Es scheint, als wenn der hinterste Backzahn, der sogenannte Weisheitszahn, bei den civilisierten Menschenrassen rudimentär zu werden strebte. Diese Zähne sind meistens kleiner als die anderen Backzähne, wie es gleichfalls mit den entsprechenden Zähnen beim Schimpanse und Orang der Fall ist; auch haben sie nur zwei getrennte Wurzeln. Sie durchbrechen das Zahnfleisch nicht eher als im siebzehnten Jahre ungefähr, und man hat mir versichert, daß sie viel mehr der Zerstörung ausgesetzt sind und früher verloren werden, als die anderen Zähne; doch widersprechen dem ausgezeichnete Zahnärzte. Auch sind sie viel mehr, sowohl in ihrer Bildung, als in der Zeit ihrer Entwicklung, zu variieren geneigt als die anderen Zähne. 44Bei den schwarzen Rassen sind dagegen die Weisheitszähne gewöhnlich mit drei getrennten Wurzeln versehen und meist gesund; auch weichen sie von den anderen Backzähnen weniger in der Größe ab, als bei den kaukasischen Rassen. 45Professor Schaaffhausen erklärt diese Verschiedenheit zwischen den Rassen dadurch, daß »der hintere zahntragende Abschnitt der Kiefer« bei den civilisierten Rassen 46»immer verkürzt« ist; und ich meine, diese Verkürzung kann man ruhig dem Umstande zuschreiben, daß civilisierte Menschen sich gewöhnlich von weichen, gekochten Speisen ernähren und daher ihre Kinnladen weniger gebrauchen. Mr. Brace theilt mir mit, daß es in den Vereinigten Staaten eine durchaus gewöhnliche Operation werde, bei Kindern einige Backzähne zu entfernen, da die Kinnladen nicht groß genug wachsen für die vollständige Entwicklung der normalen Zahl. 47
In Bezug auf den Verdauungscanal ist mir nur ein einziges Beispiel von einem Rudimente vorgekommen, nämlich der wurmförmige Anhang des Blinddarms. Der Blinddarm ist eine Abzweigung oder ein Divertikel des Darms, welcher mit einem Blindsack endigt, und bei vielen niedrigeren pflanzenfressenden Säugethieren ist er außerordentlich lang, bei dem marsupialen Koala ist er factisch über dreimal so lang wie der ganze Körper. 48Zuweilen ist er in einen langen, sich allmählich zuspitzenden Fortsatz ausgezogen und zuweilen in Abtheilungen abgeschnürt. Es scheint, als wenn in Folge veränderter Ernährung oder Lebensweise der Blindsack bei verschiedenen Thieren sehr verkürzt worden sei, wo dann der wurmförmige Anhang als Rudiment des verkürzten Theils übrig blieb. Daß dieser Anhang ein Rudiment ist, können wir aus seiner unbedeutenden Größe und aus den Beweisen für seine Veränderlichkeit beim Menschen schließen, welche Professor Canestrini 49gesammelt hat. Er fehlt gelegentlich vollständig oder ist wiederum bedeutend entwickelt; seine Höhle ist zuweilen vollständig für die Hälfte oder zwei Drittel seiner Länge verschlossen, wobei dann der Endtheil aus einer abgeplatteten, soliden Ausbreitung besteht. Beim Orang ist dieser Anhang lang und gewunden; beim Menschen entspringt er vom Ende des kurzen Blinddarms und ist gewöhnlich 4-5 Zoll lang, während er nur ein Drittel Zoll im Durchmesser hat. Er ist nicht bloß nutzlos, sondern wird zuweilen Todesursache, von welcher Thatsache mir vor Kurzem zwei Fälle bekannt geworden sind. Es rührt dies daher, daß kleine, harte Körper in den Canal eindringen und dadurch Entzündung verursachen. 50
Bei einigen niederen Vierhändern, bei den Lemuriden und bei den Carnivoren, ebenso bei vielen Beutelthieren findet sich in der Nähe des unteren Endes des Oberarmbeins ein Canal, das sogenannte supracondyloide Loch, durch welches der große Nerv der vorderen Gliedmaßen und zuweilen auch die große Arterie hindurchtritt. Nun findet sich am Oberarmbein des Menschen gewöhnlich eine Spur dieses Canals; zuweilen ist er aber ziemlich vollständig entwickelt, indem er von einem überhängenden hakenförmigen Knochenfortsatze gebildet wird, der sich dann durch einen Bandstreifen zu einem Loche vervollständigt. Dr. Struthees , 51welcher sorgfältig auf den Gegenstand geachtet hat, hat jetzt gezeigt, daß diese Eigenthümlichkeit zuweilen vererbt wird, da sie bei einem Vater und unter sieben seiner Kinder bei nicht weniger als vieren vorgekommen ist. Ist der Canal vorhanden, so tritt unveränderlich der große Armnerv durch ihn hindurch, und dies beweist deutlich, daß er das Homologon und Rudiment des supracondyloiden Lochs der niederen Säugethiere ist. Nach einer Schätzung von Professor Turner kommt er, wie mir derselbe mittheilte, an ungefähr einem Procent frischer Skelette vor. Wenn aber die gelegentliche Entwicklung dieser Bildung beim Menschen, wie es als wahrscheinlich erscheint, Folge eines Rückschlags ist, so ist sie ein Rückschlag auf einen sehr alten Zustand der Dinge, da sie bei den höhern Vierhändern fehlt.
Es findet sich am Oberarmbein noch eine andere Durchbohrung oder ein Loch, welches gelegentlich beim Menschen vorhanden ist und das intercondyloide genannt werden kann. Dieses kommt, wenn auch nicht constant, bei verschiedenen anthropomorphen und anderen Affen, 52aber gleichfalls bei vielen der niederen Säugethiere vor.
Es ist merkwürdig, daß dies Loch während alter Zeiten viel häufiger vorhanden gewesen zu sein scheint, als in neuerer Zeit. Mr. Busk 53hat über diesen Gegenstand die folgenden Beweisstücke gesammelt: Professor Broca »beobachtete die Durchbohrung an 4½ % der von ihm auf der Cimetière du Sud in Paris gesammelten Armknochen, und in der Höhle von Orrony, deren Inhalt der Bronzeperiode zugeschrieben wird, fand sie sich selbst an acht Oberarmbeinen unter zweiunddreißig. Dieses außerordentliche Verhältnis glaubt er aber dem Umstande zuschreiben zu müssen, daß die Höhle vielleicht eine Art ›Familiengruft› gewesen ist. Ferner fand Mr. Dupont 30 % durchbohrter Armknochen in den Höhlen des Lesse-Thals, welche der Rennthierperiode angehören, während Mr. Leguay in einer Art von Dolmen in Argenteuil 25 % perforiert fand; und Pkuner-Bey fand von den Knochen von Vauréal 26 % in diesem Zustande. Auch darf man nicht unbeachtet lassen, daß Pruner-Bey angiebt, dieser Zustand sei bei Guanchenskeletten der gewöhnliche.« Die Thatsache, daß alte Rassen, in diesem Falle wie in mehreren anderen, häufiger als neuere Rassen Bildungen darbieten, welche denen niederer Thiere gleichen, ist interessant. Eine hauptsächliche Ursache hiervon scheint die zu sein, daß ältere Rassen in der langen Descedenzreihe ihren entfernten, thierähnlichen Urerzeugern etwas näher stehen als moderne Rassen.
Obgleich das Schwanzbein, mit gewissen anderen später zu beschreibenden Wirbeln, beim Menschen als Schwanz keine Function hat, so wiederholt es doch offenbar diesen Theil anderer Wirbelthiere. Auf einer früheren Embryonalperiode ist es frei und springt, wie wir gesehen haben, über die unteren Extremitäten vor, wie in der Zeichnung (Fig. 1) eines menschlichen Embryo zu sehen ist. In gewissen seltenen und anomalen Fällen 54hat man gefunden, daß es selbst noch nach der Geburt ein kleines äußeres Rudiment eines Schwanzes bildet. Das Schwanzbein ist kurz und enthält gewöhnlich nur vier Wirbel in einem rudimentären Zustande; sie bestehen mit Ausnahme des obersten nur aus dem Wirbelkörper. 55Sie sind mit einigen kleinen Muskeln versehen, von denen, wie mir Professor Turner mittheilt, der eine ausdrücklich von Theile als eine rudimentäre Wiederholung des Extensor des Schwanzes beschrieben worden ist. welcher bei vielen Säugethieren so kräftig entwickelt ist.
Das Rückenmark erstreckt sich beim Menschen nur bis zum letzten Rücken- oder ersten Lendenwirbel nach abwärts; doch läuft ein fadenartiges Gebilde (das filum terminale) in der Achse des Kreuztheils des Rückenmarkskanals und selbst dem Rücken der Schwanzwirbel entlang noch hinab. Der obere Theil dieses Gebildes ist, wie mir Professor Turner mittheilt, unzweifelhaft mit dem Rückenmarke homolog, der untere Theil besteht aber offenbar nur aus der pia mater oder der gefäßreichen Hüllmembran. Selbst in diesem Falle kann man sagen, daß das Schwanzbein eine Spur eines so wichtigen Gebildes wie des Rückenmarks trägt, wenngleich es nicht mehr in einen knöchernen Canal eingeschlossen ist. Die folgende Thatsache, für deren Mittheilung ich gleichfalls Professor Turner zu Dank verpflichtet bin, zeigt, wie genau das Schwanzbein dem wirklichen Schwanze bei niederen Thieren entspricht: Luschka hat nämlich neuerdings an der Spitze der Schwanzknochen einen sehr eigenthümlich gewundenen Körper entdeckt, welcher mit der mittleren Kreuzbeinarterie im Zusammenhang steht; diese Entdeckung veranlaßte dann Krause und Meyer , den Schwanz eines Affen (Macacus) und einer Katze zu untersuchen; bei Beiden fanden sie, wenn auch nicht gerade an der Spitze, einen ähnlich gewundenen Körper.
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