Später erfuhr Carú […], dass der Typ dem mittleren Management von Publitalia angehörte, der Werbeagentur von Berlusconis TV-Sendern. Am Anfang war er zwar ungläubig und auch ein wenig belustigt gewesen – Berlusconi in der Politik? Reagan war zwar auch Präsident der USA gewesen, immerhin – doch in den Tagen darauf sah er die Sache langsam in einem anderen Licht. […] Von Berlusconi ging eine gewisse Faszination aus. Er hatte Charisma. Er war skrupellos. Wer ihn kannte, behauptete, dass man sich seinem Charme kaum entziehen konnte. Er war glühender Antikommunist. Er war überzeugt, dass es die Linken auf ihn abgesehen hatten. Der Sieg der Roten war womöglich sein Untergang. Berlusconi hatte auch einen Haufen Schulden und eine politische Lösung konnte seinem Unternehmen nur nutzen. ( Schmutzige Hände 216-7)13
Für die Frage, in welcher Form in De Cataldos Roman Kritik an wirtschaftlichen beziehungsweise kapitalistischen Strukturen geäußert wird, sind in erster Linie die in freier indirekter Rede wiedergegebenen Überlegungen Carús zur Rolle Berlusconis von Bedeutung. Aus Carús Visionen für die politische Zukunft Italiens geht deutlich hervor, dass durch Berlusconi als Schlüsselfigur eine klare Trennung zwischen Staat und Wirtschaft beziehungsweise Unternehmertum nicht mehr möglich ist. Zentral hierfür ist die Aussage: „Berlusconi hatte auch einen Haufen Schulden und eine politische Lösung konnte seinem Unternehmen nur nutzen.“ Zudem wird die fast schon paranoide Angst Berlusconis vor „den Kommunisten“ genannt, etwa in der Formulierung „[d]er Sieg der Roten war womöglich sein Untergang“ – ein Hinweis darauf, dass mögliche Staats- und Wirtschaftsformen jenseits des Kapitalismus für einen Unternehmer wie Berlusconi ein ‚ worst case scenario ‘ darstellen.
Weitere Beispiele aus dem Roman verstärken diesen Eindruck. Exemplarisch dafür ist ein Kapitel, in dem Carú sich mit dem ehemaligen Kommissar Scialoja – einer bereits aus Romanzo criminale bekannten Figur – trifft und versucht, ihn davon zu überzeugen, sich ebenfalls an einer möglichen zukünftigen Regierung Berlusconi zu beteiligen:
Scialoja hatte wie betäubt zugehört, während sein Gehirn auf Hochtouren arbeitete. Neue Partei … unvorstellbares Szenarium … der Unternehmer wird Staatsmanager, beziehungsweise der Manager des Staates … eine faszinierende Idee, nein, mehr noch, eine verführerische Idee … Berlusconi … der so sympathisch ist … so gerissen … so italienisch … ( SH 308).
Hier wird die Verknüpfung, ja mehr noch, die komplette Verschmelzung von Politik und Wirtschaft deutlich: In der freien indirekten Rede der Figur Scialoja wird Berlusconi nicht mehr als Ministerpräsident, sondern als „Staatsmanager“, als „Manager des Staates“ bezeichnet.14
Auch ein weiterer Aspekt der Kapitalismuskritik, der mögliche Moral- und Gemeinschaftsverlust in kapitalistischen Gesellschaften, kommt in Nelle mani giuste zum Tragen. Berlusconi als exemplarischer Kapitalist wird aus der figuralen Perspektive Carús explizit als „skrupellos“ ( SH 217) bezeichnet; die Figur Carú selbst, die sich ganz in den Dienst Berlusconis und der ‚neuen Rechten‘ stellt, steht ihm in dieser Hinsicht in nichts nach:
Carú nahm sich nie ernst. Carú nahm keine Idee ernst. Carú hielt das rechte Gedankengut für Dreck.
Carú hielt das linke Gedankengut für Dreck. Carú hielt jedes Gedankengut für Dreck.
Carú dachte, dass sich ein intelligenter Mensch gewissermaßen eine Zeitlang von einer Idee pachten lässt, um größtmöglichen Profit daraus zu schlagen. Keine Minute länger, keine Minute weniger. ( SH 214-5)
Carú wird als Repräsentant einer Haltung gegenüber Staat und Gesellschaft inszeniert, für die nur die Profitmaximierung und das eigene Weiterkommen zählt; die anaphorische Wiederholung seines Namens unterstreicht diese Ich-Bezogenheit. Die Verwendung eines marktwirtschaftlichen Vokabulars – pachten, Profit15 – verweist auf das bereits angesprochene Themenfeld der Kapitalismuskritik, das sich mit Fragen von Moral oder Unmoral befasst: Carù steht dabei für einen politischen Akteur, dessen ‚Engagement‘ von Profitgier und Eigennutz und nicht vom Interesse am Gemeinwohl bestimmt ist.
Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass die Fiktion im Falle von Nelle mani giuste die Möglichkeit bietet, anhand entsprechend gezeichneter – und auch bewusst überzeichneter Figuren, wie das Beispiel Carús verdeutlicht – komplexe Zusammenhänge sowie Kritik an politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen auf den Punkt zu bringen. Eine entsprechende Äußerung De Cataldos findet sich auch im Vorwort zu Nelle mani giuste ; hier spricht der Autor gezielt von der Funktion solcher fiktionaler Freiheiten:
Abgesehen von den bewusst genannten realen Personen sind die Protagonisten dieses Romans jedoch frei erfunden; Firmennamen, öffentliche Strukturen, Medien und Politiker werden nur genannt, um Figuren, Bilder und das Wesen der kollektiven Träume zu benennen, die sie wesentlich mitgeprägt haben. Nur die metaphorische Überhöhung gestattet es, die Personen, die dem Autor als Vorbild gedient haben, in literarische Archetypen zu verwandeln. ( SH 5)
In De Cataldos Anmerkungen zu seinem Roman finden sich Bezugspunkte zu den bereits eingangs angesprochenen Merkmalen fiktionalen Erzählens, die es auf einer pragmatischen Ebene von faktualem Erzählen unterscheiden:
[…] what distinguishes fictional narrative from factual narrative is not that the former is referentially void and the latter referentially full. What distinguishes them is the fact that in the case of fictional narrative the question of referentiality is irrelevant, whereas in non-fictional narrative contexts it is important to know whether the narrative propositions are referentially void or not. (Schaeffer, Absatz 26)16
Bedeutet diese Aussage, dass fiktionales Erzählen nicht daran gemessen werden kann, ob die darin getroffenen Aussagen einen konkreten Bezug in der ‚realen‘ Welt haben, heißt dies im Umkehrschluss aber nicht zwangsläufig, dass dies nicht der Fall sein darf – in De Cataldos Fall ist der Verweis auf reale Personen und Ereignisse sogar eminent wichtig, damit die Leserinnen und Leser einen Bezug zur konkreten Situation in Italien erkennen und zu kritischer Reflexion angeregt werden können.
4. Gomorra : ‚hautnahes‘ Erleben der Folgen illegaler Wirtschaftskreisläufe für Mensch und Umwelt
Obwohl die Inhalte von Gomorra sich von denen in Nelle mani giuste unterscheiden, geht Saviano ähnlich vor wie De Cataldo und verbindet Fakten mit fiktionalen Erzählanteilen – mit dem Unterschied, dass Gomorra nicht explizit, zum Beispiel durch den Zusatz ‚Kriminalroman‘, als Fiktion gekennzeichnet ist und keinem bestimmten Genre zugeordnet wird, sondern als hybrider Text, als ‚Dokufiktion‘ bezeichnet werden kann. Gomorra ist in zwei Teile gegliedert, deren Kapitel sich mit verschiedenen Aspekten der Camorra, des organisierten Verbrechens in der süditalienischen Region Kampanien, vor allem in Neapel und in der Provinz Caserta, befassen. Geschildert werden dabei unter anderem die verschiedenen Tätigkeitsfelder, in welche die Camorra verstrickt ist, vom Drogenhandel über die illegale Textilindustrie, in der gefälschte Markenkleidung hergestellt und international vertrieben wird, bis hin zu den Aktivitäten als ‚Ökomafia‘ bei der illegalen Beseitigung von zum Teil giftigem Müll. Gleichzeitig bietet Gomorra einen Einblick in die Strukturen der Camorra-Clans,1 zeigt den Alltag in den von der Camorra beherrschten Gebieten und präsentiert ihre Akteure sowie engagierte Persönlichkeiten, die sich dem organisierten Verbrechen entgegenstellen. Deutlich geht aus Savianos Schilderungen hervor, dass die Camorra das politische und private Leben in den Gebieten, die von ihr kontrolliert werden, in allen Facetten durchdringt, wie es auch in anderen Quellen dargestellt wird:
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