Adalbert Wogelein erhob sich und wollte dem Herzog ein paar Schritte entgegentun, 48 um ihn mit schuldiger Ehrfurcht zu begrüßen; dieser aber, mit ziemlich leiser, aber wohlklingender Stimme sagte: »Ich trag’ Euch auf, Herr Richter, Eures Amtes weiter zu walten und die Verhandlung weiter zu führen, gerade so, als wenn ich nicht anwesend wäre.« Ebenso bedeutete er dem Gerichtsdiener, der das nachdrängende Volk zurückhalten wollte, er möge so viele hereinlassen, als immer nur Platz finden könnten, ließ es sich gerade noch gefallen, daß der Schreiber ihm einen Stuhl hinschob, und rückte ihn selber so, daß er seitlich neben dem Richter, doch ein wenig hinter ihm zu sitzen kam.
Ohne mit der Stimme zu beben, fuhr Adalbert Wogelein in seinen Fragen fort, und als der Landstreicher noch weiterhin leugnete, während die Witwe schwor, es könne kein anderer als er der Übeltäter gewesen sein, tat Adalbert den Spruch, daß der Angeklagte, bei dem sich nichts von den gestohlenen Sachen vorgefunden, aus der Haft zu entlassen, daß er aber unverzüglich den Ort und 49 innerhalb vierundzwanzig Stunden das Land zu verlassen habe. Dann sagte er einfach: »Weiter«, wie das eben seine Art war, wenn ein neuer Fall zur Verhandlung kommen sollte; und er bewies so seine Unbekümmertheit um die Anwesenheit des Herzogs, empfand es aber zugleich mit Genugtuung, daß er damit nach des Herzogs ausdrücklich kundgetanem Willen vorgegangen war.
Ohne den Aufruf des Gerichtsdieners abzuwarten, der sich noch mit dem Landstreicher zu befassen hatte, trat Tobias Klenk ein, in einem kavaliersmäßig zugeschnittenen, doch abgetragenen Gewand, zu dem die hohen, gelben Stiefel nicht recht passen wollten. Das dunkle Haar hing ihm wirr in die blasse, gerunzelte Stirn, sein Blick war hochmütig und nicht ohne Tücke, und er sah abenteuerlich und beinahe bedrohlich aus. Er trat, als sei ihm von der Anwesenheit des Herzogs nichts bekannt, gerade vor den Richter hin und sagte in scharfem, aber nicht gerade grobem Ton: »Vor allem, Freund 50 Adalbert, wünsche ich der Handschellen entledigt zu werden.«
Ein Raunen und Murmeln ging durch die enge, menschenerfüllte Stube, die Leute sahen zum Herzog hin, der unbeweglich mit gekreuzten Armen dasaß; – und dann erst zum Richter.
Dieser aber sprach: »Die Handschellen wären Euch schon vor Eurem Eintritt abgenommen worden, wenn Ihr so lange Geduld gehabt hättet, bis man Euch vorrief. Euer Freund aber, Tobias Klenk, wo immer ich es sein mag, hier in der Amtsstube bin ich es nicht.«
Auf seinen Wink wurden dem Tobias die Fesseln abgenommen und zugleich wies der Richter den Schreiber an, die Anklage gegen Tobias Klenk zur Verlesung zu bringen. Doch kaum hatte sich der Schreiber erhoben, als Tobias nach dem Papier griff, das jener in den Händen hielt, es zusammenknitterte und auf den Tisch warf. Er soll es mir nur nicht zu schwer machen, dachte Adalbert.
51 »Was kümmert mich das Papier!« rief Tobias. »Wo sind die Kerle, die mir meine Flinte weggenommen, mich geprügelt und mir Hand-und Fußschellen angelegt haben? Wo sind die Jagdgehilfen? Wo der Herr Oberjägermeister? Mit ihnen habe ich zu schaffen, nichts mit dem Papier.«
»Tobias Klenk,« sagte Adalbert Wogelein, und er hoffte, daß niemand das leise Zittern in seiner Stimme merken würde, »ich ermahne Euch, der Würde dieses Ortes eingedenk zu sein, der heute überdies durch die Anwesenheit Seiner Gnaden, unseres durchlauchtigsten Herzogs ausgezeichnet ist.«
Das hätte ich nicht sagen sollen, dachte er gleich und vernahm auch schon die milde, aber feste Stimme des Herzogs: »Meine Anwesenheit tut nichts zur Sache, Herr Richter.« Und mit einer leichten Handbewegung wehrte er zugleich die allzu tiefe, geradezu höhnische Verbeugung ab, zu der sich Tobias Klenk nun bequemte, als wäre er des Herzogs eben erst gewahr geworden.
52 Adalbert Wogelein aber wies den Schreiber durch einen Blick an, zu lesen, worauf dieser das zerknitterte Papier, das er schon vorher an sich genommen, völlig entfaltete und begann:
»Am heutigen Nachmittag, bei einem Rundgange durch das herzogliche Revier, kaum hundert Schritte weit vom eingefriedeten Park, betraf ich, der unterzeichnete herzogliche Oberjägermeister Franz Sever von Wolfenstein den hier gebürtigen, aber meist von hier abwesenden, übel beleumundeten Einwohner von Karolsmarkt Tobias Klenk« (hier lachte Tobias auf, und Adalbert schüttelte mißfällig den Kopf, man wußte nicht, ob über des Tobias Lachen oder über die Bemerkung des Oberjägermeisters zu des Tobias Leumund) – »mit einer Jagdflinte im Arm. Obzwar ich nach bestehendem Gesetz berechtigt, ja vielleicht sogar verpflichtet gewesen wäre, bemeldetem Tobias Klenk die Waffe ohne weiteres abzunehmen und ihn in Arrest führen zu lassen, verwarnte ich ihn 53 vorerst und forderte ihn auf, sich unverzüglich aus dem Revier zu entfernen, das er offenbar nur zum Zwecke der Wilddieberei betreten hatte. Erst als er meine Aufforderung mit unverschämten, ja drohenden Worten erwiderte, pfiff ich um Sukkurs, worauf die in der Nähe befindlichen Jäger Kuno Waldhaber und Franz Rebler herbeieilten, bemeldetem Tobias Klenk die Flinte wegnahmen und, da er mit Händen und Füßen um sich schlug, sich überhaupt gebärdete wie ein Wütender, ihm Fesseln anlegten, worauf ich ihn in den Arrest nach Karolsmarkt abführen ließ, damit er vor dem ordentlichen Gericht in aller Form Rechtens verhört und abgeurteilt würde, wegen folgender drei Vergehen, als da sind: Erstens: unbefugtes Tragen einer Waffe im herzoglichen Revier, zweitens: geplante Wilddieberei und drittens: gewalttätiges Vorgehen gegenüber herzoglichen Angestellten im Dienst.«
Sofort, nachdem der Schreiber geendet, richtete Adalbert Wogelein das Wort an 54 den Angeklagten. »Euer Name ist Tobias Klenk?«
»So wahr der deine Adalbert Wogelein ist.«
»Alter – dreiunddreißig Jahre, unvermählt –«
»Und hoffe es zu bleiben.«
»Euer Beruf?«
»Bist du der überflüssigen Fragen nicht endlich müde, Adalbert?«
»Meine Pflicht ist zu fragen, wie die Eure zu antworten.«
»So setze in die Rubrik: was er war, kümmert keinen; was er einmal sein wird, vermag er selbst heute noch nicht vorherzusagen; was er ist, sieht jeder auf den ersten Blick – und wer es nicht sieht, dem ist durch Worte nicht zu helfen.«
»Euer Witz ist etwas zeitraubend«, bemerkte Adalbert Wogelein. Und da er, zum Herzog schielend, zu bemerken glaubte, daß dieser lächelte, fügte er leichten Tones hinzu: »Somit werde ich auf eigene Verantwortung einschreiben: Dermalen beschäftigungslos.«
55 »Wieso, Freund Wogelein? Deine Beschäftigung ist zu fragen, meine zu antworten. Ich kann mir so wenig helfen als du; wir stehen beide unter demselben Gesetz, doch glaube ich fast, daß mir wohler zumute ist als dir.«
Ein leises Murmeln ging durch den Raum. Adalbert Wogelein saß unbeweglich. Und trotzdem werde ich ihn freisprechen, dachte er, mag daraus werden, was will. »Bekennt Ihr Euch schuldig, Tobias Klenk?« fragte er.
»Nein«, erwiderte Tobias Klenk.
»So leugnet Ihr die Richtigkeit des Protokolls von des Herrn Oberjägermeisters Hand, das Euch eben vorgelesen wurde?«
»In den Tatsachen keineswegs, doch stelle ich in Abrede, daß diese Tatsachen eine Schuld zu bedeuten haben.«
»Ihr seid erstlich angeklagt, im herzoglichen Jagdrevier eine Waffe, und zwar eine Jagdflinte getragen zu haben, womit Ihr wissentlich ein strenges Gebot überschritten habt.«
56 »Ich weiß, daß dies ein Verbot ist, doch bestreite ich, daß man sich jedem, auch einem unsinnigen Verbot bedingungslos unterwerfen muß. So könnte es irgendeinem Fürsten einmal einfallen, ein Gebot zu erlassen, daß niemand mit gelben Stiefeln sein Revier betrete, – oder daß kein Untertan mehr als drei Knöpfe an der Weste tragen dürfe. Wie denkst du, Adalbert Wogelein, wäre ich – oder wärst du gehalten, auch ein solches Gebot zu erfüllen, weil ein Fürst oder ein Oberjägermeister es erlassen?«
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