»Wirst Du bellen, Hund?« fragte sie ruhig. Die anderen Damen brachen in ein schallendes Gelächter aus.
Der Türke schüttelte trotzig den Kopf.
»Ich würde ihn an Ihrer Stelle so lange peitschen, bis er meinen Willen thäte,« sagte die Polin, in deren lebhaften Augen etwas Diabolisches lag.
»Sie haben Recht,« sagte die Gräfin Soltikoff, und rasch holte sie die Peitsche, ein Attribut, ohne das eine russische Venus des vorigen Jahrhunderts nicht zu denken war. »Ich peitsche Dich tot, wenn Du nicht auf der Stelle bellst,« rief sie mit einem Blick, der jedes Erbarmen ausschloß.
Der Pascha ergab sich endlich in sein Schicksal und begann laut zu bellen, während die grausamen Schönen umherstanden und sich vor Lachen schüttelten.
Anfangs Dezember 1788 war ein neuer starker Schneefall eingetreten, welcher die ohnehin elenden Straßen des südlichen Rußlands vollkommen unpraktikabel machte und der Armee vor Otschakoff jede Zufuhr abschnitt. Potemkin kam in ernste Gefahr, mit seinen Soldaten und seinen schönen Sultaninnen zu verhungern.
Als das Elend auf das Höchste gestiegen war, kamen die Soldaten zu Suwarow und baten ihn um Rat und Hülfe. »Väterchen Alexander Wassiljewitsch,« klagten sie, »wir haben nichts mehr zu essen, unsere Stiefeln sind durch, und in unsere Uniformen bläst bei hundert Löchern der Wind hinein. Rette uns, Väterchen Suwarow!«
»Für uns alle giebt es keine andere Rettung mehr, als Sturm,« erwiderte der General. »Wir müssen Otschakoff nehmen oder sterben!«
Der Ausspruch des von dem ganzen Heere angebeteten Suwarow ging von Mund zu Mund, endlich rotteten sich die Soldaten zusammen, Tausende zogen, grüne Tannenreiser auf den Hüten und brennende Strohbündel in den Händen, Abends durch das Lager vor den hölzernen Palast des Tauriers und verlangten den Sturm auf Otschakoff. Potemkin, durch die furchtbare Lage, die ihm keine andere Wahl mehr ließ, gezwungen, gab mit schwerem Herzen seine Einwilligung, ihm bangte um das Blut seiner Soldaten nicht minder als den Erfolg. Er übergab Suwarow das Kommando der Stürmenden, und dieser traf mit seiner beispiellosen Energie rasch seine Anstalten.
Am Abende des 17. Dezember wurden Freiwillige aus den Regimentern aufgerufen, welche die erste Sturmkolonne bilden sollten, die, da sie zuerst auf die Minen und spanischen Reiter stieß, in der Regel so gut wie geopfert war. Man brauchte 600 Mann, da aber Suwarow selbst sie führte, meldeten sich mehrere Tausend, unter denen gelost werden mußte.
Die Gräfin Soltikoff befand sich gleichfalls unter denjenigen, welche sich als Freiwillige gemeldet hatten, und sie verstand es so einzurichten, daß auch das Los sie traf.
»General, ich werde an Ihrer Seite sein!« sagte sie zu Suwarow.
»Das verhüte Gott!« erwiderte er.
»Und weshalb?«
»Weil ich zum ersten Male in meinem Leben etwas wie Angst fühlen würde.«
»Angst um mich –?« fragte die schöne Amazone freudig überrascht.
»Ja denn, Gräfin,« murmelte er verlegen, »ich bitte Sie, bleiben Sie im Lager.«
»Nein, Suwarow, ich bleibe nicht,« sagte sie rasch mit ihrer herrlichen Energie, »ich würde wieder in Angst vergehen, wenn ich nicht bei Ihnen wäre. Sie müssen mir schon gestatten, heute mit Ihnen zu siegen oder zu sterben.«
Die denkwürdige Nacht des 17. Dezember brach an. Ohne Trommelschlag, die Füße mit Stroh umwunden, die erste Kolonne, von Suwarow geführt, ohne einen Schuß im Lauf und ohne Patrontasche, voran, die anderen in einer Distanz von 1000 Schritten folgend, setzten sich die Russen in Bewegung. Kein Laut verriet das große Unternehmen. Schon standen die Freiwilligen vor dem Festungsgraben, Suwarow machte das Kreuz und warf sich, der Erste, hinein. Die Anderen stürmten nach.
Der Überfall gelang vollständig, die türkischen Posten wurden überrascht und niedergemacht, der Wall erstiegen. Kein Schuß fiel, nur das Bajonett arbeitete. Aber jetzt entstand Alarm in der Festung, und die Janitscharen stürzten von allen Seiten auf die Basteien, die nachfolgenden Regimenter wurden überall von einem mörderischen Feuer empfangen, zugleich machte ein Teil der Besatzung einen Ausfall und schnitt Suwarow mit seinen sechshundert Mann von der übrigen Armee ab.
Die Gräfin hatte, nur von einigen Freiwilligen ihres Regiments gefolgt, zuerst die russische Fahne auf der Mauer von Otschakoff aufgepflanzt und die türkischen Kanoniere niedergehauen, dann war sie in die Straßen der Stadt vorgedrungen und hier von allen Seiten umzingelt worden.
In dem Augenblicke, wo es für Suwarow galt, die Verbindung mit den anderen Sturmkolonnen herzustellen, vermißte er die Gräfin, er rief ihren Namen, niemand antwortete. Todesangst faßte ihn, statt die eroberte Batterie zu behaupten, warf auch er sich mit seinen Leuten in die Stadt, nur von dem einen Gedanken beseelt, sie zu retten. Für kurze Zeit schien Alles verloren, die Stürmenden begannen zu weichen, die Türken erhoben ein bestialisches Siegesgeschrei. Da hörte Fürst Repnin, daß Suwarow abgeschnitten sei, warf sich vom Pferde unter seine Soldaten und rief, die Fahne ergreifend: »Suwarow, unser Vater, ist gefangen, mir nach, wer kein Feigling ist!«
»Suwarow, Suwarow gefangen, rettet Suwarow!« lief es von Mund zu Mund, und Alles lief von neuem zum Sturme. Fürst Repnin drang zuerst mit zwei Regimentern ein und brachte Suwarow, der sich bereits im Rücken bedroht sah, Hülfe zur rechten Zeit.
Unaufhaltsam führte der Held nun seine Leute vorwärts, die Janitscharen vor sich niedermetzelnd, bis er den weißen Federbusch der Gräfin wiedersah. Sie selbst stand, nur von wenigen Soldaten umgeben, an ein Haus gelehnt, die Flinte eines Gefallenen in der Hand, und wehrte sich mit der letzten Kraft der Verzweiflung.
»Tötet sie nicht, sie muß lebendig in unsere Hände fallen,« riefen die Türken einander zu, ein Jeder wollte das schöne Weib besitzen. Da fiel Suwarow, in einer Hand den Degen, in der andern die Lanze eines Kosaken, mitten unter sie, trieb sie auseinander und befreite so die Gräfin, welche seine Hand ergriff und in fieberhafter Aufregung an ihr Herz preßte.
Jetzt erst bemerkte Suwarow, daß die Gräfin blutete. »Sie sind verwundet?« rief er.
»Ich glaube,« entgegnete sie matt.
»Wo, um Gotteswillen?«
Sie wies auf ihren linken Arm, er hatte die Stelle bald entdeckt, und während ringsum Schüsse fielen, das Gestöhn der Verwundeten und Sterbenden sich in das Feldgeschrei der Kämpfenden mischte, preßte er seine Lippen auf die Wunde und begann so das Blut zu stillen.
Ein furchtbares Blutbad, ein Gemetzel ohne Gleichen folgte. Als die Sonne sich erhob, wehte die russische Fahne von allen Wällen und Türmen. Otschakoff war erstürmt.
*
Drei Tage lang wurde die Stadt geplündert. Dreißigtausend Gefallene von beiden Seiten bedeckten das Schlachtfeld von Otschakoff.
Als Potemkin dasselbe in Augenschein nahm und seine toten und verstümmelten Soldaten sah, begann er laut zu weinen. So seltsam waren in diesem großen Barbaren Selbstsucht und Roheit mit Großmut und Güte gemischt.
Nachdem man die gefallenen Russen beerdigt hatte, wurden die Leichen der Janitscharen auf dem festgefrorenen Liman aufgeschichtet in der Absicht, daß sie der kommende Eisstoß im Meere begrabe. Die russischen Damen aus dem Gefolge Potemkin’s kamen nun in Schlitten, in ihre prachtvollen Pelze gehüllt, und fuhren um diese grauenvollen Pyramiden herum, die kraftstrotzenden Leiber der toten Janitscharen bewundernd.
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