Obgleich hiernach die Civilisation auf viele Weise die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl hemmt, so begünstigt dieselbe offenbar mittelst der verbesserten Nahrung und der Beseitigung von gelegentlichen Nothständen die bessere Entwicklung des Körpers. Dies läßt sich daraus schließen, daß, wo man auch den Vergleich angestellt haben mag, civilisierte Leute immer physisch kräftiger gefunden werden als Wilde. 297Sie scheinen auch gleiche Kraft der Ausdauer zu haben, wie sich in vielen abenteuerlichen Expeditionen herausgestellt hat. Selbst der große Luxus der Reichen kann nur in geringem Grade nachtheilig sein. Denn die wahrscheinliche Lebensdauer unserer Aristokratie ist auf allen Altersstufen und in beiden Geschlechtern sehr unbedeutend geringer als diejenige gesunder Engländer der niederen Classen. 298
Wir wollen nun die intellectuellen Fähigkeiten allein betrachten. Wenn wir auf jeder Stufe der Gesellschaft die Glieder in zwei gleiche Massen theilten, von denen die eine diejenigen umfaßte, welche intellectuell höher begabt wären, die andere die ihnen untergeordneteren, so läßt sich kaum zweifeln, daß die erstere in allen Beschäftigungsweisen bessere Erfolge erzielen und eine größere Anzahl von Kindern aufbringen würde. Selbst in den niedrigsten Schichten des Lebens muß Geschick und Fähigkeit von irgendwelchem Vortheil sein, wenn auch, wegen der großen Arbeitstheilung, in vielen Thätigkeitszweigen nur von sehr geringem. Es wird daher bei civilisierten Nationen eine Neigung bestehen, daß die intellectuell Befähigten sowohl der Zahl nach als auch in Bezug auf den Maßstab der Intelligenz zunehmen. Doch möchte ich nicht behaupten, daß die Neigung nicht durch andere Momente mehr als ausgeglichen werden dürfte, wie z. B. durch die Vermehrung der Leichtsinnigen und Sorglosen; aber selbst für diese muß Geschicklichkeit von irgendwelchem Vortheil sein.
Ansichten wie den eben vorgetragenen ist oft entgegengehalten worden, daß die ausgezeichnetsten Leute, welche je gelebt haben, keine Nachkommen hinterlassen haben, um ihren großen Intellect zu vererben. Mr Galton bemerkt: 299»ich bedaure, nicht im Stande zu sein, die einfache Frage zu lösen, ob und in wie weit Männer und Frauen, welche Wunder des Genies waren, unfruchtbar sind. Ich habe indessen gezeigt, daß hervorragende Männer dies durchaus nicht sind«. Große Gesetzgeber, die Gründer segensreicher Religionen, große Philosophen und wissenschaftliche Entdecker unterstützen den Fortschritt der Menschheit in einem viel höheren Grade durch ihre Werke als durch das Hinterlassen einer zahlreichen Nachkommenschaft. Was die körperliche Structur betrifft, so ist es die Auswahl der unbedeutend besser begabten und die Beseitigung der ebenso unbedeutend weniger gut begabten Individuen und nicht die Erhaltung scharf markierter und seltener Anomalien, welche zur Verbesserung einer Species führt. 300Dasselbe wird auch für die intellectuellen Fähigkeiten der Fall sein. Es werden nämlich auch hier die in irgend etwas fähigeren Menschen auf jeder Stufe der Gesellschaft bessere Erfolge erzielen als die weniger fähigen, und, wenn sie nicht auf andere Weise daran gehindert werden, in Folge dessen stärker an Zahl zunehmen. Hat sich in irgend einer Nation die Höhe des Intellects und die Anzahl intellectueller Leute vermehrt, so können wir nach dem Gesetze der Abweichung vom Mittel, wie Mr. Galton gezeigt hat, erwarten, daß Wunder des Genies etwas häufiger als früher erscheinen werden.
In Bezug auf die moralischen Eigenschaften findet beständig eine gewisse Beseitigung der am schlechtesten Veranlagten statt, selbst bei den civiliertesten Nationen. Übelthäter werden hingerichtet oder auf lange Zeit gefangen gesetzt, so daß sie ihre schlechtesten Eigenschaften nicht in größerer Menge fortpflanzen können. Melancholische und geisteskranke Personen werden in Gewahrsam gehalten oder begehen Selbstmord. Heftige und streitsüchtige Leute finden oft ein blutiges Ende. Ruhelose Leute, welche keine stetige Beschäftigung ergreifen wollen – und dies Überbleibsel der Barbarei ist ein großes Hemmnis für die Civilisation 301– wandern nach neugegründeten Staaten aus, wo sie sich als nützliche Pioniere erweisen. Unmäßigkeit ist in so hohem Grade zerstörend, daß die wahrscheinliche Lebensdauer der Unmäßigen z. B. im Alter von dreißig, nur 13,8 Jahre beträgt, während sie für die Arbeiter auf dem Lande von demselben Alter in England 40,59 beträgt. 302
Lüderliche Frauen haben wenig Kinder und lüderliche Männer heirathen selten; Beide leiden durch die Entwicklung constitutioneller Krankheiten. Bei der Zucht von domesticierten Thieren ist die Beseitigung derjenigen Individuen, welche, wenn sie auch der Zahl nach wenig sind, in irgendwelchem markierten Grade untergeordnet sind, ein durchaus nicht, bedeutungsloses Moment in Bezug auf den Erfolg. Dies gilt vorzüglich für die schädlichen Merkmale, welche in Folge von Rückschlag wieder aufzutreten neigen, wie z. B. schwarze Farbe bei Schafen; und auch beim Menschen können einige der schlechtesten Anlagen, welche gelegentlich ohne irgendwelche nachweisbare Ursache in Familien auftreten, vielleicht als Rückschlag auf einen wilden Zustand angesehen werden, von welchem wir durch nicht gar zu viele Generationen getrennt sind. Diese Ansicht scheint in der That durch die gewöhnliche Redensart anerkannt zu werden, daß derartige Leute die »schwarzen Schafe« der Familie seien.
Was einen erhöhten Maßstab der Moralität und eine vermehrte Anzahl ziemlich gut begabter Menschen betrifft, so scheint bei civilisierten Nationen die natürliche Zuchtwahl nur wenig zu bewirken, trotzdem die fundamentalen socialen Instincte ursprünglich hierdurch erlangt worden sind. Ich habe aber, als ich von den niederen Rassen handelte, mich schon hinreichend über die Ursachen verbreitet, welche zum Fortschritt der Moralität führen, nämlich die billigende Zustimmung unserer Mitmenschen, – die Kräftigung unserer Sympathien durch Gewohnheit, – Beispiel und Nachahmung, – Verstand, – Erfahrung und selbst eigenes Interesse, – Unterricht während der Jugend und religiöse Gefühle.
Ein äußerst bedeutungsvolles Hemmnis für die Zunahme der Zahl von Menschen einer höheren Classe in civilisierten Ländern ist von Mr. Greg und Mr. Galton sehr scharf hervorgehoben worden, 303nämlich die Thatsache, daß die sehr Armen und Leichtsinnigen, welche oft durch Laster heruntergekommen sind, fast unabänderlich früh heirathen, während die Sorgsamen und Mäßigen, welche meist auch in anderer Beziehung tugendhaft sind, spät im Leben heirathen, so daß sie im Stande sind, sich selbst und ihre Kinder mit Leichtigkeit zu erhalten. Diejenigen, welche früh heirathen, erzeugen innerhalb einer gegebenen Zeit nicht bloß eine größere Anzahl von Generationen, sondern sie bringen, wie Dr. Duncan gezeigt hat, 304auch viel mehr Kinder hervor. Außerdem sind die Kinder, welche von Müttern während der Blüthe ihres Lebens geboren werden, schwerer und größer und daher wahrscheinlich kräftiger als diejenigen, welche in andern Perioden geboren werden. Hierdurch neigt die Zahl der leichtsinnigen, heruntergekommenen und oft lasterhaften Glieder der Gesellschaft zu einer Zunahme in einem schnelleren Maße als die der vorsichtigen und im Allgemeinen tugendhaften Glieder. Oder, wie Mr. Greg den Fall darstellt: »der sorglose, schmutzige, nicht höher hinaus wollende Irländer vermehrt sich wie die Kaninchen; der frugale, vorausdenkende, sich selbst achtende, ehrgeizige Schotte, welcher streng in seiner Moralität, durchgeistigt in seinem Glauben, gescheidt und discipliniert in seinem Wesen ist, verbringt die besten Jahre seines Lebens im Kampfe und im Stande des Coelibats, heirathet spät und hinterläßt nur wenig Nachkommen. Man nehme ein Land, welches ursprünglich von tausend Sachsen und tausend Celten bevölkert gewesen sei, und nach einem Dutzend Generationen werden 5/6 der Bevölkerung Celten sein, aber 5/6 des Besitzes, der Macht und des Intellects werden dem einen übriggebliebenen Sechstel der Sachsen angehören. In dem ewigen Kampfe um's Dasein wird die untergeordnete und weniger begünstigte Rasse es sein, welche vorherrscht und zwar vorherrscht nicht kraft ihrer guten Eigenschaften, sondern kraft ihrer Fehler.«
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