedeutung der Grundausdrücke, 2. die grammatische Bedeutung ihrer Form, 3. die syntaktische Struktur des komplexen Ausdrucks“ (Löbner 2003: 18). Grammatischer Aufbau und Bedeutungskomposition erfolgen dabei parallel als Bottom-up-Prozess (Abb. 230a): „Die lexikalischen Bedeutungen der Grundausdrücke dienen als Input für die Regeln der grammatischen Bedeutung, zum Beispiel Interpretation des Plurals, des Komparativs oder des Perfekts; deren Output ist wiederum Input für die semantischen Kompositionsregeln“ (ebd.: 18f.).
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