Es ist schwer zu erklären. Manchmal verstand ich in dem Moment, was passierte, allerdings nicht immer. Verdammt beängstigend war es jedes Mal. Mein Verstand raste und konnte nicht begreifen, warum der Rest von mir nicht reagierte. Normalerweise litt ich dabei zusätzlich unter Halluzinationen. Verrückt, oder? Einmal hatte ich mir zum Beispiel eingebildet, ein Wecker kröche durch den Raum, um mich zu töten. Im Gegensatz zu dem, was ich diesmal vor mir sah, war das jedoch noch harmlos gewesen.
Vom Rand des Bettes starrte mich Skelli an. Nur seine vornübergefallene obere Hälfte, wie er in der Wand gewesen war. Doch plötzlich zuckte er, packte den Rand der Matratze und begann, sich hochzuziehen.
Ich versuchte zu schreien. Ich versuchte zu treten und zu schlagen.
Versuchte es und versuchte es und Gott, er kam näher! Er war da, berührte mein Bein und …
Ich fuhr hoch, rang nach Atem, stieß den verhallenden Rest eines Schreis aus.
„Aubrey?“ Jun war bei mir. Er streichelte mit sanften, aber bestimmten Bewegungen meinen Hinterkopf. „Alles in Ordnung?“
Mit bebender Brust atmete ich tief durch. „N-nein, was? Ich … Albtraum.“ Ich drehte mich um und sah Jun an. „Schlaflähmung“, verbesserte ich mich, als der Nebel in meinem Kopf sich allmählich lichtete. „Die ist beängstigend.“
Jun runzelte die Stirn, legte eine Hand an meine Wange. „Kann ich dir irgendetwas holen?“
„Nur dich“, sagte ich. Es kam automatisch aus meinem Mund. Mir wurde erst klar, was ich gesagt hatte, als es schon zu spät war.
Doch er lächelte. Ein strahlendes Lächeln. Das Funkeln war in seine dunklen Augen zurückgekehrt. Jun beugte sich vor, überbrückte die Lücke zwischen uns. Sein Mund war nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt.
Tu es. Küss ihn.
Schließlich waren wir nun offiziell ein Paar.
Ich näherte mich seinem Mund mit meinem.
Und dann kam mir mein Wecker in die Quere – Nicki Minaj, die ihren Feinden vorschlug, ein paar Schwänze zu lutschen.
IM INNERN war ich ein Romantiker.
Ich wollte nicht einen Kuss. Ich wollte den Kuss. Also drängte ich nicht weiter darauf, nachdem der Moment zerstört worden war. Es würde nicht der letzte sein, und dann würde ich den besten verdammten Kuss meines Lebens bekommen.
Da wir beide noch keinen besonders großen Hunger hatten, bereitete ich anstelle einer richtigen Mahlzeit etwas Bruschetta mit Tomate und Basilikum zu, womit wir uns vor dem Fernseher niederließen. Jun trank ein Glas Wein. Ich blieb bei Wasser.
Was Filme anging, war ich unzuverlässig. Ich hielt nie bis zum Ende durch, verschlief die wichtigsten Szenen und wachte erst bei den langweiligen wieder auf. Aus diesem Grund beschränkte ich mich auf Fernsehserien mit kurzen Episoden. Knapp dreißig Minuten dieser Passivität konnte ich gerade noch ertragen. Nur war ich diesmal nicht allein und sah mir gelangweilt eine meiner üblichen drei Serien an. Jun war bei mir und es war ziemlich fantastisch.
Ich mochte ihn wirklich sehr. Er sorgte für Schmetterlinge in meinem Bauch.
Anstatt also nach zwei Folgen und drei Schlafattacken aufzustehen, um etwas anderes zu tun, blieb ich bei ihm sitzen. Jun legte mir einen Arm um die Schultern und ließ zu, dass ich es mir halb wach und halb schlafend mit dem Kopf an seiner Brust bequem machte. Alles an ihm war gut. Verdammt, er roch sogar perfekt, falls das einen Sinn ergab.
Als es im Raum still wurde, öffnete ich die Augen. Jun sah sich bei Netflix um. „Oh, den“, sagte ich plötzlich. Er hielt inne.
„Seit wann magst du Horrorfilme?“
„Du beschützt mich schon.“
„Das ist ein japanischer Film, Aubrey.“
„Untertitel?“ Ich hob meinen Kopf etwas von seiner Brust und stellte fest, dass er mich anstarrte. „Was denn? Vielleicht würde ich eben gerne ein paar Wörter lernen.“
„Warum?“
Mein Herz hüpfte leicht. „Weil du es sprichst.“
Er lächelte.
„Und weil du dabei so verdammt sexy klingst.“
Jun strich mir mit den Fingern durchs Haar und sagte mit seiner tiefen, kraftvollen Stimme etwas Japanisches.
Schwuler Babymachmodus eingeschaltet.
„Meine Güte, das ist gemein“, beschwerte ich mich. Ich setzte mich auf, um ihn besser ansehen zu können. „Was hast du gesagt?“
Er verzog keine Miene. „Ich habe gefragt, wo die Toilette ist.“
„Was? Das ist doch gelogen.“
„Nein, wirklich. Toire bedeutet Toilette.“
Ich verpasste ihm einen leichten Klaps auf den Arm. „Du Arschloch!“
Jun lachte leise. „Tut mir leid.“
Ich erhob mich und schob ein Bein über Jun, um auf seinen Schoß zu klettern. Die Arme schob ich über seine Schultern und hielt mich an der Rückenlehne des Sofas fest. Er ließ die Fernbedienung auf die Couch fallen, um seine Hände an meine Hüften zu legen, als ich meine Finger in seine stylishe Frisur schob und sanft zufasste. Es gefiel mir, wenn ein Mann so lange Haare hatte, dass man sie mit den Fingern packen konnte. Und Juns leisem Keuchen nach zu urteilen, gefiel es ihm, wenn man es bei ihm tat. Ich zog leicht, nur um es auszuprobieren, und sein Mund öffnete sich.
Das betrachtete ich als Einladung.
Doch bevor ich reagieren konnte, hatte Jun den Saum meines T-Shirts gepackt und den Stoff nach oben geschoben. Auf meiner nackten Haut fühlten sich seine Hände wie Feuer an. Er schob das T-Shirt bis zu meinen Brustwarzen hoch, wo er mit den Fingerspitzen über die Piercings strich.
Aus dem Stöhnen, das ich von mir gab, hörte man jeden Tag der zwei Jahre heraus, die ich als Single verbracht hatte. „Gott“, sagte ich, wobei ich das Wort mit nicht existierenden Silben in die Länge zog.
Jun schnippte noch einmal gegen jedes Piercing. „Die gefallen mir“, flüsterte er.
Gut. Dann waren sie jeden Cent wert gewesen.
Danach tat er nicht mehr viel, streichelte mir lediglich mit den Handflächen über die Seiten. Bei unseren täglichen Telefongesprächen hatte Jun leicht angedeutet, wenn auch nicht deutlich ausgesprochen, dass er im Bett nicht unbedingt der Initiator war. Ich hatte mich beim Thema Händchenhalten und Beziehung direkt verhalten, weil ich davon ausgegangen war, dass er dann handeln würde. Offenbar lief es wirklich darauf hinaus, dass er nur niemals den ersten Schritt tat.
Und das Ganze führte mich zu einer Vermutung. Genau wie ich war er wahrscheinlich etwas nervös, was unser erstes Mal anging, aber nicht so sehr, dass er erst große Hemmungen abbauen musste oder Ähnliches. Er hatte kein Problem damit, zu flirten, zu necken und mir seine Zuneigung zu zeigen. Mittlerweile war ich allerdings ziemlich sicher, dass es ihn anmachte, wenn man ihm im Bett Befehle gab. Wer dabei welche Rolle übernahm, war ihm nicht wichtig. Er wollte nur Anweisungen. Vielleicht lag es daran, dass er im Beruf immer das Sagen hatte und es deshalb entspannend fand, wenn zu Hause jemand anders die Führung übernahm.
Für mich war das Neuland, aber tja, ich war sehr gern bereit, meinen Horizont zu erweitern. Der Gedanke, einem erfolgreichen FBI-Agenten zu sagen, wo es langging, war ohnehin recht verlockend.
„Jun?“
„Hm?“
„Leck meine Nippel.“
Seine Augen weiteten sich hinter den Brillengläsern leicht und ich hörte ein winziges Keuchen. Oh ja. Das war so was von dem, was er wollte. Jun legte die Hände wieder auf meine Hüften und beugte sich vor. Seine rosa Zunge kam zwischen seinen Lippen hervor und da war sie, feucht und warm an meinen Piercings. Er küsste, leckte und benutzte seine Zunge, um mit dem Metall zu spielen. Ich umklammerte mit beiden Händen seinen Hinterkopf, damit er sich nicht entfernte, woraufhin er stöhnte und seine Hände senkte, sie auf meinen Rücken schob.
„Fass meinen Arsch an“, befahl ich, auch wenn mein Tonfall nicht mehr ganz so gebieterisch klang, denn was er da mit seiner Zunge anstellte, würde mich in ungefähr zehn Sekunden zum Explodieren bringen.
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