91 »Hierfür, Herzogliche Gnaden, glaube ich gleichfalls mich verbürgen zu können. Freilich, wenn mir eine Bemerkung verstattet ist –«
»Sprecht nur frei, Adalbert Wogelein«, sagte der Herzog.
»Auch als einzelne Personage, Durchlauchtigste Gnaden, wäre gerade Tobias Klenk nicht als ungefährlich anzusehen, wie Durchlauchtigste Gnaden es in fürstlicher Milde anzunehmen geruhen. Solches hat er nicht nur durch sein Verhalten gegenüber dem Herrn Oberjägermeister und dessen Gehilfen, durch sein ungebührliches Betragen vor Gericht, überdies in Anwesenheit seines Durchlauchtigsten Fürsten in höchst bedauerlicher Art kundgegeben – auch seine Vergangenheit, sein Leumund, die Gerüchte –«
»Nun,« unterbrach ihn der Herzog mit leichter Ungeduld, »es wird solchen Gesellen niemals gelingen, in meinem Land irgend was Übles anzurichten, so lange ich so tüchtige Leute, seien es nun Jäger oder Richter, 92 in meinen Diensten habe, als mir – durch Gottes Fügung – vergönnt ist.«
Während er so sprach, sah er wie in wachsendem Unbehagen an dem Richter vorbei. Doch den Blick seiner Frau fühlte Adalbert von Sekunde zu Sekunde immer starrer auf sich gerichtet, und er begann zu wünschen, daß all die freundlich herablassenden Worte des Herzogs, dessen gütig-mildes Betragen nichts anderes zu bedeuten hätte als Verstellung und Tücke – wünschte beinahe, daß draußen vor dem Haus wirklich die Häscher schon bereitstünden und nur eines herzoglichen Winkes harrten, um ihn, Adalbert, ins Gefängnis zu schleppen, so daß sich am Ende doch alles, was er lügnerisch und feig seiner Frau über den Fürsten erzählt hatte, als traurige Wahrheit erwiese. Doch während er so dachte, fühlte er zugleich, wie er das Haupt zum Dank für das Lob des Herzogs wider Willen gleichsam bis zum Teller hinabneigte; und was er sich zu eigenem Staunen fast wie einen, der gar nicht er selber war, sagen hörte, 93 waren die demütigen Worte: »Meines Durchlauchtigsten Herrn Zufriedenheit zu erringen, wird mir jederzeit das höchste Glück bedeuten.«
Der Lakai trat ein und meldete, daß der Wagen instand gesetzt sei. Der Herzog erhob sich, trank Agnes noch einmal zu und sprach: »Nehmt meinen Dank für die freundliche Bewirtung. Ich möchte mich Euch gerne erkenntlich zeigen, und so bitt’ ich Euch, einen Wunsch auszusprechen, dessen Erfüllung Euch am Herzen liegt – noch ehe ich von diesem gastlichen Hause Abschied nehme.«
Doch Adalbert, als wollte er verhüten, daß Agnes vor dem Herzog ihre Stimme vernehmen lasse, erwiderte an ihrer Statt: »Daß Eure Herzogliche Gnaden geruhten, in unsere arme Hütte einzutreten, an unserem bescheidenen Tisch zu sitzen und von unserem schlechten Wein zu trinken, ist uns überreicher Dank.«
»Euch vielleicht, Herr Richter«, entgegnete der Herzog kühl. »Und da ich eine 94 Erwiderung dieser Art von Euch beinahe erwarten konnte, zog ich es vor, meine Frage an Eure anmutige Gattin zu richten; – auch darum, daß ich endlich den Ton ihrer Stimme zu vernehmen so glücklich sei, was mir bis zu diesem Augenblick leider noch nicht vergönnt war. Also nochmals, schöne Frau, sprecht einen Wunsch aus; – wenn es irgend in meiner Macht steht, will ich ihn erfüllen.«
»Durchlaucht,« begann Agnes mit leiser, aber klarer Stimme – und Adalbert ging ein Zittern durch den ganzen Leib, »Durchlauchtigster Herzog, ich habe nur diese eine Bitte, daß Ihr huldreichst geruhen mögt, dem Tobias Klenk seine Strafe nachzusehen und ihn aus seiner Haft zu entlassen.«
Des Herzogs Züge wurden mit einem Male ernst. Adalbert schöpfte eine Hoffnung, eine unklare, törichte Hoffnung, der Herzog würde Agnes’ Bitte abschlagen mit hartem Wort: Wie, dies eine Jahr, das ohnehin viel zu wenig ist, soll ich ihm nachsehen? Welche Verwegenheit! Nun seh’ ich, daß Ihr alle im Bunde mit 95 ihm seid. Ins Gefängnis mit Euch beiden, und der Tobias soll hängen!
Aber der Herzog sprach anders: »Wie sehr beklag’ ich,« sagte er, »beste Frau, daß Ihr von hundert oder tausend Wünschen, die Ihr wohl hättet äußern dürfen, gerade den einen aussprecht, den zu erfüllen ich völlig außer Stande bin.« Und nach einem kleinen Zögern: »Ich kann dem Tobias Klenk die Freiheit nicht schenken – weil er sich schon seit einer Stunde wieder ihrer erfreuen darf.« Und zu Adalbert gewandt, der, wie auf die Stirn geschlagen, dastand: »Mit Eurer Erlaubnis, Herr Richter, habe ich den lächerlichen Patron aus dem Gefängnis entlassen und denke daran, wie ich Euch verraten will, ihn im Schlosse Karolslust als Jagdgehilfen anzustellen, wo er dann seinen Gelüsten in bequemerer Weise als bisher und ohne Fährlichkeiten für sich selbst und meine andern Jäger wird fröhnen können.«
Adalbert war totenblaß, und ein dünnes, leeres Lächeln verzerrte seinen Mund. Zu 96 Agnes wagte er nicht einmal hinzusehen. Nach einer Entgegnung zu suchen, war ohne Sinn, und so tat er nichts weiter, als daß er sich, wie er schon so oft in dieser Stunde getan, tief neigte, als fühle er sich gedrängt, in des Tobias Klenk Namen dem Herzog für dessen Gnade zu danken.
Dieser aber ermutigte Agnes, irgendeinen andern, leichter zu erfüllenden Wunsch auszusprechen, damit er nicht am Ende genötigt sei, wie er sagte, dies gastliche Haus als Schuldner zu verlassen.
Und mit einer Stimme, die so fern und fremd für Adalbert klang, daß es ihm kalt über den Rücken lief, erwiderte Agnes: »So wünsche ich mir denn, von meinem Durchlauchtigsten Herrn und Herzog als Gartenmägdlein erwählt zu werden – und wenn es meinem Herrn nicht gefällt, mich sofort mit sich nach Karolslust zu nehmen, so erbitte ich mir, unter seinem Schutz unverzüglich an irgendeinen andern sichern Ort gebracht zu werden, um auch nicht eine Stunde länger in diesem 97 Hause, an der Seite dieses Mannes, der mein Gatte war, weiter leben zu müssen.«
Adalbert glaubte vor Scham, Wut und Verzweiflung zu Boden sinken zu müssen; doch er wurde nur noch blässer, seine Züge noch verzerrter; und seine Lippen bebten.
Der Herzog warf einen mitleidigen, aber kaum verwunderten Blick auf ihn, sah gleich wieder, wie um ihn zu schonen, von ihm fort, dann wandte er sich zu Agnes, die regungslos vor ihm stand, keineswegs einem Weibe gleichend, das gewillt wäre, in plötzlich erwachter Leidenschaft sich einem Geliebten an den Hals zu werfen, sondern wie eines, das zu irgendeiner unwiderruflichen, düsteren Tat fest entschlossen war, und langsam den Kopf schüttelnd, wie in höflichem Bedauern, erwiderte der Herzog: »Seltsam, auch dieser Euer zweiter Wunsch ist einer, den zu erfüllen ich außerstande bin, denn die Institution der Gartenmägdlein, schöne Frau, denke ich abzuschaffen, wie es noch mit manchem anderem in diesem Lande geschehen wird – und 98 das Schloß Karolslust soll mir und meiner künftigen Gattin, der Prinzessin von Württemberg, während der Sommermonate als Aufenthalt dienen.«
Agnes stand regungslos, doch alles Blut war aus ihren Wangen gewichen.
Der Herzog betrachtete sie lange, und mit sanfter, fast gütiger Stimme sprach er weiter: »Vielleicht aber, schöne Frau, geht Euer Wunsch gar nicht so weit, als Ihr es Euch in diesem Augenblicke einbildet; und es lockt Euch nur, das Schloß, über das so viele Sagen hier im Lande umgehen, einmal in der Nähe zu besehen. Und so lade ich Euch denn zu einer kleinen Spazierfahrt nach Karolslust ein; wir wollen dort, wenn’s Euch genehm ist, eine Weile im Park auf und ab wandeln; – Ihr vertraut mir Eure Bedenken und Kümmernisse an, die wohl nicht so schwer zu beschwichtigen sein werden, als es Euch in dieser Stunde erscheinen mag; – und Ihr werdet selbst entscheiden, ob Ihr in Karolslust unter dem Schutz der Frau Oberjägermeisterin 99 Aufenthalt nehmen wollt, oder ob Ihr nicht vorzieht, noch vor Abend in dieses Haus zurückzukehren – um nicht zu tun, was Euch später doch einmal gereuen könnte.«
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