Nun schwenkte er den Stab im Kreise um sein Haupt und wie er schwenkte, flog der Rabe; dann streckte er den Arm aus und der Vogel setzte sich auf seine Faust. Hierauf hob er die grüne Brille von seiner Nase; und während er sie auf des Raben Schnabel klemmte, sprach er:
»Wege sollst du weisen,
Krahirius sollst du heißen!«
Da schrie der Rabe: »krahira! krahira!« und hüpfte mit ausgespreizten Flügeln auf Hinzelmeiers Schulter. Der Meister aber sprach zu diesem:
»Wanderspruch und Wanderbuch
Hast du nun; und nun genug!«
Dann wies er mit dem Finger in das Tal hinab, wo der unendliche Weg über die Ebene lief und während Hinzelmeier, mit dem Reisehute grüßend, in die Frühlingsnacht hinausging, schwang Krahirius sich auf und flog zu seinen Häupten.
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»Der sucht den Stein der Weisen!« dachte Hinzelmeier; und seine Wangen begannen zu brennen; er schritt wacker auf die Erscheinung los; aber es war weiter, als es durch die Brillengläser aussah; er rief dem Raben, der mußte mit seinen Flügeln ihm die Schläfe fächeln. Erst nach Stunden hatte er den Grund der Schlucht erreicht. Nun sah er eine schwarze, rauhe Gestalt vor sich, die hatte zwei Hörner an der Stirn und einen langen Schwanz, den ließ sie hinter sich über das Gestein hinabhängen. Bei Hinzelmeiers Ankunft nahm sie das Stemmeisen zwischen die Zähne und begrüßte ihn mit dem verbindlichsten Kopfnicken, während sie mit der Schwanzquaste den Bohrstaub zusammenfegte. Hinzelmeier wurde fast um die Anrede verlegen, deshalb nickte er jedesmal mit gleicher Verbindlichkeit wieder, so daß also diese Komplimente von beiden Seiten eine Zeitlang fortdauerten. Endlich sagte der Andere: »Sie kennen mich wohl nicht?«
»Nein«, sagte Hinzelmeier. »Sind Sie vielleicht ein Pumpenmeister?«
»Ja«, sagte der Andere, »so etwas Ähnliches; ich bin der Teufel.«
Das wollte Hinzelmeier nicht glauben; aber der Teufel sah ihn mit zwei solchen Eulenaugen an, daß er am Ende gründlich überzeugt wurde und ganz bescheiden sagte: »Dürfte ich mir die Frage erlauben, ob Sie mit diesem ungeheueren Loche ein physikalisches Experiment beabsichtigen?«
»Kennen Sie die ultima ratio regum?« fragte der Teufel.
»Nein«, sagte Hinzelmeier. »Die ratio regum hat nichts mit meiner Kunst zu schaffen.«
Der Teufel kratzte sich mit dem Pferdehuf hinter den Ohren und sagte dann, einen überlegenen Ton annehmend: »Mein Kind, weißt du, was eine Kanone ist?«
»Freilich«, sagte Hinzelmeier lächelnd; denn das ganze hölzerne Arsenal aus seiner Knabenzeit sah er plötzlich im Geiste vor sich aufgepflanzt.
Der Teufel klatschte vor Vergnügen mit seinem Schwanze auf den Felsen. »Drei Pfund Schießpulver, ein Fünkchen Höllenfeuer dazu; dann –!« Hier steckte er die eine Tatze in das Bohrloch und indem er die andere auf Hinzelmeiers Schulter legte, sagte er vertraulich: »Die Welt ist unregierbar geworden. Ich will sie in die Luft sprengen.«
»Alle Wetter!« schrie Hinzelmeier, »das ist ja aber eine Radikalkur, eine wahr Pferdekur!«
»Ja«, sagte der Teufel, »ultima ratio regum! versichere Sie, es gehört eine übermenschlich gute Natur dazu, um so etwas auszuhalten! Aber nun entschuldigen Sie ein Weilchen; ich muß ein wenig inspizieren.« Mit diesen Worten zog er den Schwanz zwischen die Schenkel und sprang in das Bohrloch hinab. Da überfiel den Hinzelmeier auf einmal eine ganz übernatürliche Courage, so daß er bei sich beschloß, den Teufel aus der Welt zu schießen. Mit fester Hand zog er seine Zunderbüchse aus der Tasche, pinkte Feuer und warf es in das Bohrloch; dann zählte er: »eins zwei –«; aber er hatte noch nicht »drei« gezählt, so entlud sich diese grundlose Pistole ihres Schusses samt ihrer Vorladung. Die Erde machte einen fürchterlichen Seitensprung durch den Himmel. Hinzelmeier stürzte in die Knie; der Teufel aber flog wie eine Bombe durch die Luft, von einem Planetensystem in das andere, wo ihn die Anziehungskraft unseres Weltkörpers nicht mehr erreichen konnte. Hinzelmeier blickte ihm eine Weile nach; als er aber immer weiter und weiter flog und gar nicht damit aufhören wollte, so gingen ihm endlich die Augen über. Sobald daher die Erde sich insoweit beruhigt hatte, daß mit zwei Beinen wieder auf ihr zu stehen war, sprang er auf und blickte um sich her. Zu seinen Füßen gähnte ihn der schwarze ausgebrannte Mörser an; von Zeit zu Zeit quoll eine Wolke braunen Rauchs heraus und zog sich träge an den Felsen hin. Aber schon brach die Sonne durch den Dunst und vergoldete überall die Spitzen des Gesteins. Da nahm Hinzelmeier seine Tabakspfeife aus der Tasche und die blauen Wolken vor sich hinblasend, rief er triumphierend: »Den Stein des Anstoßes habe ich aus der Welt geschossen; wohlan! der Stein der Weisen kann mir nicht entgehen!«
Dann setzte er seine Wanderung fort und Krahirius flog zu seinen Häuptern.
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Als Hinzelmeier aus der Betäubung erwachte, lag er in seinem Bette; Frau Abel saß neben ihm und hielt seine Hand in der ihren. Sie lächelte, da er die Augen zu ihr aufschlug und der Abglanz einer Rose lag auf ihrem Antlitz. »Du hast zu viel erlauscht, um nicht noch mehr erfahren zu müssen«, sagte sie. »Nur darfst du für heute dein Bett nicht verlassen; aber währenddessen will ich dir das Geheimnis deiner Familie mitteilen. Du bist jetzt groß genug, um es zu wissen.«
»Erzähle nur, Mutter«, sagte Hinzelmeier und legte den Kopf zurück in die Kissen; und dann erzählte Frau Abel:
»Weit von dieser kleinen Stadt liegt der uralte Rosengarten, von dem die Sage geht, er sei am sechsten Schöpfungstage mit erschaffen worden. Innerhalb seiner Mauer stehen tausend rote Rosenbüsche, welche nie zu blühen aufhören; und jedes Mal, wenn in unserem Geschlechte, welches in vielen Zweigen durch alle Länder der Welt verbreitet, ein Kind geboren wird, springt eine neue Knospe aus den Blättern. Jeder Knospe ist eine Jungfrau zur Pflegerin bestellt, welche den Garten nicht verlassen darf, bis die Rose von dem geholt worden, durch dessen Geburt sie entsprossen ist. Eine solche Rose, welche du vorhin gesehen hast, besitzt die Kraft, ihren Eigentümer zeitlebens jung und schön zu erhalten. Daher versäumt denn nicht leicht Jemand, sich seine Rose zu holen; es kommt nur darauf an, den rechten Weg zu finden; denn der Eingänge sind viele und oft verwunderliche. Hier führt es durch einen dicht verwachsenen Zaun, dort durch ein schmales Winkelpförtchen, mitunter« – und Frau Abel sah ihren Eheherrn, der eben ins Zimmer trat, mit schelmischen Augen an – »mitunter auch durch’s Fenster!«
Herr Hinzelmeier lächelte und setzte sich neben das Bett seines Sohnes. Dann erzählte Frau Abel weiter:
»Auf diese Weise wird die größte Zahl der Jungfrauen aus ihrer Gefangenschaft erlöst und verläßt mit dem Besitzer der Rose den Garten. Auch deine Mutter war eine Rosenjungfrau und pflegte sechzehn Jahre lang die Rose deines Vaters. Wer aber an dem Garten vorübergeht ohne einzukehren, der darf niemals dahin zurück; nur der Rosenjungfrau ist es nach dreimal drei Jahren gestattet, in die Welt hinaus zu gehen, um den Rosenherrn zu suchen und sich durch die Rose aus der Gefangenschaft zu erlösen. Findet sie in dieser Zeit ihn nicht, so muß sie in den Garten zurück und darf erst nach wiederum dreimal drei Jahren noch einmal den Versuch erneuern; aber Wenige wagen den ersten, fast Keine den zweiten Gang; denn die Rosenjungfrauen scheuen die Welt und wenn sie ja in ihren weißen Gewändern hinausgehen, so gehen sie mit niedergeschlagenen Augen und zitternden Füßen; und unter hundert solcher Kühnen hat kaum eine einzige den wandernden Rosenherrn gefunden. Für diesen aber ist dann die Rose verloren; und während die Jungfrau zu ewiger Gefangenschaft zurückgegangen ist, hat auch er die Gnade seiner Geburt verscherzt und muß wie die gewöhnliche Menschheit kümmerlich altern und vergehen. – Auch du, mein Sohn, gehörst zu den Rosenherren und kommst du in die Welt hinaus, dann vergiß den Rosengarten nicht.«
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