Die Mädels schrien vor Begeisterung. Martina wurde ins Haus bugsiert und ins Bett gesteckt, und einen Tag blieb sie auch darin liegen. Die nächsten Tage aber, du lieber Himmel!
,Ich habe ja selbst vier Kinder und kenne mich in manchen Dingen aus‘, schrieb mir meine Freundin damals, ‚aber so was von Temperament auf dem Krankenlager habe ich noch nie erlebt. Wie muß Martina erst sein, wenn sie gesund ist!‘
Ich fuhr natürlich sofort hin und redete Martina gut zu, still zu liegen, aber sobald wir den Rücken drehten oder das Zimmer verließen, war der Teufel los. Sie hopsten herum und trieben das Kalb aus, wir waren machtlos.“
Cornelia lachte. „Es war wahrscheinlich nur eine ganz leichte Gehirnerschütterung gewesen, meine ich, oder?“
„Überhaupt keine war es! Zwei Jahre später erfuhr ich durch Zufall, was es gewesen war. Das Häufchen vor dem Zelt stammte von einer Katze; meine Freundin hatte eine Katze, die sehr an den Kindern hing. Die muß ihnen nachspaziert sein, und da hat sie vielleicht einen Mäusebraten nicht recht vertragen und wieder von sich gegeben. Die Kinder wußten das, aber sie fanden es so herrlich, daß Martina nun noch acht Tage bleiben durfte, daß sie allesamt den Mund gehalten haben. ‚Es ist unhöflich, Erwachsenen zu widersprechen‘, sagte eine dieser freundlichen Blüten süffisant, als sie zur Rede gestellt wurde – was sollte man machen, nach zwei Jahren!“
Sie lachten alle.
„Und dann – erzähl von der Zeltlampe, Mutter!“ drängelte Petra. Frau Hartwig stand auf, gerade schob das Mädchen einen Teewagen mit Tassen und Kanne und frischen Brötchen durch die Tür. Sie nahm ihn entgegen und begann einzugießen, während sie erzählte.
„Ja, das war auch so eine Geschichte. Da waren sie bei anderen Reitbekannten, Petra und Angelika. Sie lassen sich ja mit Vorliebe dorthin einladen, wo es Pferde gibt und sie im Gelände reiten können. Bei diesen Bekannten durften sie im sogenannten Sommerstall schlafen, einem Holzgebäude, das auf einer etwas abgelegenen Weide steht. Vorn können die Pferde hinein, hinten ist Heu gelagert. In diesem Heu schliefen sie mit ihren Schlafsäcken. Das war das schönste. Dafür mußten sie Wasser tragen, die Wiese von Pferdemist säubern – der Fohlen wegen wird dort jeder Mist abgelesen – und auch sonst helfen. Das taten sie gern und ordentlich, wie mir berichtet wurde. Das war Ehrensache.
Nun haben meine Töchter außer ihrer Passion zu reiten noch eine, nämlich zu lesen. Auf deutsch, sie verschlingen alles, was ihnen an Gedrucktem vor die Augen kommt. Und einschlafen, ohne gelesen zu haben, können sie alle nicht. Ich hatte sie hingebracht und mir ihre Schlafgelegenheit angesehen, und da ich sie kenne, spendierte ich ihnen eine Lampe. Es gibt elektrische Zeltlampen mit Batterie, die man an die Decke hängt. Eine andere wäre nie in Frage gekommen, wegen des Heus. Aber ich stellte eine Bedingung: Sie durften diese Lampe nur haben, wenn sie versprachen, jeden Tag zu duschen.
Es ist nämlich leider bei uns so, daß die Kinder wahre Wasserfanatiker sind, wenn es um Schwimmen oder Bachwaten geht. Sollen sie sich aber waschen, auch nur warm in einem warmen Raum, dann tun sie, als wollte man ihnen ans Leben. Jeden Tag versuchen sie, sich darum zu drücken, und das ist ein Punkt, an dem ich keinen Spaß verstehe. Ungewaschene Leute, puh, scheußlich! Mögen sie im Dreck waten, da habe ich nichts dagegen. Aber einmal am Tag muß man sauber sein, das gehört zu den allerersten Regeln, finde ich.
Sie versprachen goldene Berge. Ich fuhr ab. Nach acht Tagen kam ich sie besuchen, und im Laufe des Tages fielen mir die Zeltlampe und meine Bedingung ein. Ich fragte meine Bekannte, ob sich die Mädels auch jeden Tag duschten.
,Nie‘, sagte sie, ‚noch kein einziges Mal. Ich habe mich schon gewundert.‘
Na, ich wurde wütend und stellte meine lieben Töchter zur Rede, sobald ich ihrer habhaft wurde.
,Ihr habt doch versprochen zu duschen. Nur deshalb hab’ ich euch die Zeltlampe spendiert‘, sagte ich, begreiflicherweise empört.
,Aber wir – wir haben doch oft gebadet. Jeden Tag – im Bach‘, versicherten sie. Ich aber war voller Zorn, mir war es auch peinlich meiner Bekannten gegenüber, und ich ging stracks zum Sommerstall und holte mir die Zeltlampe.
,So, nun könnt ihr abends nicht mehr lesen‘, sagte ich strafend. Die Mädchen standen mit eingezogenen Köpfen da und sahen mir nach. Sie wissen, ich fackele nicht lange.
Abends saß ich mit meiner Bekannten und deren Mann noch ein wenig hinter dem Haus, von wo aus man die Weide mit dem Sommerstall sehen kann. Wir unterhielten uns und tranken etwas und dachten an nichts Böses. Auf einmal sagte meine Bekannte: ‚Haben Sie den Kindern die Zeltlampe nicht weggenommen? Ich hörte doch so was. Aber da hinten ist doch Licht im Stall, sehen Sie? Oder täusche ich mich?‘
Ich guckte zum Stall hinüber. Wahrhaftig, da war Licht, nicht immerzu, aber immer wieder. Manchmal sah man es und manchmal nicht. Wir spähten alle drei aus.
,Ob sie sich eine Kerze mitgenommen haben?‘ fragte der Vater nach einer Weile. ‚Das wäre ja –‘
,Das wäre unerhört. Also das gibt’s nicht’, sagte meine Bekannte und stand auf. ‚Eine Kerze dort, wo Heu liegt –‘
Sie ging los, so schnell, daß ich kaum mitkam. Ich betete innerlich, daß nicht meine auf diese schreckliche Idee gekommen sein möchten – Heu und offenes Licht – da gibt es kein Pardon. Wir gingen immer schneller, alle drei, zuletzt liefen wir fast, denn es war ganz bestimmt Licht dort …“
„Hatten sie wirklich eine Kerze?“ fragte Anja gespannt, als Frau Hartwig eine Pause machte und Cornelia noch einmal Kaffee eingoß. „Hatten sie wirklich –“
„Nein, sie hatten keine Kerze“, sagte Petras Mutter, und ihre Augen funkelten vor Vergnügen, „wissen Sie, was sie sich ausgedacht hatten, die Schlawiner? Sie hatten eins ihrer Fahrräder mitgenommen, an dem am hinteren Rad ein Dynamo war. Dieses Fahrrad hatten sie verkehrt herum an den Eingang des Stalles gestellt, dorthin, wo kein Heu lag, auf Lenkstange und Sattel, so, wie man es macht, wenn man etwas daran repariert. Die Lampe zeigte in Richtung auf ihr Lager. Dort rekelten sich alle in ihren Schlafsäkken, die Bücher vor den Nasen, und eine von ihnen – das Los bestimmte die erste, dann ging es reihum nach der Uhr, jeder zehn Minuten lang – eine von ihnen also mußte die Pedale des Fahrrads drehen, damit die anderen Licht hatten. Es ging wirklich ganz gut, natürlich nicht so gleichmäßig wie mit der Zeltlampe, aber immerhin, Licht hatten sie.
,Die Batterie war sowieso fast aus‘, berichteten sie, ‚und hier gab es keine Batterie, die nachließ. Wir haben keine Kerze genommen. Daß man im Heu kein Streichholz anzündet, na, das wissen wir auch, wir sind ja keine Säuglinge. Und es ging ganz gut so.‘
Wir haben sehr gelacht. Der Mann meiner Bekannten sagte, die Mädels hätten eins zu null gegen uns gewonnen, und ich besorgte am nächsten Tag eine neue Batterie für die Zeltlampe und gab ihnen die wieder. Diesmal ohne Bedingungen, weil wir es genial fanden, wie die Kinder sich geholfen hatten. Und was glauben Sie, von da an duschten die Mädels, jeden Tag taten sie es, sagte meine Freundin, als ich sie abholte, gewissenhaft und pünktlich. Was sagen Sie dazu?“
„Dasselbe wie Sie: eins zu null für die Kinder“, sagte Cornelia und lachte auch. „Sich so zu helfen, alle Achtung! Ja, wo viele zusammen sind, kommt immer eins auf den richtigen Trichter. Drei Töchter haben Sie?“
„Ja. Angelika, Martina und Petra. Und einen Sohn, den Werner. Der kommt nach Petra. Als er geboren wurde, telegrafierte meine Schwester an uns: Endlich erreicht! Ich habe mich natürlich auch sehr gefreut, noch einen Sohn zu bekommen, unseren Werner, aber erfindungsreich sind Töchter auch, wie man sieht, und manchmal schwieriger als Söhne.“
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