„Wann denn?“, fragte Solveig, und jetzt zitterte ihre Stimme. Ob aus Angst oder vor Spannung konnte Mira nicht sagen. Garantiert Ersteres.
„Es muss ganz dunkel sein und niemand darf wissen, dass wir uns treffen.“
Die anderen nickten gleichzeitig und Mira spürte die Süße der Macht. Jetzt bestimmte sie.
„Ich schicke eine Nachricht im Messenger rum, wo wir uns treffen, und die Regel ist, Solveig, jedes Mal, wenn du eine Nachricht von uns aus der Gang kriegst, musst du sie sofort löschen, kapiert?“
Solveig nickte und Mira kämpfte, um ein Lächeln zu verbergen, als sie ihre Mühe sah zu schlucken. Die würde es nicht lange aushalten.
Die Pflanzenlampen im Gewächshaus leuchteten mit einem warmen, gemütlichen Schimmer in der zunehmenden Nachmittagsdunkelheit. Roland parkte auf dem schneegeräumten Hofplatz. Es hatte aufgehört zu schneien.
Hafid Ahmed saß schweigend neben ihm, und Roland überlegte, ob er vielleicht doch Probleme mit seinem neuen Chef hatte wegen seiner früheren Arbeit bei der Polizeibehörde. Er hatte sicher Berichte von all den Kollegen gehört, gegen die Roland ermittelt hatte, was zu ernsten Abmahnungen, Bußgeldern, Entlassungen und Gefängnisstrafen geführt hatte. Während der Fahrt hatte Hafid nur kurz und unmotiviert auf Rolands Fragen nach den Ursprüngen des Beamten in Marokko geantwortet. Er hatte über seine eigenen neapolitanischen Wurzeln erzählt in dem vergeblichen Versuch, ein Gespräch in Gang zu bringen.
Roland öffnete die Tür und stieg aus. Es knirschte unter den Schuhsohlen, und sein einer Fuß rutschte auf dem glatten Eis.
„Pass auf, hier kann es glatt sein“, warnte er Hafid, der gerade die Autotür öffnete.
Die Gärtnerei Waldschatten war verhältnismäßig klein. Roland zählte drei mittelgroße Gewächshäuser in einer Reihe. Ein schwarzgescheckter Hofhund begrüßte sie, ohne zu bellen, dann lief er zum mittleren Gewächshaus, wo Roland hinter dem Glas den Schatten eines Mannes sehen konnte. Sie folgten ihm und Roland öffnete die Tür.
„Der Hund darf hier nicht rein! Der macht die Blumen kaputt!“, knurrte ein Mann mittleren Alters in blauem Jeansoverall über einem dicken, karierten Holzfällerhemd. Roland scheuchte den Hund mitleidig wieder raus in die Kälte und schloss die Tür.
„Wenn ihr von den Zeugen Jehovas seid, könnt ihr gleich wieder abhauen“, sagte der Gärtner, der über einen blauen Blumenkopf gebeugt war, den er vorsichtig in seinen dicken Fingern hielt und intensiv beäugte, als wäre es ein wertvolles Gemälde.
„Sind Sie Laurits Kjeldsen?“, fragte Roland und stellte sie vor. Sie zeigten ihre Dienstmarken als Nachweis dafür, dass sie definitiv nicht von den Zeugen Jehovas kamen.
„Die Polizei! Ihr kommt ja auch nicht jeden Tag vorbei, nicht mal, wenn wir Vandalismus und Einbruch hatten“, stellte Laurits verdrossen fest.
„Wir kommen von der Mordkommission, Diebstahl und Vandalismus fallen nicht in unsere Zuständigkeit“, antwortete Roland freundlich. Es war ganz normal, dass die Leute glaubten, die Polizei sei eine Gesamteinheit, die sich um alles kümmerte und nicht untergliedert war in Spezialabteilungen. „Wir sind wegen Ihrer Iris-Blumen gekommen.“
Der Ausdruck in Laurits’ fleischigem Gesicht wechselte mit einem Mal von Entrüstung zu offensichtlicher Verblüffung.
„Meinen Iris-Blumen?“, wiederholte er in einem Ton, der eine Erklärung forderte.
„Verkaufen Sie an Privatpersonen?“ „Nein, meistens an Blumenläden, die sie in Buketts verwenden. Normalweise verkaufe ich nicht an Privatpersonen. Warum in aller Welt interessiert sich die Mordkommission für meine Iris-Blumen?“
„Darauf können wir leider nicht näher eingehen. Haben Sie sie an die Askholt Privatschule verkauft? Wir haben Ihre Adresse vom Hausmeister bekommen.“
„Konrad? Konrad Tønnesen? Ja, der hat Iris gekauft. Ob das für die Schule war, weiß ich natürlich nicht, aber … Ah, jetzt verstehe ich, es ist wegen des Mordes an dem Teenagermädchen, stimmt’s?“
„Haben Sie Iris in Verbindung mit dem Gedenkgottesdienst verkauft?“
„Nein, wie schon erwähnt, verkaufe ich nicht an Privatpersonen. Konrad ist eine Ausnahme, weil er mal hier gearbeitet hat. Er wollte Gärtner werden, aber dann bekam er den Job als Hausmeister an der Schule.“
Roland sah über das Meer aus hübschen, blauen Blumenköpfen hinweg. Die Üppigkeit und die feuchte, beinahe tropische Hitze wirkten deplatziert im Verhältnis zu dem dunklen, kalten Winternachmittag und den Schneewehen, die das Gewächshaus umgaben. Der Hund glotzte durch die Fenster neben der Tür durch einen dünnen Schattenvorhang. Das Glas hier sah neuer aus als das übrige, dem Wind und Wetter zugesetzt hatten.
„Diese Entscheidung war ein Glück für ihn“, fuhr der Gärtner fort. „Es ist heutzutage nicht leicht, eine Gärtnerei zu betreiben. Viele mussten wegen der hohen Strompreise und extrem harter Konkurrenz dran glauben. Früher hatte ich viel mehr Gewächshäuser mit Tomaten und Gurken, aber die sind jetzt dichtgemacht. Es konnte ja nicht rund laufen, wenn die großen ausländischen Gärtnereien Dänemark mit billigen, nicht-dänischen Produkten versorgen, die meistens in Steinwolle gezogen werden, sodass alle Nährstoffe verschwinden, und ab und zu auch mit allen möglichen giftigen Chemikalien gespritzt werden, aber wenn es den Verbrauchern egal ist, dann …“
„Sind jetzt in allen Gewächshäusern Iris?“
„Nur in dem einen hier, und das kann nur überleben, weil ich Absprachen mit einigen großen Blumenhändlern getroffen habe bezüglich frischer täglicher Lieferungen für ihre Buketts. Die Blumen kommen auch für billiges Geld aus dem Ausland. Diese verdammte EU!“ Laurits spuckte auf den Boden. „In den anderen beiden Häusern habe ich Topfrosen. Eine neue Variante, die ich selbst mit entwickelt habe. Nur auf diese Weise kann man heutzutage als Gärtner Erfolg haben.“
Roland nickte. Er konnte die Logik nachvollziehen, dass hiesige Gärtnereien Gemüse für die Dänen liefern sollten und nicht riesige Industrien, die im Blitztempo genmanipuliertes und gespritztes Obst und Gemüse in Massenproduktion anbauten. Er hatte mal eine Fernsehsendung über die vielen großen Gewächshäuser gesehen, die ein Areal von 26.000 Hektar unfruchtbarer Erde bei der Stadt Almeria im südöstlichen Spanien bedeckten.
„Welche Art Iris sind diese blauen hier?“, fragte er. „Soweit ich weiß gibt es viele.“
„Ja, es gibt circa 300 Arten der Iris-Familie in Europa, Nordamerika, dem Nahen Osten und Asien. Die Art hier heißt Iris spuria oder ganz einfach Blaue Iris. Der Gattungsname Iris kommt von dem alten griechischen Namen, der Regenbogen bedeutet, und man meint, dass er darauf hindeutet, dass es die Blumen in so vielen Farben gibt. Der Artname spuria bedeutet unecht und das kommt vermutlich daher, weil man sie leicht mit anderen Iris-Arten wie zum Beispiel der Echten Schwertlilie und Sibirischer Iris verwechseln kann.“
Roland nickte interessiert, während er eine der hübschen, tiefblauen Blüten betrachtete, die sich mit sonnengelben Zungen auf den Kronblättern auffaltete wie zu einer intensiven Umarmung.
„Könnten wir eventuell ein paar mitnehmen?“, fragte er.
Laurits nickte überrascht. „Wie viele wollen Sie haben?“
„Bloß ein paar“, antwortete Roland und sah zu, während der Gärtner ein kleines Messer aus der Tasche holte und den Stängel von drei blauen Iris abschnitt, die er ihm reichte.
„Reicht das?“
„Das ist prima, danke. Dann wollen wir nicht länger stören. Danke für Ihre Hilfe“, sagte er und verließ das feuchtwarme Gewächshaus mit Hafid auf den Fersen.
Der Gärtner begleitete sie hinaus und sorgte dafür, dass der Hund nicht hineinschlüpfte, bevor die Tür wieder geschlossen wurde.
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