(29) Zweitens muß ein Ankläger rücksichtslos aufrichtig sein. Das könntest du aber nicht, selbst wenn du es wolltest. Ich will mich gar nicht auf jene immerhin unleugbaren Thatsachen berufen: wie du dich vor deinem Abschied von Sicilien mit Verres aussöhntest; wie Verres dann deinen Freund und Sekretär Potamon bei sich in der Provinz behielt; wie dein Bruder Marcus Caecilius , ein ganz prächtiger junger Mensch, nicht nur diesem Prozeß ferne bleibt, sondern als intimster Freund des Verres dauernd bei ihm lebt. Solche und ähnliche Charakteristika eines falschen Anklägers stehen massenweise zur Verfügung; aber wie gesagt, ich mache keinen Gebrauch davon; dagegen betone ich, daß du ein wahrer Ankläger beim besten Willen nicht sein könntest . (30) Es liegen nämlich eine Menge Klagepunkte vor, die dich und Verres gemeinsam betreffen, so daß du sie als Kläger gar nicht berühren dürftest. X. Zum Beispiel: Ganz Sicilien klagt, Verres hätte sich bei den Getreidelieferungen für seinen Hausbedarf, deren Wert seitens der Besitzer in barem Gelde entrichtet wurde, zu einer Zeit, wo der Scheffel zu zwei Sesterzen stand, für jeden Scheffel zwölf Sesterzen zahlen lassen. So etwas ist empörend, ist ungeheuerlich, ist ein frecher Raub kolossaler Geldsummen; schon auf diesen Punkt allein hin müßte ich den Menschen verurteilen lassen: und du, Caecilius? (31) Wirst du es ihm vorwerfen oder lieber totschweigen? Wenn du davon sprichst, so wirfst du ihm eine Schuld vor, die du zur selben Zeit in derselben Provinz gleichfalls begangen hast, erhebst also eine Anklage, die logischer Weise deine eigene Verurteilung nach sich ziehen müßte; bist du aber still – ja was bleibt dann noch an deiner Anklage, wenn du aus Furcht vor eigener Gefahr einen so bedeutenden Klagepunkt nicht einmal berührst? – (32) Oder ein anderes Beispiel! Nach Beschluß des Senates wird den Sicilianern vermittelst des Statthalters Verres Getreide für die Bedürfnisse der Reichshauptstadt abgekauft; die Kaufsumme, die ihm dafür angewiesen wurde, ist bei weitem nicht vollständig ausbezahlt worden. Ein schlimmer Vorwurf für Verres – aber nur wenn ich rede; für dich, Caecilius, fällt er weg. Denn du warst Leiter des Finanzwesens, du hattest die Staatskasse in Händen und warst für ihre ordentliche Führung, nötigenfalls selbst gegen des Statthalters Willen, so gut wie allein verantwortlich. Auch dieser Punkt würde also in deiner Anklage mit keinem Wort erwähnt, sondern in dem ganzen Prozeß würden Verres ärgste und bekannteste Diebereien mit dem Mantel tiefen Schweigens zugedeckt werden. Glaube mir, Caecilius, man kann nicht ernstlich als Kläger für die Bündner wirken, wenn man mit dem Angeklagten zusammen bei ihnen gesündigt hat. (33) Die Getreidepächter haben von den Gemeinden statt des Getreides unerlaubterweise Geld eingetrieben. War daran etwa nur der Statthalter schuld? Nein, auch dessen Finanzrat Caecilius; was folgt daraus? Willst du ihm vorwerfen, was du selber verhindern konntest und mußtest, oder ziehst du es vor, dich wiederum in Stillschweigen zu hüllen? Offenbar soll Verres in seinem Prozeß die Dinge gar nicht zu hören bekommen, die er ohne die Aussicht auf eine eventuelle Rechtfertigung beging. XI. Ich erwähne nur diese naheliegenden, offenbaren Momente; andere sind mehr versteckt, die hat er in aller Güte mit seinem Finanzrat ausgemacht, um dessen leidenschaftliche Angriffswut etwas zu mäßigen. (34) Du weißt, daß ich über das alles informiert bin; wollt ich mehr davon erzählen, so wäre bald allen klar, daß ihr euch unter einander nicht nur in euren Absichten vereinigtet, sondern, daß sogar die Beute bis jetzt noch ungeteilt ist. Wenn du also die Erlaubnis zur Anzeige eurer gemeinsamen Leistungen, unter Zusicherung der Straflosigkeit für dich, bei den Behörden einholen willst, so hab ich nichts dagegen, vorausgesetzt, daß das Gesetz es erlaubt; sobald sich's aber um eine gerichtliche Klage handelt, mußt du schon denen Platz machen, die durch keine eigene Sünden verhindert werden, fremde Sünden aufzudecken. (35) Beachte wohl diesen Unterschied zwischen meiner und deiner Anklage: ich werfe dem Verres auch das vor, was du ohne ihn begangen hast, da er dich kraft seiner Amtsgewalt hätte verhindern müssen; du würdest ihm nicht einmal seine eigenen Verbrechen vorhalten, um nicht als daran beteiligt zu erscheinen.
Weiter! Zur Führung eines Prozesses, und namentlich eines so großen Prozesses, gehören notwendig noch einige Dinge, die du doch nicht allzu gering anschlagen solltest: ein wenig juristische Praxis, einige Redegewandtheit, etwas Übung auf dem Forum 16, ein bißchen Kenntnis von Gesetz und Recht. (36) Ich merke, ich bewege mich auf einem gefährlichen Boden; Arroganz wirkt immer abstoßend und ganz besonders auf einem geistigen Gebiete, wie dem der Beredsamkeit. Ich spreche also nicht von meiner Fähigkeit; da giebt's eben nichts zu sagen, und gäb es etwas, ich thät es doch nicht. Entweder genügt mir mein Ruf, oder, wenn nicht, so könnt ich ihn durch Selbstlob nicht verbessern. XII. (37) Was aber dich betrifft, Caecilius – nun, laß mich einen Augenblick von unserer Sache abschweifen und ganz vertraulich mit dir reden. Überlege dir doch einmal, was du selber von dir hältst; überleg es dir von neuem, sieh dich ordentlich an, mach einen Überschlag und ziehe dann die Summe deines Wesens und deines Könnens. 17Du willst dich an so mächtige und gefährliche Probleme wagen, wie den Prozeß der Bündner und das Schicksal einer Provinz, Roms Recht und die Würde seiner Gesetze und Gerichte: glaubst du wirklich eine solche Masse der verschiedenartigsten und kompliziertesten Objekte verarbeiten, disponieren, im Sinne behalten und auseinandersetzen zu können? (38) Hältst du dich wirklich für fähig, die ganzen Verbrechen eines Verres, alles was er in den verschiedenen Phasen seiner Beamtenlaufbahn in Rom, in Italien, in Griechenland, in Kleinasien, in Pamphylien angerichtet hat – dies alles zu übersehen, nach chronologischem und lokalem Gesichtspunkte zu ordnen, nach Gesetzesparagraphen zu verteilen und schließlich zu beleuchten? – Bei einem Menschen wie Verres müssen alle Äußerungen seiner Nichtswürdigkeit, Wollust und Grausamkeit vom Ankläger so lebendig dargestellt werden, daß die Hörer sie mit gleicher Empörung vernehmen wie die Opfer sie empfanden. Meinst du diese sehr wesentliche Forderung erfüllen zu können? 18(39) Glaube mir, so etwas ist ernst, das darf man nicht auf die leichte Achsel nehmen. Alles will erzählt, bewiesen, verwertet, der Gegenstand nicht nur vorgeführt, sondern ausgiebig und sorgfältig durchgeführt sein. Willst du etwas durchsetzen, so mußt du es dahin bringen, daß man dich nicht nur anhört, sondern dir gern und aufmerksam zuhört. Besäßest du dafür ein natürliches Talent, hättest du seit deiner Kindheit emsig auf den vornehmsten Gebieten des Wissens gearbeitet und dich ausgebildet, hättest du Griechisch in Athen statt in Lilybaion 19, Latein in Rom statt in Sicilien gelernt – es wäre immer noch eine Aufgabe, sich in eine so mächtige, allgemein mit Spannung verfolgte Sache hineinzuarbeiten, dann alles auswendig zu behalten, künstlerisch zu formen, endlich kräftig und schön vorzutragen. (40) Vielleicht sagst du: »Und du? Kannst du das alles?« – Könnt ich's doch! Aber immerhin hab ich seit meiner frühesten Jugend all mein Streben darauf gerichtet, es so weit zu bringen. Wenn ich also wirklich die ungeheure Aufgabe nicht bewältige, obgleich ich in meinem Leben auf nichts anderes hingearbeitet habe, wie weit mußt du dann davon entfernt sein, der du früher nie daran gedacht hast und selbst jetzt, wo du dich daran machst, von ihrem Umfang und Inhalt keine Ahnung hast! XIII. (41) Ich habe mich notorisch dermaßen mit gerichtlicher Praxis beschäftigt, daß ich sagen kann, niemand oder wenige haben in meinem Alter so viele Prozesse geführt; alle Zeit, die mir die Geschäfte meiner Freunde lassen, verwende ich auf diese Studien, um mich weiter für die Thätigkeit vor Gericht zu vervollkommnen; und dennoch kann ich's bei allen Göttern versichern: wenn ich mir den Moment vorstelle, wo der Tag der Verhandlung da ist, wo ich vor die Schranken treten und Klage erheben muß, da packt mich nicht allein innere Aufregung, sondern ein Schauder überläuft mich vom Wirbel bis zur Zehe.
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