Wenn die beiden Geschlechter genau denselben Lebensgewohnheiten folgen und das Männchen hat höher entwickelte Sinnes- oder Locomotionsorgane als das Weibchen, so kann es wohl sein, daß diese in ihrem vervollkommneten Zustand für das Männchen zum Finden des Weibchens unentbehrlich sind; aber in der ungeheuren Mehrzahl der Fälle dienen sie nur dazu, dem einen Männchen eine Überlegenheit über ein anderes zu geben. Denn die weniger gut ausgerüsteten Männchen werden, wenn ihnen Zeit gelassen wird, auch noch dazu kommen, sich mit den Weibchen zu paaren, und sie werden in allen übrigen Beziehungen, nach der Structur des Weibchens zu urtheilen, gleichmäßig ihrer gewöhnlichen Lebensweise gut angepaßt sein. In derartigen Fällen muß geschlechtliche Zuchtwahl in Thätigkeit getreten sein. Denn die Männchen haben ihre jetzige Bildung nicht dadurch erreicht, daß sie zum Überleben in dem Kampfe ums Dasein besser ausgerüstet sind, sondern dadurch, daß sie einen Vortheil über andere Männchen erlangt und diesen Vortheil nur auf ihre männlichen Nachkommen überliefert haben. Es war gerade die Bedeutung dieses Unterschieds, welche mich dazu führte, diese Form der Zuchtwahl als »geschlechtliche Zuchtwahl« zu bezeichnen. Wenn ferner der hauptsächlichste Dienst, welchen die Greiforgane dem Männchen leisten, darin besteht, das Entschlüpfen des Weibchens noch vor der Ankunft anderer Männchen oder während des Angriffs von solchen zu verhüten, so werden diese Organe durch geschlechtliche Zuchtwahl vervollkommnet worden sein, d. h. durch den Vortheil, welchen gewisse Männchen über ihre Nebenbuhler erlangt haben. Es ist aber in den meisten derartigen Fällen unmöglich, zwischen den Wirkungen der natürlichen und der geschlechtlichen Zuchtwahl zu unterscheiden. Es ließen sich leicht ganze Capitel mit Einzelnheiten über die Verschiedenheiten zwischen den Geschlechtern in ihren Sinnes-, Locomotions- und Greiforganen füllen. Da indessen diese Bildungen von nicht mehr Interesse als andere den gewöhnlichen Lebenszwecken angepaßte sind, so will ich sie fast ganz übergehen und nur einige wenige Beispiele von jeder Classe anführen.
Es giebt viele andere Bildungen und Instincte, welche durch geschlechtliche Zuchtwahl entwickelt worden sein müssen, – so die Angriffswaffen und die Vertheidigungsmittel, welche die Männchen zum Kampfe mit ihren Nebenbuhlern und zum Zurücktreiben derselben besitzen – ihr Muth und ihre Kampflust, – ihre Ornamente verschiedener Art, – ihre Organe zur Hervorbringung von Vocal- und Instrumentalmusik – und ihre Drüsen zur Absonderung riechbarer Substanzen. Die meisten dieser letzteren Bildungen dienen nur dazu, das Weibchen anzulocken oder aufzuregen. Daß diese Auszeichnungen das Resultat geschlechtlicher und nicht gewöhnlicher Zuchtwahl sind, ist klar, da unbewaffnete, nicht mit Ornamenten verzierte oder keine besonderen Anziehungspunkte besitzende Männchen in dem Kampfe um's Dasein gleichmäßig gut bestehen und eine zahlreiche Nachkommenschaft hinterlassen würden, wenn nicht besser begabte Männchen vorhanden wären. Wir dürfen schließen, daß dies der Fall sein würde; denn die Weibchen, welche ohne Waffen und Ornamente sind, sind doch im Stande, leben zu bleiben und ihre Art fortzupflanzen. Secundäre Geschlechtscharaktere von der eben erwähnten Art werden in den folgenden Capiteln ausführlich erörtert werden, da sie in vielen Beziehungen von Interesse sind, aber ganz besonders, da sie von dem Willen, der Wahl und der Rivalität der Individuen jedes der beiden Geschlechter abhängen. Wenn wir zwei Männchen sehen, welche um den Besitz des Weibchens kämpfen, oder mehrere männliche Vögel, welche ihr stattliches Gefieder entfalten und die fremdartigsten Gesten vor einer versammelten Menge von Weibchen anstellen, so können wir nicht daran zweifeln, daß sie, wenn auch nur durch Instinct dazu getrieben, doch wissen, was sie thun, und mit Bewußtsein ihre geistigen und körperlichen Kräfte anstrengen.
In derselben Art und Weise, wie der Mensch die Rasse seiner Kampfhähne durch die Zuchtwahl derjenigen Vögel verbessern kann, welche in den Hahnenkämpfen siegreich sind, so haben auch, wie es den Anschein hat, die stärksten und siegreichsten Männchen oder diejenigen, welche mit den besten Waffen versehen sind, im Naturzustande den Sieg davon getragen und haben zur Verbesserung der natürlichen Rasse oder Species geführt. Im Verlaufe der wiederholten Kämpfe auf Tod und Leben wird ein geringer Grad von Variabilität, wenn derselbe nur zu irgend einem Vortheile, wenn auch noch so unbedeutend, führt, zu der Wirksamkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl genügen; und es ist sicher, daß secundäre Sexualcharaktere außerordentlich variabel sind. In derselben Weise wie der Mensch je nach seiner Ansicht von Geschmack seinem männlichen Geflügel Schönheit geben oder, richtiger ausgedrückt, die ursprünglich von der elterlichen Species erlangte Schönheit modificieren kann, – wie er den Sebright-Bantam-Hühnern ein neues und elegantes Gefieder, eine aufrechte und eigenthümliche Haltung geben kann, – so haben auch allem Anscheine nach im Naturzustande die weiblichen Vögel die Schönheit oder andere anziehende Eigenschaften ihrer Männchen dadurch erhöht, daß sie lange Zeit hindurch die anziehenderen Männchen sich erwählt haben. Ohne Zweifel setzt dies ein Vermögen der Unterscheidung und des Geschmacks von Seiten des Weibchens voraus, welches auf den ersten Blick äußerst unwahrscheinlich erscheint; doch hoffe ich durch die später anzuführenden Thatsachen zu zeigen, daß die Weibchen factisch dies Vermögen besitzen. Wenn indessen gesagt wird, daß die niedern Thiere einen Sinn für Schönheit haben, so darf nicht etwa vermuthet werden, daß ein solcher Sinn mit dem eines cultivierten Menschen mit seinen vielgestaltigen und complicierten associierten Ideen vergleichbar ist. Richtiger würde es sein, den Geschmack am Schönen bei Thieren mit dem bei den niedrigsten Wilden zu vergleichen, welche sich mit allen möglichen brillanten, glänzenden oder merkwürdigen Gegenständen bedecken und dies bewundern.
Nach unserer Unwissenheit in Bezug auf mehrere Punkte ist die genaue Art und Weise, in welcher geschlechtliche Zuchtwahl wirkt, etwas unsicher zu bestimmen. Wenn trotzdem diejenigen Naturforscher, welche bereits an die Veränderlichkeit der Arten glauben, die folgenden Capitel lesen wollen, so werden sie, denke ich, mit mir darüber übereinstimmen, daß geschlechtliche Zuchtwahl in der Geschichte der organischen Welt eine bedeutende Rolle gespielt hat. Es ist sicher, daß bei fast allen Thieren ein Kampf zwischen den Männchen um den Besitz des Weibchens besteht. Diese Thatsache ist so notorisch, daß es überflüssig sein würde, hier Beispiele anzuführen. Es können daher die Weibchen unter der Voraussetzung, daß ihre geistigen Fähigkeiten für die Ausübung einer solchen Wahl hinreichen, eines von mehreren Männchen auswählen. In zahlreichen Fällen aber machen besondere Umstände den Kampf zwischen den Männchen besonders heftig. So kommen bei unsern Zugvögeln allgemein die Männchen vor den Weibchen auf den Brüteplätzen an, so daß viele Männchen bereit sind, um jedes einzelne Weibchen zu kämpfen. Die Vogelfänger behaupten, daß dies unabänderlich bei der Nachtigall und dem Plattmönche der Fall ist, wie mir Mr. Jenner Weir mitgetheilt hat, welcher die Angabe in Bezug auf die letztere Species selbst bestätigen kann.
Mr. Swaysland von Brighton, welcher während der letzten vierzig Jahre unsere Zugvögel bei ihrem ersten Eintreffen zu fangen pflegte, hat niemals die Erfahrung gemacht, daß die Weibchen irgend einer Art vor ihren Männchen ankämen. Während eines Frühlings schoß er neununddreißig Männchen von Ray's Bachstelze ( Budytes Raii ), ehe er ein einziges Weibchen sah. Mr. Gould hat durch die Section der zuerst in England ankommenden Becassinen ermittelt, daß die männlichen Vögel vor den weiblichen ankommen. Dasselbe gilt für die meisten Zugvögel der Vereinigten Staaten. 438In der Periode, in welcher der Lachs in unseren Flüssen aufsteigt, ist die Majorität der Männchen vor den Weibchen zur Brut bereit. Allem Anscheine nach ist dasselbe bei Fröschen und Kröten der Fall. In der ganzen großen Classe der Insecten schlüpfen die Männchen fast immer vor dem anderen Geschlechte aus dem Puppenzustande aus, so daß sie meistens eine Zeit lang schwärmen, ehe irgendwelche Weibchen sichtbar sind. 439Die Ursache dieser Verschiedenheit zwischen der Periode der Ankunft der Männchen und der Weibchen und deren Reifeperiode ist hinreichend klar. Diejenigen Männchen, welche jährlich zuerst in ein Land einwandern oder welche im Frühjahre zuerst zur Brut bereit sind oder die eifrigsten sind, werden die größte Anzahl von Nachkommen hinterlassen, und diese werden ähnliche Instincte und Constitutionen zu vererben neigen. Man muß im Auge behalten, daß es unmöglich gewesen wäre, die Zeit der geschlechtlichen Reife bei den Weibchen wesentlich zu ändern, ohne gleichzeitig die Periode der Hervorbringung der Jungen zu stören – eine Periode, welche durch die Jahreszeiten bestimmt werden muß. Im Ganzen läßt sich nicht daran zweifeln, daß fast bei allen Thieren, bei denen die Geschlechter getrennt sind, ein beständig wiederkehrender Kampf zwischen den Männchen um den Besitz der Weibchen stattfindet.
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