Die Meere ziehen, als wären sie verletzt, ihre blauen Fluten weit von den Bergen fort und bäumen sich hoch auf.
Und die Meere werden zu hohen Gebirgen.
Und jetzt gehen ihnen die Fahrstraßen nach und fragen heftig: »Wird uns das Außerunsseiende leichter bewußt als das sogenannte Ich?«
»Sind Welt und Ich bloß Traumspäße?«
»Ist überhaupt ein Wesen denkbar, das der Welt ins Herz sehen kann?«
Und wogende Kornfelder fragen: »Hat die Welt ein Herz?«
»Ist die Welt ein einziges Wesen – so wie ein Kornfeld?«
»Hat die Welt eine Haut?«
»Ist die Welt klüger als alles das, was in ihr lebt?«
»Kann ein Ding, das in der Welt lebt, mal ebenso klug oder ebenso dumm wie die ganze Welt werden?«
Die Wälder aber ballen sich wieder zusammen wie Igel und fragen knarrend: »Wenn wir fragen, ob wir selbst es sind, die da fragen – ist das denn wirklich die größte Frage?«
»Wenn wir fragen, ob wir selbst es sind, die da denken – ist das denn wirklich der größte Gedanke?«
Da spritzen die Meere ihre Fluten empor, daß es aussieht, als gingen Millionen Fontänen in die Höhe.
Und die Geister der Tüte vernehmen, wie die Meere ganz deutlich schimpfen und sagen: »Seid doch froh, daß Ihr so viel Vergnügen am Fragen findet. Ihr seid so naiv wie die patriotischen Krieger. Würden wir Euch Eure Fragen alle beantworten, so würdet Ihr nur auf neue Fragen sinnen müssen. Dieser Mühe sollt Ihr durch unser Schweigen überhoben sein.«
Da recken sich die Berge mit den Burgen, die Fahrstraßen und Kornfelder ganz hoch in die Höhe und wollen mit den Meeren kämpfen.
Aber den Meeren wachsen weiße Flügel in den Seiten.
Und die Riesenfrösche fliegen, während die weißen Flügel mächtig wachsen, in großen Bogen aus den blauen Fluten raus und fliegen mit solcher Wucht gegen die Berge und auf die Fahrstraßen, daß die lustigen Tiere platzen und elendiglich verrecken.
Und dann hauen die blauen Meere so heftig mit ihren weißen Flügeln um sich, daß die Berge zu Billionen Steinen zerschlagen werden, die die Frösche und Wälder, Fahrstraßen und Kornfelder ganz und gar überschütten, so daß die Mooslandschale von oben bis unten mit Steinen übersät ist, als hätte es Steine geschneit.
Und die blauen Meere erheben sich und fliegen mit ihren weißen Flügeln wie Riesenvögel hoch empor zum Himmel.
Und die geflügelten Meere, in deren Wasserleibe die Fische herumschwimmen und die Korallen wachsen und die Seesterne mit den Austern kämpfen – diese geflügelten Meere werfen große Schatten hinunter, die viel, viel größer sind als Billionen Meere zusammen.
Die Opalaugen der Geistertüte können bald gar nichts mehr erkennen – so dunkel sind die großen Meeresschatten.
Aber am fernen Rande der großen Schale, in deren Mitte die Tüte steckt, sehen die Opalaugen unheimliche Gespenster – die kriechen wie Spinnen über den Rand und kommen sachte heruntergekrochen.
Wie sie sich aber aufrichten, erschrecken die Geister der Tüte über die ungeheure Größe dieser Spinnen; sieben schrecklich lange Beine tragen einen Panzerrumpf; krinolinenartig stehen die Beine auf dem schrägen mit Steinen übersäten Boden der Schale.
Und der Panzerrumpf geht hoch in den Himmel hinauf, der jetzt so grau ist wie Blei und nicht sehr hell – und so seltsam gerippt erscheint, als gingen Röhren durch.
Die Gespenster haben oben einen ganz kleinen Kopf, in dem kaum die Augen zu unterscheiden sind.
Sieben riesig lange Arme haben die Riesenspinnen, und in sieben knolligen Fäusten halten sie den Griff eines rostigen Bratenmessers, das gefährlich aussieht.
Und diese unheimlichen Gesellen klettern einander auf die Schultern, und die obersten berühren mit ihren rostigen Bratenmessern den bleigrauen Himmel – und schneiden nun vorsichtig große siebeneckige Stücke aus dem Himmel raus.
Und durch die siebeneckigen Löcher können die Opalaugen in ein großes, buntes Sternenall sehen, in dem es sehr hell ist.
Und die Opalaugen sehen, daß da die bunten Sterne mit bunten langen Stricken aneinander gebunden sind, so daß dieser Sternhimmel wie ein alter Winkel aussieht, in dem unzählige Spinngewebefäden Wustnetze bilden.
Und die siebenbeinigen Gespenster steigen mit ihren Bleihimmelstücken herunter und wollen mit dem himmlischen Gut davongehen nach hinten zum fernen Rande, wo sie herkamen.
Aber die Bleihimmelstücke drehen sich den langen Kerlen aus den Händen raus und schweben wie fliegende Swift-lnseln empor und schweben in der Luft herum.
Die Siebenbeinigen stehen ganz ratlos da.
Plötzlich aber fallen die Bleihimmelstücke den Siebenbeinigen auf den Kopf und drücken den Rumpf mit solcher Gewalt durch, daß unten die langen Beine wie Glas zersplittern.
Die Bleihimmelstücke schlagen aber gleich mit den Panzerrümpfen so tiefe Löcher in die Mooslandschale, daß die auch auseinander berstet und in großen Stücken in eine unbekannte Tiefe fällt.
Die Opalaugentüte bricht dabei um und fällt den Bleihimmelstücken und den Mooslandschalenstücken nach.
Und die Geister lösen sich voneinander los und fallen in ein dunkles Luftreich, in dem sie sich wieder verwandeln und seltsame Blumengerüche empfinden.
In dem dunklen Luftreich duften unsichtbare Blumen so stark, daß die Geister an ferne Vergangenheit denken mussen – und sich plötzlich an ein langes, langes Leben erinnern.
Inhaltsverzeichnis
Geister, die lange nichts von ihren Füßen wußten, fühlen wieder, daß sie Füße haben, und können wieder gehen.
Das ist aber keine Erlösung.
Das Gehen ist eine Qual.
Von vielen seltsamen Geruchsempfindungen werden unzählige Erinnerungen aufgeweckt; und die sind so lebhaft, da der Pfad, auf dem die Geister gehen, ganz dunkel ist wie ein vergessener Keller.
Und die Erinnerungen nagen an den Geistern und schwächen ihre Lebenskraft; lange vergangene Zeiten erscheinen den Wandernden nur als große Qualketten; betäubende Blumendüfte machen die Erinnerungsschwere noch fühlbarer.
Da zünden sich vorn und rechts und links kleine räuchernde Lampen an und beleuchten spärlich eine breite Steintreppe.
Trübselig ist die Beleuchtung – da brennen so die richtigen Tranfunzeln.
Den Geistern wird nicht besser, aber sie steigen die schlecht behauenen Steinstufen hinan – immer höher und höher, obschon keiner weiß, wohin die Treppe führt; oben ist wenig zu erkennen, da die Tranfunzeln ihr bißchen Licht bloß an die Seiten werfen.
Und während die Geister mühselig auf der breiten Steintreppe aufwärts steigen, werden sie von drückenden Empfindungen ganz und gar umgarnt, und ihre Gedanken gehen immer mehr nach jener Richtung hin, die dem Leben keinen Glanz läßt.
Und es kommt den Geistern ihr ganzes Leben so recht überflüssig vor. Und dann dauert's nicht lange, und alle erklären einstimmig: »Es ist ja doch alles Unsinn.«
Jedes Streben und jedes Zielsetzen wird als Albernheit bezeichnet. Die Resultatlosigkeit grinst die Geister plötzlich in allen Dingen an.
Und die penetrante Empfindung, daß alles resultatlos und als alberne Spinnerei verläuft, erstickt jeden frischen Ton, so daß die Geister – es sind immer noch zehntausend Mann – stumpfsinnig werden wie betrogene Gauner.
Nur Knipo hält sich noch mit zwei anderen Geistern etwas aufrecht.
Alles Glänzende, das die Vergangenheit bot, ist verblaßt, und nur das Trübe und Leere wirkt in den zehntausend fort.
Einige Geister fallen und bleiben auf den Steinstufen liegen; niemand kümmert sich darum.
Knipo sagt stöhnend: »Mir ist ja beinah so wie einem Arbeiter zumute, aber – hatte man nach der Arbeit nicht mal so'n frohes Gefühl?«
»Jawohl«, erwidert der gelbe Geist neben ihm, »die sogenannte Arbeit war immer eine etwas billige Nervenaufregung.«
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