„Das wirft zweifellos viele Fragen auf“, stellte Jun fest, während er die schmale Nische ableuchtete, als hoffe er, etwas zu finden.
„Adam denkt, die Person wurde vielleicht ermordet. Denn warum sollte man sonst jemanden verstecken? Und Sebastian hat es ähnlich gesehen – Skelli wurde eindeutig versteckt, weil ihn niemand finden sollte.“
„Sebastian Snow?“
„Ja.“
Jun nickte. „Zieh ihn da nicht mit rein.“
„Das mache ich nicht. Ich habe es nur beiläufig erwähnt.“
„Als Ausrede, um sich einzumischen, scheint das bei ihm schon genug zu sein.“
„Ich bin ziemlich sicher, dass selbst Sebastian nicht extra auf die Keys kommen würde, um einem verschwundenen Skelett nachzuspüren – so verrückt er auch sein mag.“
„Sorgen wir dafür, dass es so bleibt. Ich bin nicht daran interessiert, Winter – so hieß er doch? – anrufen zu müssen, damit er seinen entlaufenen Assistenten abholt.“
Jun kannte Sebastian, weil dessen Freund, der für das Morddezernat arbeitende Detective Calvin Winter, derjenige gewesen war, der um FBI-Informationen zu einem ungeklärten Fall gebeten hatte. Ich glaubte nicht, dass Jun tatsächlich ein Problem mit einem der beiden hatte. Es war nur … na ja, ein Bundesagent gegen den für ein Stadtgebiet zuständigen Detective. Das ging nicht ganz ohne Schwanzvergleich.
Jun beugte sich mit dem Licht in die Nische. „Ich habe dein Handy gefunden.“
„Was?“ Ich näherte mich und sah hinein, während Jun danach griff. „Wie kommt es da bitte hin?“
Er reichte es mir.
Ich wischte über den Bildschirm, tippte den Code ein, und ja: vier entgangene Anrufe und ein halbes Dutzend Nachrichten von Jun. Ich verzog das Gesicht und tat als hätte ich sie nicht gesehen. „Scheint in Ordnung zu sein“, sagte ich schließlich.
Ich richtete meinen Blick wieder auf die Lücke in der Wand. Die enge Nische wirkte nicht groß genug, um eine Leiche hineinzuzwängen – was einiges darüber aussagte, wie verzweifelt die Person gewesen sein musste, die sie dort versteckt hatte. Jetzt war nichts mehr dort, wenn man von tonnenweise Staub absah, der mich einige Male zum Niesen brachte.
„Du niest so niedlich“, murmelte Jun.
„Ruhe, Mister.“ Ich war dabei, den Schrank zu verlassen, als mir plötzlich etwas auffiel. „Jun, leuchte mal da runter.“
Jun richtete das Licht des Handys wieder auf die Wand und leuchtete in den unteren Teil der Nische. „Steht da etwas?“
Ich beugte mich so weit wie möglich vor und blies den Staub fort. „Ein Kreuz auf meinem … Herzen“, las ich vor.
„Was soll das bedeuten?“, fragte Jun.
Kopfschüttelnd drehte ich mich zu ihm um. „Ich habe keine Ahnung.“
PATSY CLINE macht mich schläfrig.
Ihre Stimme mag schön sein, aber wenn ich eines ihrer Lieder höre, schlafe ich ein.
Also beugte ich mich vor und betätigte den Knopf des Radios, um es mit einem anderen der in Juns Mietwagen einprogrammierten Sender zu versuchen. Hallo, Rihanna, meine hinreißende Königin. „S&M“. Sex lag in der Luft. Ein guter Song.
Jun warf mir einen Seitenblick zu.
„Patsy ist wie warme Milch am Abend“, protestierte ich.
„Sie war besser als das hier. Das ist ein schreckliches Lied.“
Ich keuchte. „Nimm das zurück.“
„Was?“
„Ich liebe dieses Lied. Du solltest mich mal nach ein paar Gläsern dazu tanzen sehen.“
Sein Mundwinkel zuckte. „Ich werde mich nicht zwischen dich und deine Popdiven stellen.“
Juns cooles, elegantes Auftreten täuschte viele Menschen. Tief im Innern war er etwas mehr der schlimme Junge. Er hörte nur den härtesten Rock, Metal und Punk vom alten Schlag, den er auftreiben konnte. Die Art von Musik, bei der man kaum den Text verstand und sich durchs Headbangen eine Nackenverletzung zuzog. In einem Moshpit hätte er sich vermutlich wie zu Hause gefühlt.
Ich wusste bereits, dass er Rihanna absolut nicht mochte, seit er vor einigen Jahren nach der Arbeit mit mir und Matt in einer Bar gewesen war. Matt hatte den ganzen Abend damit verbracht, dort mit einigen jungen Männern zu flirten – und verdammt, es tat immer noch weh, daran zu denken. Daran, wie dumm und unerwünscht ich mir vorgekommen war, während Jun alles mit angesehen hatte. Doch er war den ganzen Abend neben mir sitzen geblieben und hatte sich die größte Mühe gegeben, sich mit mir zu unterhalten – dabei hatte ich auch herausgefunden, dass Reden nicht sein Ding war. Am Ende waren wir uns beim Gespräch über unsere unterschiedlichen Musikgeschmacksrichtungen nähergekommen.
„Alles in Ordnung?“ Jun wandte den Blick kurz von der Straße ab, um mich anzusehen.
„Ja“, antwortete ich hastig und etwas zu laut. „Ich habe mich nur an damals erinnert, als du versucht hast, mir mit Five Finger Death Punch das Trommelfell wegzupusten.“
„Ich wusste, dass es eine Lüge war, als du behauptet hast, du würdest sie mögen.“
„Ich wollte dich beeindrucken.“ Ich streckte eine Hand aus, um sie auf Juns Oberschenkel zu legen. Dort spürte ich feste Muskeln und es fühlte sich richtig an. „Hat es funktioniert?“
Jun antwortete lediglich mit einem Lächeln.
Nachdem Jun und ich auf die Nachricht im Schrank gestoßen waren, hatte es mir gereicht. Kein verrücktes, gruseliges Zeug mehr für mich, vielen Dank. Ich hatte Adam angewiesen, später alles abzuschließen, hatte mir meine Sachen geschnappt und mich mit Jun auf den Weg nach Hause gemacht. Für die nächsten eineinhalb Wochen hatte ich nichts anderes geplant, als am Strand zu entspannen, Tourist zu spielen und sehr viel mit Jun nackt herumzuliegen. Ein verschwundenes Skelett und eine geheimnisvolle Nachricht würden nicht meinen Urlaub ruinieren.
Wehe dem, der in den nächsten zehn Tagen versuchte, mich von meinem sexy Mr Tanaka fernzuhalten. Ich mochte winzig sein, aber ich würde jemanden richtig fertigmachen.
„Links oder rechts?“, fragte Jun an der nächsten Kreuzung.
„Hier links“, antwortete ich und richtete mich etwas auf, damit ich auf das in Sicht kommende Häuschen zeigen konnte. „Das blaue ist meins. Da ist mein Parkplatz.“
Jun parkte am Straßenrand. „Wo ist die pinke Vespa, von der ich so viel gehört habe?“, fragte er, während er den Zündschlüssel abzog.
„Oh, die Prinzessin?“, fragte ich grinsend. „Die ist im Garten.“
Jun stieg lachend aus und holte seinen Trolley aus dem Kofferraum.
Ich ging währenddessen zur Haustür, schloss auf und öffnete sie für ihn. „Willkommen in Chez Grant. Kommen Sie wegen der Hausmannskost, bleiben Sie wegen des süßen Arschs.“
„Bekommt jeder dieses Angebot?“, erkundigte sich Jun beim Eintreten.
„Nur linguistisch Begabte, die Verbrechen bekämpfen.“
„Klingt nach einer kurzen Liste.“
Ich schloss die Tür, drehte mich um und sah zu ihm auf. „Du würdest dich wundern. Ich denke, ich könnte dich jeden zweiten Mittwoch für einen Brunch unterbringen. Was meinst du? Selbst gemachte Omeletts, bevor wir uns um deine Vorderseite und meine Rückseite kümmern?“
Jun stellte seine Laptoptasche neben seinem Trolley ab und näherte sich. Ich presste mich mit dem Rücken gegen die Tür und genoss, wie er vor mir aufragte. Ich spürte die Wärme seines Körpers und die Bewegung seiner straff gespannten Muskeln. So viel Selbstbeherrschung. Vielleicht zu viel.
„Obwohl ich glaube, dass meine Tische jetzt reserviert sind“, flüsterte ich.
„Unter dem Namen Tanaka. Soll ich es buchstabieren?“
„Nein, ich hab’s schon.“
Jun musterte mich kurz. Er gab mir das Gefühl, mich mit seinen Blicken auszuziehen. Meine Atemzüge wurden flacher und schneller, während mein Schwanz eindeutig erwachte und sich einsatzbereit machte.
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