Von den niederen Thieren weicht der Mensch allein durch seine unendlich größere Fähigkeit, die verschiedenartigsten Laute und Ideen zu associieren, ab; und dies hängt offenbar von der hohen Entwicklung seiner geistigen Fähigkeiten ab.
Wie Horne Tooke , einer der Gründer der edlen Wissenschaft der Philologie, bemerkt, ist die Sprache eine Kunst, wie das Brauen und Backen; es würde aber das Schreiben ein viel entsprechenderes Gleichnis dargestellt haben. Sicher ist die Sprache kein echter Instinct, da eine jede Sprache gelernt werden muß. Sie weicht indessen von allen gewöhnlichen Künsten sehr weit ab, denn der Mensch hat eine instinctive Neigung zu sprechen, wie wir in dem Lallen junger Kinder sehen, während kein Kind eine instinctive Neigung zu brauen, backen oder schreiben hat. Überdies nimmt kein Philolog jetzt an, daß irgend eine Sprache mit Überlegung erfunden worden sei; eine jede hat sich langsam und unbewußt durch viele Stufen entwickelt. 207Die Laute, welche Vögel von sich geben, bieten in mehreren Beziehungen die nächste Analogie mit der Sprache dar, denn alle Glieder derselben Art äußern dieselben instinctiven, zur Bezeichnung ihrer Gemüthsbewegungen dienenden Laute; und alle Arten, welche das Singvermögen besitzen, äußern dieses Vermögen instinctiv. Aber der wirkliche Gesang und selbst die Lockrufe werden von den Eltern oder Pflegeeltern gelernt. Diese Laute sind, wie Daines Barrington 208bewiesen hat, »ebensowenig eingeboren wie es die Sprache dem Menschen ist«. Die ersten Versuche zum Singen »lassen sich mit dem unvollkommenen Stammeln bei einem Kinde vergleichen, welches zu lallen beginnt«. Die jungen Männchen üben sich beständig oder, wie der Vogelsteller es ausdrückt, sie probieren zehn oder elf Monate lang. Ihre ersten Versuche lassen kaum eine Spur ihres späteren Gesangs erkennen; wenn sie aber älter werden, kann man ungefähr erkennen, wonach sie streben, und endlich sagt man, sie singen ihren Gesang rund ab. Nestlinge, welche den Gesang einer verschiedenen Art gelernt haben, wie z. B. in Tyrol aufgezogene Canarienvögel, lehren und überliefern ihre neue Sangesweise ihren Nachkommen. Die unbedeutenden natürlichen Verschiedenheiten des Gesangs bei Individuen derselben Species, welche verschiedene Gegenden bewohnen, können ganz passend, wie Barrington bemerkt, mit Provinzialdialecten verglichen werden, und die Sangesweisen verwandter, wenn auch verschiedener Species lassen sich mit den Sprachen verschiedener Menschenrassen vergleichen. Ich habe die vorstehenden Einzelnheiten gegeben, um zu zeigen, daß eine instinctive Neigung, eine Kunst sich anzueignen, keine auf den Menschen beschränkte Eigentümlichkeit ist.
Was den Ursprung der articulierten Sprache betrifft, so kann ich, nachdem ich einerseits die äußerst interessanten Werke von Mr. Hensleigh Wedgwood, F. Farrar und Professor Schleicher , 209und die berühmten Vorlesungen von Professor Max Müller auf der anderen Seite gelesen habe, nicht daran zweifeln, daß die Sprache ihren Ursprung der Nachahmung und Modification verschiedener natürlicher Laute, der Stimmen anderer Thiere und der eigenen instinctiven Ausrufe des Menschen unter Beihülfe von Zeichen und Gesten verdankt. Wenn wir die geschlechtliche Zuchtwahl behandeln werden, wird sich zeigen, daß der Urmensch oder vielmehr irgend ein sehr früher Stammvater des Menschen wahrscheinlich seine Stimme, wie es heutigen Tages einer der Gibbon-artigen Affen thut, dazu benutzte, echt musikalische Cadenzen hervorzubringen, d. h. also zum Singen. Nach einer sehr weit verbreiteten Analogie können wir auch schließen, daß dieses Vermögen besonders während der Werbung der beiden Geschlechter ausgeübt sein wird, um verschiedene Gemüthsbewegungen auszudrücken, wie Liebe, Eifersucht, Triumph, und gleichfalls, um als Herausforderung für die Nebenbuhler zu dienen. Die Nachahmung musikalischer Ausrufe durch articulierte Laute mag daher wahrscheinlich Worten zum Ursprung gedient haben, welche verschiedene complexe Erregungen ausdrückten. Da es zu der Frage der Nachahmung in Beziehung steht, verdient die bedeutende Neigung bei unseren nächsten Verwandten, den Affen, bei mikrocephalen Idioten v 210und bei den barbarischen Menschenrassen, Alles, was sie nur hören, nachzuahmen, wohl eine Beachtung. Da die Affen sicher vieles von dem verstehen, was von Menschen zu ihnen gesprochen wird, und da sie im Naturzustande Warnungsrufe bei Gefahren ihren Genossen 211zurufen; da ferner Hühner bestimmte Warnungszeichen bei Gefahren auf dem Boden oder am Himmel wegen der Habichte (beide, ebenso wie ein drittes, werden von Hunden verstanden) 212ausstoßen: – dürfte da nicht irgend ein ungewöhnlich gescheidtes, affenähnliches Thier darauf gefallen sein, das Heulen eines Raubthieres nachzuahmen, um dadurch seinen Mitaffen die Natur der zu erwartenden Gefahr anzudeuten? und dies würde ein erster Schritt zur Bildung einer Sprache gewesen sein.
Als nun die Stimme immer weiter und weiter benutzt wurde, werden die Stimmorgane weiter gekräftigt und in Folge des Princips der vererbten Wirkungen des Gebrauchs vervollkommnet worden sein; und dies wird wieder auf das Vermögen des Sprechens zurückgewirkt haben. Aber noch viel bedeutungsvoller ist ohne Zweifel die Beziehung zwischen dem fortgesetzten Gebrauch der Sprache und der Entwicklung des Gehirns gewesen. Die geistigen Fähigkeiten müssen bei irgend einem frühen Vorfahren des Menschen viel höher entwickelt gewesen sein, als bei irgend einem jetzt lebenden Affen, selbst bevor die unvollkommenste Form der Rede hat in Gebrauch kommen können. Wir können aber zuversichtlich annehmen, daß der beständige Gebrauch und die weitere Entwicklung dieses Vermögens dadurch auf die Seele zurückgewirkt haben wird, daß sie dieselbe in den Stand setzte und ermuthigte, lange Gedankenzüge zu durchdenken. Ein langer und complexer Gedankenzug kann ebensowenig ohne die Hülfe von Worten durchgeführt werden, mögen sie gesprochen werden oder stumm bleiben, wie eine genaue Berechnung ohne den Gebrauch von Zahlen oder der Algebra. Es scheint auch, als wenn selbst die gewöhnlichen Gedankenreihen irgend eine Form von Sprache fast erforderten oder durch eine solche erleichtert wurden; denn das taubstumme und blinde Mädchen Laura Bridgman gebrauchte ihre Finger, als man sie beobachtete, während sie träumte. 213Nichtsdestoweniger kann auch eine lange Reihenfolge von lebendigen und zusammenhängenden Ideen durch die Seele ziehen ohne die Hülfe von irgend einer Form von Sprache, wie wir aus den langen Träumen von Hunden schließen können. Wir haben auch gesehen, daß Thiere im Stande sind, bis zu einem gewissen Grade nachzudenken, und dies offenbar ohne die Hülfe der Sprache. Der innige Zusammenhang zwischen dem Gehirn, wie es jetzt bei uns entwickelt ist, und der Fähigkeit der Sprache zeigt sich deutlich in jenen merkwürdigen Fällen von Gehirnerkrankung, bei denen die Sprache besonders afficiert ist, wie in dem Falle, wo das Vermögen, sich substantiver Wörter zu erinnern, verloren ist, während andere Wörter völlig correct gebraucht werden können, oder wo Substantiva einer gewissen Classe, oder alle Substantiva und Eigennamen mit Ausnahme ihrer Anfangsbuchstaben vergessen sind. 214In der Annahme, daß der fortgesetzte Gebrauch der Stimmorgane und der geistigen Organe zu erblichen Veränderungen in ihrem Bau und ihren Functionen führe, liegt nicht mehr Unwahrscheinliches als in der gleichen Annahme für die Form der Handschrift, welche zum Theil von der Bildung der Hand, zum Theil von der Geistesbeschaffenheit abhängt; und die Form der Handschrift wird sicher vererbt. 215
Mehrere Schriftsteller, besonders Prof. Max Müller , 216haben neuerdings behauptet, der Gebrauch der Sprache setze das Vermögen voraus, allgemeine Begriffe zu bilden; und daß, da vermeintlich kein Thier dies Vermögen besitze, hierdurch eine unübersteigliche Schranke zwischen ihnen und dem Menschen gezogen sei. 217Was die Thiere betrifft, so habe ich bereits zu zeigen versucht, daß sie diese Fähigkeit, wenigstens in einem rohen und beginnenden Grade besitzen. Und was Kinder im Alter von zehn bis elf Monaten und Taubstumme betrifft, so scheint es mir unglaublich, daß sie im Stande sein sollten, gewisse Laute mit gewissen allgemeinen Ideen mit der Schnelligkeit, mit der es geschieht, in Verbindung zu bringen, wenn nicht solche Ideen in ihrer Seele bereits gebildet wären. Dieselbe Bemerkung kann auf die intelligenteren Thiere ausgedehnt werden. So bemerkt Mr. Leslie Stephen : 218»Ein Hund bildet einen allgemeinen Begriff von Katze oder Schaf und kennt das entsprechende Wort so gut wie ein Philosoph. Und die Fähigkeit zu verstehen ist ein ebenso guter, wenn auch dem Grade nach niedrigerer Beweis für vocale Intelligenz, wie die Fähigkeit zu sprechen«.
Читать дальше