Auf methodischer Ebene schließlich werden unterschiedliche Datensorten und Auswertungsmethoden miteinander kombiniert. Die rekonstruktive Perspektive wird durch die Dokumentarische Methode realisiert, die als Klammer um die Prozess- und Akteursstudie dient und die in der Unterrichtsstudie auf Transkripte von Videographien, in der Profsessionsstudie auf Transkripte von Interviews angewendet wird. Nähere Informationen dazu finden sich in den beiden Teilstudien (Kap. 3 und Kap. 5). Diese Vorgehensweise ist notwendig, da die Theoriediskussion gezeigt hat, dass die Kooperativität des Unterrichts nicht nur durch die Analyse der Sichtstruktur zu bestimmen, sondern die tatsächliche Aufgaben- und Interaktionsstruktur des Unterrichts zu rekonstruieren ist. Daher wird in der Analyse der Versuch unternommen, mittels Dokumentarischer Methode auf die unterrichtliche Tiefenstruktur vorzudringen.
Die subsumtionslogische Perspektive wird hauptsächlich durch den C-Test realisiert, der über den gesamten Untersuchungszeitraum bei allen jeweils verfügbaren Lernenden der Lerngruppen eingesetzt wurde. Dessen Konstruktion und Auswertung wird in der Darstellung der Produktstudie (Kap. 4) umfassend erläutert. Dort werden vorrangig statistisch signifikante Effekte betrachtet. Nicht statistisch signifikante aber beschreibbare Befunde, wie z. B. Unterschiede zwischen den Lerngruppen, werden ebenfalls berichtet aber nicht weiterführend verfolgt.
Um die Teilstudien aufeinander beziehen zu können, werden die Befunde der Unterrichtsrekonstruktionen kategorial abstrahiert und Veränderungen über die zwei Jahre der Studie beschrieben. Wenn sich die rekonstruierten Eigenschaften des Unterrichts als durch fachdidaktisch etablierte Kategorien beschreibbar erweisen, werden sie entsprechend bezeichnet. Im Bereich der Aufgabenstruktur ist z. B. die Gegenüberstellung von Form- und Mitteilungsorientierung des Unterrichts aussagekräftig. Zur Erfassung der Kooperativität des Unterrichts wird zur Kategorisierung auf die im Theorieteil ausgeführten Basiselemente des KL zurückgegriffen (vgl. Kap. 2.2). Für jede mittels Dokumentarischer Methode analysierte Unterrichtsstunde wird nach Ende der rekonstruktiven Interpretation ein subsumtionslogischer Analyseschritt angeschlossen, durch den die Ergebnisse der Rekonstruktion auf die Basiselemente des KL zurückbezogen wurden. Damit wird das Ziel verfolgt, die Kooperativität des Unterrichts einzuschätzen und einen Vergleich zwischen den Lerngruppen und den Lernjahren zu ermöglichen. Innerhalb dieser subsumtionslogischen Einschätzung wurde auch die Kategorie „Nutzung und Erwerb sozialer Kompetenzen“ betrachtet und darin der jeweils sichtbare Stand der in den Kleingruppen gezeigten sozialen Kompetenzen abgebildet. Sie dient als Grundlage der globalen Einschätzung der Entwicklung der Sozialkompetenzen in den Gruppen. Dieser subsumtionslogische Schritt wurde durch die Diskussion der Einschätzungen (innerhalb des Forschungsteams) intersubjektiv abgesichert. Weitere Elemente der Sozialstruktur des Unterrichts lassen sich nicht ohne weiteres mit Begriffen aus speziellen Theoriezusammenhängen beschreiben. Hier werden jeweils Begriffe aus den Daten heraus entwickelt.
Von besonderer Bedeutung ist die Longitudinalität der Untersuchung. Sie ist daher als Fallstudie angelegt, in der vier Klassen über drei Jahre hinweg begleitet werden. Da bislang keine Untersuchungen vorliegen, die KL über einen derart langen Zeitraum, unter schulischen Realbedingungen und derartig multiperspektivisch untersucht haben, ist die Untersuchung explorativ angelegt. Sie wurde über drei Jahre in echtem Längsschnitt durchgeführt (Abb. 2.2). Nach Vorarbeiten im Sommer des ersten Jahres wurde von den Lehrer*innen im Winter des ersten Jahres ein vierwöchiger Probelauf im Englischunterricht der Klasse 5 durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt fand auch jeweils das berufsbiographische Eingangsinterview statt, die Testinstrumente wurden pilotiert. Neben dem C-Test wurden zunächst noch Tests des Hörverstehens und Leseverstehens, sowie ein Test der mündlichen Kommunikationsfähigkeit mittels videographierter Gespräche von Lernerpaaren pilotiert. Für diese weiteren Sprachtests ist leider über den gesamten Untersuchungszeitraum die gemeinsame Stichprobe derart klein geworden, dass eine aussagekräftige Auswertung nicht mehr möglich war. Am Ende des ersten Jahres (Klasse 5) wurden dann die Erhebungen des eigentlichen Ausgangszustands des zweijährigen Untersuchungszeitraums durchgeführt: episodisches Interview mit den Lehrer*innen, Videographie und teilnehmende Beobachtung des Unterrichts, C-Test zur Ermittlung des Eingangsniveaus der Sprachkompetenz. Diese Erhebungen wurden am Ende von Klasse 6 und am Ende von Klasse 7 jeweils identisch wiederholt. Über die Schuljahre hinweg wurden außerdem teilnehmende Beobachtungen des Unterrichts durchgeführt. Wenn dies notwendig war, erfolgten auch zusätzliche Interviews.
Zeit |
Unterrichtsaktivität |
Forschung |
Winter 2007 |
Pilot Unit |
Berufsbiographisches Interview, teilnehmende Beobachtung, Baseline Sprachtests (C-Tests) |
Sommer 2007 |
Drei kooperative Units von Lehrpersonen entwickelt |
Begleitinterview, C-Tests Schüler*innen, Videographie und teilnehmende Beobachtung Unterricht |
Winter 2008 |
Drei kooperative Units gemeinsam entwickelt |
Videographie und teilnehmende Beobachtung Unterricht |
Sommer 2008 |
Drei kooperative Units gemeinsam entwickelt |
Begleitinterview, C-Tests Schüler*innen, Videographie und teilnehmende Beobachtung Unterricht |
Winter 2009 |
Drei kooperative Units gemeinsam entwickelt |
Videographie und teilnehmende Beobachtung Unterricht |
Sommer 2009 |
Drei kooperative Units gemeinsam entwickelt |
Begleitinterview, C-Tests Schüler*innen, Videographie und teilnehmende Beobachtung Unterricht |
Winter 2010 |
|
Abschlussinterview Lehrer*innen |
Tab. 2.3:
Ablauf der Untersuchung.
Der Englischunterricht der Klassenstufen 6 und 7 erfolgte in Form von KL. Die Unterrichts- und Materialentwicklung wurde von Lehrer*innen und Forscher*innen gemeinsam in drei Schritten vorgenommen. Als erster Schritt wurde zu Beginn des zweiten Halbjahres der Klassenstufe 5 ein Planungsgespräch durchgeführt, in dem die Lehrer*innen ihre Vorstellungen für den Unterricht der Klassenstufe 6 darlegten. Diese Vorstellungen wurden diskutiert und in eine grobe Skizze des Unterrichts umgesetzt. Darin wurden zu behandelnde Inhalte aus Lehrbuch und Workbook, sowie die Progression der zu verwendenden und einzuführenden kooperativen Methoden festgehalten. Im Laufe des folgenden Sommersemesters wurden diese Vorstellungen in einem Seminar zu KL in Unterrichtsmaterialien für das erste Halbjahr der Klasse 6 umgesetzt. Dazu wurde für jede Unit des Lehrbuchs Green Line 2 (Klassenstufe 6) ein sogenanntes Unit-Book erstellt. Darin wurden alle zu verwendenden Inhalte und Materialien des Lehrbuchs kooperativ aufbereitet und mit kooperativen Methoden umgestaltet. Außerdem wurde für jede neu einzuführende kooperative Methode ein Methodenarbeitsblatt erstellt. Die Entwürfe der Unit-Books wurden den Lehrer*innen vor Beginn des Halbjahres übergeben, und sie konnten Korrekturwünsche und Änderungswünsche zurückmelden. Zu jedem Material wurde außerdem ein Vorschlag für einen Stundenablaufplan erstellt. Analog wurde der Unterricht für das zweite Halbjahr der Klassenstufe 6 geplant. Das Unit-Book wurde den Lehrer*innen jetzt allerdings elektronisch zugänglich gemacht, damit sie flexibler Änderungen vornehmen konnten.
Da sich auch dies noch als zu unflexibel erwies, wurde die Planung des Unterrichts für die Klassenstufe 7 nochmals modifiziert. Wieder fand das gemeinsame Planungsgespräch statt, und auch die Materialien wurden im Seminar erarbeitet. Allerdings wurden nun nicht mehr ganze Stunden geplant, sondern die Lehrer*innen erhielten auf eigenen Wunsch nur noch die jeweilige zentrale Aktivität als Kombination aus einem Material und einer Aufgabe: 20–25 Minuten lang für eine Einzelstunde, 40–50 Minuten lang für eine Doppelstunde. Diese Blöcke konnten sie dann flexibel mit anderen Unterrichtsaktivitäten kombinieren: als Klassenlehrer*innen mussten sie immer wieder Klassengeschäfte im Englischunterricht erledigen, und die Vorbereitung von Klassen- oder Vergleichsarbeiten erforderte immer wieder nicht langfristig planbare Aktivitäten. Als zweite Änderung wurden Texte und Übungen aus Lehr- und Workbook nicht mehr in die zu erstellenden Arbeitsmaterialien übernommen, sondern es wurde auf die entsprechenden Materialien nur noch verwiesen. Dies reduzierte die Menge an zusätzlichen Arbeitsblättern für die Schüler*innen erheblich.
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