„Nun erzähl mal, wohin euch der Nebel verschlagen hat“, sagte der Seewolf. „Ich möchte aber die Wahrheit hören, sonst lasse ich sie aus euch herausprügeln.“
Die beiden wirkten immer noch völlig verstört.
„Wo, wo sind wir hier?“ antwortete Jonny mit einer Gegenfrage.
„In einer Bucht des Tapti“, erklärte Hasard geduldig.
Die beiden hatten offenbar gar nicht begriffen, was ihnen widerfahren war, denn immer wieder sahen sie sich ungläubig um.
„Welchen Auftrag hattet ihr?“ fragte Hasard. „Hat euch Ruthland geschickt?“
„Uns – uns hat niemand geschickt. Wir sind ein bißchen herumgepullt, und dann muß etwas passiert sein.“
„Das hier ist passiert“, sagte der Profos drohend und hielt ihnen die riesige Pranke unter die Nase. „Ihr habt euch in die Bucht einschleichen wollen, um zu spionieren. Das haben wir deutlich gehört. Und wenn ihr jetzt nicht mit der Sprache herausrückt, dann ziehe ich euch die Haut in Streifen ab.“
Um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, zog er sein Entermesser und wetzte es an einem Flintstein. Dabei gab es prächtige Funken, denn der Profos wetzte das Messerchen, als rüste er sich zu einem großen Schlachtfest.
Die beiden nahmen seine Worte für bare Münze. Der Kerl mit dem narbigen Gesicht und dem fürchterlichen Amboßkinn würde seinen Worten ganz sicher die Tat folgen lassen. Die anderen sahen auch nicht gerade freundlich aus, und einer kratzte sich mit seiner eisernen Hakenprothese das Stoppelkinn. Dann hieb er diesen furchtbaren Haken ins Holz des Schanzkleides und hielt sich daran fest.
Stan und Jonny waren keine Helden, sie waren nur großmäulig, und jetzt hatten sie fürchterliche Angst, weil ohnehin alles schiefgegangen war.
„Ruthland und Garcia haben uns geschickt“, sagte Stan kläglich. „Wir sollten feststellen, wo euer Liegeplatz ist.“
„Das wißt ihr jetzt“, sagte Hasard kühl. „Und was beabsichtigen die beiden ehrenwerten Gents?“
Stan senkte den Kopf, und auch Jonny wollte nicht so recht mit der Sprache heraus. Erst als der Narbenmann mit dem Wetzen aufhörte und sich ihnen näherte, fanden sie schnell die Sprache wieder. Der Profos warf bereits einen prüfenden Blick auf ihre Achtersteven, an denen er herumschnippeln wollte.
„Sie warten nur noch ab, bis der Nebel sich etwas lichtet und der Wind stärker weht. Dann wollen sie lossegeln und dann – äh …“
„Wollen sie uns in der Bucht zusammenschießen“, vollendete Hasard.
Die Antwort war wiederum ein klägliches Nicken der beiden.
„Wie soll das vor sich gehen?“
„Wir sollten euren Liegeplatz erkunden und dann zurückkehren. Danach wollen beide Schiffe in die Bucht segeln, sie blockieren und das Feuer eröffnen.“
„Und ihr seid feuerbereit?“ fragte Hasard.
„Ja, es ist alles klar. Sie vermuteten euch in der ersten Bucht auf der anderen Seite des Flusses. Der Spanier hat alle Kanonen geladen, und wir – wir natürlich auch.“
Hasard ließ sich noch ein paar Einzelheiten berichten. Die beiden Kerle rückten ziemlich schnell mit den Antworten heraus.
Garcia und Ruthland hatten also vor, in die Bucht einzubrechen, das Feuer aus allen Rohren auf die hilflose Schebecke zu eröffnen, sie in Grund und Boden zu schießen und dann – falls noch etwas übrig war – zu entern. Der Seewolf sollte ihnen dabei möglichst lebend in die Hände fallen.
Hasard lachte leise bei dieser Eröffnung. Er quetschte die beiden nach weiteren Details aus und erfuhr auch von den Rohrkrepierern, die Don Juan in Szene gesetzt hatte.
„Wir sollten die Kerle mit einer falschen Nachricht zurückschicken“, meinte Big Old Shane. „Sie wissen nicht mal genau, was ihnen passiert ist, so schnell hat man sie hoppgenommen. Vielleicht wissen sie auch nicht, in welcher Bucht wir liegen. Sie werden eine andere angeben, und wir haben Zeit gewonnen.“
„Zu riskant“, sagte Hasard so, daß die beiden es nicht hören konnten. „Vielleicht wissen sie es doch und tun nur so als ob. Nein, die beiden Helden schicken wir nicht zurück. Wenn sie nicht erscheinen, werden Garcia und Ruthland nervös und verunsichert. Sie haben dann keine genauen Anhaltspunkte.“
„Was willst du mit ihnen tun, Sir?“
„Frage sie, ob sie schwimmen können.“
Als Shane die Frage an sie richtete, zuckten beide ängstlich zusammen.
„Jonny kann nicht schwimmen und ich auch nicht. Wenn Sie uns über Bord werfen, werden wir jämmerlich ertrinken“, sagte Stan. „Wir haben das ja nicht angezettelt, sondern die anderen. Wir haben nur die Befehle ausgeführt.“
Hasard sah das ein, aber er konnte und wollte die beiden auch nicht laufenlassen. Sie hätten nichts Eiligeres zu tun gehabt, als an Bord zurückzukehren.
Die beiden erwartete jetzt die Hölle, aber Hasard wandte sich an den Profos.
„Bring sie zur anderen Seite hinüber, Ed, und laß sie dort laufen.“
„Dann sind sie gleich wieder an Bord“, sagte der Profos, „und erzählen alles brühwarm.“
„Ich meine nicht die andere Flußseite, sondern dort drüben. Von da aus können sie sich uns nicht mehr nähern, denn die Bucht ist von der anderen Seite unterbrochen, wie du ja selbst festgestellt hast. Und über den Tapti können sie nicht. Stell aber erst mal fest, ob die beiden wirklich nicht schwimmen können“, raunte er dem Profos zu.
„Was – was geschieht jetzt mit uns?“ fragte Stan, der nicht mitgekriegt hatte, wovon die Arwenacks sprachen.
„Das werdet ihr schon sehen“, sagte Carberry. „Ab in die Jolle.“
Die beiden gehorchten schlotternd. Sie wußten immer noch nicht, was ihnen bevorstand.
Jan Ranse begleitete den Profos und die beiden Kundschafter nach unten in die Jolle. Dort schnappte sich Ed den Bärtigen und drehte ihm das schmierige Hemd zusammen.
Dann warf er ihn mit einem Schwung über Bord.
Der Mann ging unter, tauchte wieder auf, spie Wasser und schlug wie ein Wilder um sich. Er konnte tatsächlich nicht schwimmen.
Kurz bevor er wieder auf Tiefe ging, zog ihn der Profos an den Haaren nach oben.
Die gleiche Prozedur erfolgte mit dem anderen. Daß auch er nicht schwimmen konnte, sah Jan Ranse auf den ersten Blick. Der Bursche bewegte sich wie eine Bleiente im Wasser und japste hysterisch nach Luft, als er wieder in die Jolle gezerrt wurde. Die beiden hingen erschöpft und ausgelaugt auf den Duchten und rührten sich nicht.
„Können tatsächlich nicht schwimmen“, bemerkte Carberry trocken.
Sie pullten zur anderen Seite der Bucht, wo immer noch lange Nebelschwaden auf dem Wasser hingen. Der Dschungel ging dort übergangslos in das Ufer über. Mangroven hatten eine Lagune gebildet und standen dicht an dicht.
„Rührt euch nicht“, sagte der Profos, als sich einer der beiden bewegte, „sonst beiße ich euch die Ohren ab!“
Die Angst vor den beiden Arwenacks ließen Jonny und Stan erstarren. Steif und hölzern hockten sie auf der Ducht und bewegten sich nicht. Sie wollten sich nicht den Zorn des Narbenmannes zuziehen.
Die Jolle wurde von den Mangroven gebremst und rutschte über morastigen Schlick. Die Luft war unheimlich warm und schwül.
„Ihr seid da“, sagte Jan Ranse.
Die beiden sahen sich unbehaglich an.
„Was sollen wir hier? Was geschieht hier?“ fragte Stan.
„Hier passiert gar nichts“, erwiderte Carberry. „Ihr sollt euch nur die Beine vertreten und euch an der Landschaft erfreuen. Ihr könnt hier so lange bleiben, wie ihr wollt, sogar bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.“
Der Bärtige kletterte umständlich aus der Jolle und hielt sich krampfhaft an den hohen Stelzwurzeln fest. Unter ihm schmatzte hörbar der Mangrovensumpf, aus dem Blasen stiegen.
Der andere folgte unsicher und schwankend.
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