Wiederkehrende Träume weisen auf stilgerechten Ausdruck des Bewegungsgesetzes gegenüber Fragen hin, die in ihrer Artung als ähnlich empfunden werden. Kurze Träume zeigen die strikte, schnell fertige Antwort auf eine Frage. Vergessene Träume lassen die Vermutung zu, daß ihr Gefühlston stark ist gegenüber der ebenfalls starken praktischen Vernunft, zu deren besserer Umgehung das gedankliche Material verdampft werden muß, so daß nur die Emotion und die Stellungnahme übrigbleiben. Daß Angstträume die verstärkte Angst vor einer Niederlage widerspiegeln, angenehme Träume ein verstärktes »Fiat« oder den Kontrast mit der gegenwärtigen Situation, um so stärkere Gefühle der Abneigung zu provozieren, ist sehr häufig festzustellen. Träume von Toten legen den Gedanken nahe, der sich freilich aus anderen Ausdrucksformen bestätigen muß, daß der Träumer den Toten noch nicht endgültig begraben hat und unter seinem Einfluß steht. Fallträume, wohl die häufigsten von allen, weisen auf die ängstliche Vorsicht des Individuums hin, nichts von seinem Wertgefühl zu verlieren, zeigen aber auch gleichzeitig in räumlicher Vorstellung an, daß der Träumer sich in seinem Gefühl »oben« wähnt. Flugträume finden sich bei ehrgeizigen Menschen als Niederschlag des Strebens nach Überlegenheit, etwas zu leisten, was den Träumer über die anderen Menschen hinaushebt. Dieser Traum ist nicht selten, wie zur Warnung vor einem ehrgeizigen, riskanten Streben, mit einem Falltraum verbunden. Glückliches Landen nach einem Fall im Traum, das oft nicht gedanklich, sondern nur gefühlsmäßig zum Ausdruck kommt, dürfte meist auf ein Sicherheitsgefühl, wenn nicht auf ein Prädestinationsgefühl hinweisen, demzufolge das Individuum sich dessen versichert, daß ihm nichts geschehen kann. Versäumen eines Zuges, einer Gelegenheit, wird sich meist als Ausdruck eines geübten Charakterzuges feststellen lassen, einer gefürchteten Niederlage durch Zuspätkommen zu entgehen, die Gelegenheit zu verpassen. Träume von mangelhafter Bekleidung gefolgt vom Erschrecken darüber lassen sich meist auf die Furcht zurückführen, bei einer Unvollkommenheit ertappt zu werden. Motorische, visuelle und akustische Neigungen sind häufig in Träumen ausgedrückt, doch immer in Verbindung mit der Stellungnahme zu einer vorliegenden Aufgabe, deren Lösung in seltenen Fällen dadurch sogar gefördert werden konnte, wie einzelne Beispiele zeigen. Die Rolle des Träumers als Zuschauer weist mit einiger Sicherheit darauf hin, daß das Individuum sich auch im Leben gerne mit der Rolle des Zuschauers begnügt. Sexuelle Träume erweisen sich verschieden gerichtet, bald als verhältnismäßig schwaches Training zum Sexualverkehr, bald als Rückzug von einem Partner und Beschränkung auf sich selbst. Bei homosexuellen Träumen ist das Training gegen das andere Geschlecht, nicht etwa eine angeborene Neigung, von mir stark genug hervorgehoben worden. Grausame Träume, in denen das Individuum aktiv auftritt, deuten auf Wut und Rachgier, ebenso beschmutzende Träume. Die häufigen Träume der Bettnässer, beim Urinieren am richtigen Platze zu sein, erleichtert ihnen in wenig mutiger Weise ihre Anklage und Rache gegen ein Gefühl der Zurücksetzung. In meinen Büchern und Schriften findet sich eine Unzahl von gedeuteten Träumen, so daß ich es mir versagen darf, bestimmte Beispiele hier anzuführen. Im Zusammenhang mit dem Lebensstil sei folgender Traum besprochen:
Ein Mann, Vater von zwei Kindern, lebte mit seiner Frau, die ihn, wie er wußte, nicht aus Liebe geheiratet hatte, in Unfrieden, der von beiden Seiten geschürt wurde. Er war ursprünglich ein verwöhntes Kind gewesen, wurde später durch ein anderes Kind entthront, hatte aber in einer harten Schule seine ehemaligen Zornausbrüche beherrschen gelernt, auch soweit, daß er oft in ungünstiger Lage vielleicht allzulange Versuche machte, einen Versöhnungsfrieden mit Gegnern herzustellen, was begreiflicherweise selten gelang. Auch seiner Frau gegenüber war seine Haltung ein Gemisch von Abwarten, von Versuchen, eine liebevolle, vertrauensvolle Lage zu finden und von gelegentlichen Jähzornsausbrüchen, wenn er in ein Minderwertigkeitsgefühl verfiel und sich keinen Rat wußte. Die Frau stand dieser Situation in vollem Unverständnis gegenüber. An seinen zwei Knaben hing der Mann mit ungewöhnlicher Liebe, die von diesen erwidert wurde, während die Mutter in ihrer formellen Gelassenheit, in der sie natürlich mit dem Manne um die Liebe der Kinder nicht wetteifern konnte, die Fühlung mit ihnen mehr und mehr verlor. Dem Manne erschien dies wie eine Vernachlässigung der Kinder, über die er oft seiner Frau Vorwürfe machte. Die ehelichen Beziehungen gingen unter Schwierigkeiten weiter, aber beide Eltern waren bestrebt, weiteren Kindersegen zu verhindern. So standen sich beide Partner lange Zeit gegenüber: Der Mann, der nur starke Gefühle in der Liebe anerkannte, sich auch um seine Rechte gebracht fand, die Frau, mit kraftlosen Versuchen, die Ehe weiterzuführen, frigid und aus ihrem Lebensstil heraus ohne die gesuchte Wärme für Mann und Kinder. Eines Nachts träumte er von blutenden Frauenleibern, die rücksichtslos herumgeschleudert wurden. Mein Gespräch mit ihm führte auf eine Erinnerung zurück an eine Szene, die er in einem Seziersaal gesehen hatte, wohin ihn ein medizinischer Freund mitgenommen hatte. Aber es war leicht zu sehen und wurde von dem Manne bestätigt, daß auch der Geburtsakt, wie er ihn zweimal miterlebt hatte, ihn schrecklich berührt hatte. Die Deutung war so gegeben: »Ich will keine dritte Geburt bei meiner Frau mehr erleben.«
Ein anderer Traum lautete: »Es war mir, als ob ich auf der Suche nach meinem dritten Kind gewesen wäre, das verloren oder geraubt worden war. Ich war in großer Angst. Alle meine angestrengten Versuche blieben vergeblich.« Da der Mann kein drittes Kind besaß, war es klar, daß er die stete Angst hatte, ein drittes Kind wäre wegen der Unfähigkeit der Frau, die Kinder zu überwachen, in größter Gefahr. Der Traum war kurz nach dem Raub des Lindbergh-Kindes geträumt und zeigte das gleiche, exogene Schockproblem entsprechend dem Lebensstil und der Meinung des Patienten; Abbruch der Beziehungen mit einem Menschen, der keine Wärme bot und als einen Teil dieses Vorsatzes, keine Kinder mehr zu zeugen, unter übertriebener Betonung der Nachlässigkeit der Frau, aber in die gleiche Richtung zielend wie der erste Traum: übertriebener Schrecken vor dem Geburtsakt.
Der Patient kam zur Behandlung wegen Impotenz. Die weiteren Spuren führten in seine Kindheit zurück, in der er gelernt hatte, sich gegen Zurücksetzung nach längeren angestrengten Versuchen mit Ablehnung der als kühl geglaubten Person abzufinden, gleichzeitig auch neue Geburten bei seiner Mutter unerträglich zu finden. Der Hauptanteil seines Lebensstiles, die Auslese gewisser Bilder, der Selbstbetrug und die Autointoxikation mit Vergleichen, weit über die praktische Vernunft hinausgehend und dem Lebensstil neue Spannkraft und erhöhte Stärke verleihend, der aus der dauernden Schockwirkung resultierende Rückzug von der Lebensfrage, mehr erschlichen als im Sinne des Common sense erarbeitet, die unvollkommene, der Weichheit dieses Mannes entsprechende halbe Lösung seines Problems sind nicht zu verkennen und klar in ihrem Zusammenhang zu sehen.
Wenn noch ein kurzes Wort über jenes Thema gesagt werden soll, das als Freuds Symbolik im Traum beschrieben ist, so kann ich aus meiner Erfahrung folgendes mitteilen: Es ist richtig, daß seit jeher die Menschen eine Neigung zeigten, nicht nur sexuelle Vorgänge und Dinge mit Tatsachen des praktischen Lebens scherzweise zu vergleichen. An Wirtshaustischen und in Zoten geschah das wohl immer. Die Verlockung dazu liegt wohl zum großen Teil darin, neben herabsetzender Tendenz, Witzelsucht und Großsprecherei auch dem aus dem Symbol geholten emotionellen Akzent Raum zu geben. Es bedarf nicht viel an Geist, um diese gebräuchlichen Symbole, die sich in der Folklore und in Gassenhauern finden, zu verstehen. Daß sie freilich immer zu bestimmten, erst zu findenden Zwecken im Traume auftreten, ist wichtiger. Es ist das Verdienst Freuds, darauf aufmerksam gemacht zu haben. Aber alles, was man nicht versteht, als sexuelles Symbol zu erklären, um dann zu finden, daß alles aus der Sexuallibido stammt, hält einer vernünftigen Kritik nicht stand. Auch die sogenannten »beweisenden Erfahrungen« mit Personen in der Hypnose, denen zuerst suggeriert wurde, sexuelle Szenen zu träumen, und aus deren Mitteilungen dann gefunden wurde, daß auch sie in Freudschen Symbolen träumen, sind recht schwache Beweise. Es zeugt höchstens von natürlichem Schamgefühl, daß diese Personen die ihnen geläufigen Symbole an Stelle unverhüllter Sexualausdrücke wählen. Dazu kommt, daß es heute einem Freud-Schüler schwer sein wird, jemanden zu solchen Experimenten zu finden, ohne daß der Hypnotisierte wüßte, mit wem er es zu tun hat. Ganz abgesehen davon, daß die »Freudsche Symbolik« den Sprachschatz des Volkes ungemein bereichert und die Unbefangenheit bei Betrachtung von sonst harmlosen Dingen gründlich zerstört hat. Man kann auch oft bei Patienten, die früher in einer psychoanalytischen Behandlung gestanden sind, beobachten, daß sie in ihren Träumen von der Freudschen Symbolik einen ausgebreiteten Gebrauch machen. Meine Widerlegung würde noch stärker ausfallen, wenn ich wie Freud an Telepathie glauben und annehmen könnte, wie es auch seine seichten Vorläufer getan haben, daß Gedankenübertragung sich wie ein Radiovortrag abspielt. Dieses Gegenargument fällt demnach für mich weg.
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