»Ihre Partei heißt mit vollem Namen Partei für Gerechtigkeit und intergenerationale Befriedung. Glauben Sie, dass dieser Prozess wirklich zu einer Befriedung zwischen den Generationen führen wird?«
»Unbedingt. Wenn endlich offiziell und eindeutig festgestellt wurde, wer Schuld trägt an den Problemen unserer Zeit, dann muss diese Schuldfrage nicht immer wieder von Neuem gestellt werden, und es kann ein Friedensvertrag mit klaren Grenzverläufen geschlossen werden. Das hat nichts mit Stigmatisierung zu tun, wie immer wieder fälschlich behauptet wird.«
»Abschließende Frage: Wie geht es mit der PfG weiter, wenn der Prozess beendet ist und die Partei ihren Daseinszweck damit erfüllt hat?«
»Zunächst werden wir wie vereinbart die Legislaturperiode zu Ende bringen und Kanzler van Dykes Koalition während dieser Zeit unterstützen. Für Spekulationen darüber hinaus ist es zum jetzigen Zeitpunkt noch viel zu früh. Alle Aufmerksamkeit muss jetzt dem Prozess gelten!«
»Vielen Dank.«
Nürnberg Today
Innenansicht
Von erica mazur
Nürnberg-Stadt | 17.03.2049
Lesedauer: 2:30 Minuten (schnell) | 5 Minuten (genau)
Was kann man noch sagen über einen Prozess, über den bereits alles gesagt ist? Was schreiben, wenn schon alles geschrieben ist?
Ich bin 23 und Prozessbeobachterin. Ich soll Eindrücke liefern, wie es im Inneren dieses Prozesses aussieht, sich anhört, wie es riecht, wie es schmeckt. Wie es schwingt, dort drinnen im Forum Francorum. Ich werde meiner Aufgabe nachkommen und dabei von außen nach innen vorgehen, vom Prof.-Harald-Lesch-Platz über den Al-Gore-Saal bis hin zu mir selbst.
Auf dem Lesch-Platz stellt man sich am besten mittig zwischen die zwei Demonstrationsblöcke, richtet den Kopf in Richtung Forum und schließt die Augen. Dann hört man von links »Achtet die Menschenwürde« und »Tod der PfG«, von rechts »Ein Rechtsstaat muss wirklich strafen« und »Hängt Eilers«. Das ist angenehm, man fühlt sich dadurch ganz im Zentrum, ganz mittig, ganz dazwischen.
Das Forum selbst gleicht an Verhandlungstagen noch mehr einem Bienenstock als sonst. Die Waben pochen im Bewusstsein, etwas Großes zu beherbergen, Schauplatz von etwas Wichtigem zu sein. Man könnte das Gefühl bekommen, im Bundestag zu sein oder zumindest in seiner fränkischen Außenstelle. Hier kann man sich mit vielen PfG-nahen Personen unterhalten, die für »intergenerationale Befriedung« eintreten und einem auftragen, die eigene Sippe einer strengen Inquisition zu unterziehen.
Tatsächlich wird einem die eigene Elterngeneration unheimlich, wenn man in Al-Gore sitzt und der Staranwältin Perec zuhört, die deren Untaten anprangert. Im Großen mit Furor, im Detail buchhalterisch penibel. Wie sollen wir weiterhin mit diesen Leuten zusammenleben, manche von uns sogar unter einem Dach mit ihnen?
Noch mehr Angst als vor der Vergangenheit bekommt man aber vor der Zukunft. Perec zeigt auf, dass die Welt in einem gigantischen Domino-Day gefangen ist: Die Klimaerwärmung taut die Permafrostböden immer weiter auf, das setzt immer noch mehr Treibhausgase frei, das setzt den Regenwald immer weiter unter Druck und so weiter. Hinter uns liegen also die Taten von Verbrechern, vor uns zeichnet sich der totale Kollaps ab. Yeah, baby!
Ich sitze in Al-Gore, umgeben von circa eintausend Mitmenschen, und fühle mich einsam, später sitze ich zu Hause, »im Kreise der Liebsten«, und bin ganz allein. Doch es gibt nötigen und unnötigen Schmerz, und vielleicht ist dieser nötig. Noch nie habe ich so intensiv über unsere Gesellschaft nachgedacht wie seit Prozessbeginn. Noch nie hatte ich so sehr das Gefühl, dass ein naiver Schleier von meinen Augen entfernt wurde. Trotz aller möglichen Einwände gegen das Verfahren ist das die große Leistung dieses Prozesses und der PfG. Mit größter Spannung wird am kommenden Montag die Befragung des Beschuldigten Eilers durch Perec erwartet. Auch von mir.
Comment-Section:
Kommentarius
typisch weibliches rumgeflenne völlig ohne jeden
inhalt nur kräftig auf die tränendrüse drücken und dann bekommt man das zeug schon an den mann bzw … Mehr lesen
SchoenenTagNoch
mann sollte sie alle aufknüpfen!!!!
Tom X.
Ein runder Artikel, wie ich finde, trotz des melancholischen Tons.
JoeJoeJoe
komm mal runter man
Troglodytes
No offense, but it’s boring. hard truth.
Lissy_2031
lololol…
Mehr anzeigen
www.nuernbergtoday.de/innenansicht/em
Dingo lässt dichten grauen Rauch zum Himmel steigen, während er finster vor sich hin brütet. Niemand fragt, worüber er nachdenkt, was ihn noch zorniger macht. Erica ist wegen Philly schon völlig durchgedreht, und jetzt spricht sie auch mit ihren Eltern nur noch in gereiztem Ton, wenn überhaupt. Und das nur wegen diesem gottverdammten Prozess! Ihre Wut über die Partynacht kann er dagegen sogar ein wenig nachvollziehen, da seine wahrheitsgemäße Aussage, sich an mehrere Stunden überhaupt nicht mehr erinnern zu können, wohl tatsächlich nicht gerade vertrauenerweckend gewirkt hat. Aber die beiden gutmütigen Alten, ohne die sie beide auf der Straße sitzen würden, nein, die haben eine solche Behandlung nicht verdient. Er ist so gereizt, dass er kaum ruhig sitzen kann.
Mika und Spex versuchen, an die Bälle des Tischkickers zu kommen, ohne Geld einwerfen zu müssen. Der Regen prasselt heftig an die hohen, bunten Scheiben, und es ist eigentlich wahnsinnig gemütlich in der Landauerkapelle. Faris und Ben sitzen in warmen Jacken nahe bei Dingo auf einem der vielen abgeranzten Sofas und trinken aus einem Flachmann, den Faris mitgebracht hat. Mika hat wie immer »aufgesperrt«. Er kann das mittlerweile in Sekunden.
Vor ein paar Jahren hat sich die Stadt Nürnberg schweren Herzens bereit erklärt, die Erhaltungskosten des maroden Gotteshauses zu übernehmen, und dort dafür einen kleinen Jugendtreff eingerichtet. In dem steinernen, kühlen Raum spielen in den heißen Sommermonaten ein paar Kinder unter Aufsicht Kicker, Tischtennis und ein paar überholte VR-Spiele. In den Übergangszeiten weicht Dingo mit seinen Freunden gerne hierher aus, wenn es zu regnerisch für den Park ist und über Mazurs Dachgeschoss wieder die Flugzeuge donnern. Im Winter dann, wenn es wirklich kalt ist, gehört die Kapelle allein dem lieben Gott.
»Hört mal, Leute«, sagt Dingo so laut, dass sich auch Spex und Mika angesprochen fühlen müssen, »ich will ja echt nicht mosern, aber das ist doch alles total jämmerlich.«
Niemand reagiert in irgendeiner Weise, Mika kriecht mit Werkzeug im Mund unter den Kicker.
»Ernsthaft, Jungs, so geht’s nicht weiter! Schaut doch mal, was aus uns geworden ist!«
Dingo ist aufgesprungen und rauft sich die krausen Haare. Ben sieht ihn erstaunt an, aber die anderen lassen sich noch immer nicht stören.
»Geht’s euch nicht auch so, dass ihr es kaum noch aushalten könnt, dieses ständige Rumsitzen und Nichtstun? Dass man denkt, man zerspringt, wenn nicht gleich irgendwas passiert? Kennt ihr das nicht?«
»Ne, aber du machst heute den Eindruck, als hättest du das falsche Zeug erwischt«, sagt Faris. Ben lacht. Und Dingo tickt aus. Einfach so, wegen dieser fehlenden Ernsthaftigkeit. Er macht den anderen und sich nichts vor, spielt nicht den Ausrastenden, sondern hat einen erstklassigen Wutanfall und wirft den schweren Tischkicker um, sodass Mika, der noch halb darunter gekauert hat, erschrocken zurückfährt. Dingo schreit sie zornig an, was in dem kahlen, hohen Raum noch mehr Eindruck macht.
»Schaut euch doch mal an! Ihr hockt rum und brecht Tischkicker auf! Trinkt Opa-Schnaps aus einem Flachmann! Aber niemand macht mal irgendwas! Wie wär’s denn, mal was zu machen? Statt die ganze Zeit zu Hause zu sitzen und stundenlang VR-Pornos zu schauen! Wie wär das?!«
Читать дальше