„Na, ich weiß nicht.“ Vaters Gesicht blieb skeptisch, zumal Rumpel jetzt wirklich Schwierigkeiten machte. Sie übten wieder.
„Ach, wenn ich doch drauf säße.“ Petra trappelte zwar lautlos, aber hochgradig nervös hinter der Bande hin und her. „Paul ist viel zu grob. Die Rumpel muß mit Gefühl geritten werden, mit Fingerspitzengefühl …“
„Dann spring doch runter!“
„Was glauben Sie, was da passierte!“ Petra streifte Vaters Gesicht sekundenlang mit einem Blick. „Der Reitlehrer würde mich – in den Boden stampfen wäre gar nichts. Nie wieder dürfte ich auf ein Pferd, auch nicht auf mein eigenes …“
„So streng geht das hier zu?“
„Noch strenger!“
Als die Stunde zu Ende war, ohne daß einer der Reiter den Sattel geräumt hatte, atmeten alle auf. Mitwirkende und Zuschauer.
„Am besten ritt der Junge auf dem Rappen, fand ich“, sagte Onkel Kurt, Vaters Bruder, und wunderte sich, daß Petra und Anja gleichzeitig in Lachen ausbrachen. „Etwa nicht?“
„Der Junge ist eine Dame“, erklärte Petra, „das ist Cornelia. Aber die ist mutig wie ein Mann, wahrhaftig.“
„Was? Eine Dame? Cornelia? Wie heißt sie denn weiter?“
„Cornelia Nolde, Dr. Cornelia Nolde, Kinderärztin mit rotem VW – und ein Schatz. Ganz, ganz goldig“, berichtete Petra. „Da staunen Sie, was? Sie hat schon Jagden mitgeritten und eine L – wissen Sie, was das ist?“
Vaters Bruder staunte noch mehr, als sie erwartet hatte. „Cornelia Nolde, die kenn’ ich ja! Mit der hab’ ich studiert“, rief er, und seine Augen hinter den dicken Brillengläsern blitzten auf. „Du, sag mal, kann man sie mal sprechen? Jetzt gleich? Oder darf man nicht?“
„Doch, doch, können Sie. Sie muß aber erst den Flieder fertigmachen“, sagte Petra, „absatteln, Trense abspülen, Hufe auskratzen und Sattellage und Fesseln auswaschen. Das dauert eine Weile, aber dann können Sie schon.“
„Ich warte. Ich muß sie sprechen“, sagte Onkel Kurt bestimmt, „nein, so ein Zufall! Jahre und Jahre haben wir uns nicht gesehen. Wollt ihr auch warten?“
„Ich möchte eigentlich heim, wegen der Jungen“, sagte Mutter schüchtern. „Aber ihr könnt ja noch bleiben.“
„Wir gehen mit. Kurt bleibt, bis die Dame fertig ist, und begrüßt sie“, entschied Vater. „Wirst du zurückfinden?“
„Wir bleiben auch!“ erboten sich Anja und Petra wie aus einem Mund, und Onkel Kurt nahm sie sogleich rechts und links an die Hand.
„Ja, wunderbar! Und ihr führt mich zu Cornelia. Es ist schon so lange her, daß wir uns das letztemal sahen. Womöglich fällt sie hintenüber, wenn sie mich erkennt!“
„Ach was, Cornelia ist hart im Nehmen“, sagte Petra und zog ihn an der Hand mit sich, „Überraschungen sind immer schön. Kommen Sie.“ Kurt mußte im Laufschritt mitrennen, über den festgetretenen Schnee zum Stall hin. Anja zog an der anderen Hand. Atemlos kamen sie an.
„Laßt mich nur erst Luft holen“, stöhnte Onkel Kurt, „ich bring’ ja sonst kein Wort über die Lippen. Nein, was man alles erleben kann bei einer normalen Taufe!“
„Na, normal! Immerhin eine Zwillingstaufe“, japste Petra, und die beiden anderen mußten lachen. Und lachend traten sie in den Stall, der nach der Schneehelle draußen dämmerig und behaglich wirkte.
„Dort steht sie – dort steht Cornelia“, flüsterte Anja.
Ja, dort stand sie, Flieders Huf auf ihrem Knie, während sie mit einer Hand die Fessel umspannte und mit der anderen die Lohe aus der Höhlung des Hufs heraushebelte.
„Steh still, mein Guter, ja, so ist es brav. Siehst du – ja, einen schönen sauberen Huf haben wir …“
Sie ließ los, und er setzte den Fuß wieder ins Stroh. Cornelia sah auf.
„Nein! Kurt!“ Sie starrte ihn an, mit halboffenem Mund. Dann lachte sie. „Wie kommen Sie denn hierher?“
„Mit diesen beiden Stallburschen da.“ Er wies auf die Mädchen. „Wahrhaftig, Cornelia Nolde, und ich hielt Sie beim Reiten für einen jungen Mann. Dabei haben Sie sich überhaupt nicht verändert!“ Sie gaben einander die Hand. Petra versetzte Anja einen Schubs.
„Komm, wir gehen mal zur Rumpel rüber.“
„Elendskerl! Angsthase! Feigling! Du sollst ja weiter nichts als drauf sitzen!“
„Ich will aber nicht!“
„Ich halte ihn an der Trense, ich führe ihn.“
„Nein –“
„Jetzt los! Die anderen warten schon. Du kannst doch nicht den ganzen Verein aufhalten!“
„Ich will aber nicht!“
Petra stand, die eine Hand an Kerlchens Backenstück, mit der anderen hatte sie Werners Jackettkragen gepackt. Werner drehte und wand sich, um aus ihrem Griff zu entkommen. Anja trat, dahinter stehend, von einem Fuß auf den anderen, sie wußte nicht, ob sie zugreifen sollte oder nicht.
Ringsum ging es zu wie in einem Bienenschwarm oder wie in einem Ameisenhaufen, in den jemand mit einem Stock hineinfuhr und wo alles fieberhaft damit beschäftigt ist, wieder Ordnung zu schaffen.
Auf höchsten Hochglanz geputzte Pferde traten in der Stallgasse hin und her, während ihre Reiter, selbst im schönsten Dreß, noch immer an ihnen herumputzten oder ihre Stiefel, mit denen sie im Stand waren, aufs neue blank rieben. Schweife wurden verlesen, damit sie schön locker fielen, Pferdenasen ausgewischt und Schöpfe geordnet. Jeder sprach mit jedem, und keiner hörte auf den anderen.
„Wenn du jetzt nicht aufsitzt …“ Petras Stimme klang nach höchster Alarmstufe.
Werner fing an zu heulen.
„Ich will aber nicht!“
„Dann ist Kerlchen ohne Reiter. Wir rechnen doch mit dir! Das gemeinste ist, jemanden sitzenzulassen, der mit einem rechnet. Siehst du das nicht ein?“ fragte Petra verzweifelt. Vorgestern bei der Hauptprobe war Werner gnädiger Laune gewesen und mitgeritten, ganz ordentlich. Es war ja kein Reiten in diesem Sinne, er mußte nur drauf sitzen und eine einigermaßen gute Figur machen, während Kerlchen, neben und hinter den anderen, in die Halle hinuntertrottete und sich dort vorstellte. Also eine Sache ohne jedes Risiko. Herr Anders hatte sich sogar erboten, Kerlchen bis an die Hallentür zu führen.
„Vorgestern ist es doch auch gegangen! Also wenn du jetzt nicht augenblicklich –“
„Was findet denn hier für ein Ringkampf statt?“ fragte jemand hinter ihnen. Petra drehte sich um, ohne Werner loszulassen.
„Werner will nicht, er bockt!“ Petras Stimme klang verzweifelt. Herr Anders sah sie nachdenklich an.
„Dann laß ihn doch laufen, den dummen kleinen Kerl“, sagte er freundlich; es klang, als handele es sich um eine Nichtigkeit und nicht um das Nikolausreiten, das einmal im Jahr stattfand. „Wer nicht will, der hat, und wer nicht ißt, ist satt“, sagte Herr Anders heiter, „wie wär’s, wenn Anja einspränge?“
„An…“ Petra blieb der Mund offenstehen. Auch Anja starrte Herrn Anders an, als verstünde sie die Welt nicht mehr: Der lachte.
„Sie hat doch schon oft auf Kerlchen gesessen, wenn auch ohne Sattel. Aber mit Sattel ist es auch nicht schwieriger. Und ich führe ihn bis unten. In der Halle geht er wie eine Eins, mitten zwischen den anderen. Also, Anja, willst du, oder willst du nicht?“
„Oh –“ Diese eine Silbe sagte genug. Petra sah die Freundin einen Augenblick an, ließ dann Kerlchen los – der stand und geduldig wartete auf das, was da kommen würde – und zog ihrem lieben Bruder das schwarze Jackett vom Leibe, das noch von ihr stammte.
„Los, Anja, anziehen! Paßt dir bestimmt. Die Hose können wir nicht mehr wechseln, aber auf die guckt keiner. Geht’s? Na, wunderbar siehst du aus, wie ein Derbysieger.“
Anja trug zufällig einen weißen Rollkragenpullover, wie viele Reiter sie unter den schwarzen Jacketts anhatten. Freilich, die helle Turnierhose, die dazugehörte, besaß sie nicht, dafür aber hatte sie heute schwarze Gummistiefel an, die man bei flüchtigem Hinsehen für Reitstiefel halten konnte, und eine hellgraue Ribbelsamthose. Petra riß dem lieben Bruder mit einem geübten Griff die Sturzkappe vom Kopf.
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