»Kindl? Was hast du?«
Ohne das Gesicht zu wenden, sagte sie leise: »Wie die Mutter von uns gegangen ist? Gelt, Vater, da hast du ihn auch gesehen?«
»Wen?«
»Den armen Erdenbruder vom schönen Glück in der Umwelt.«
»Wen meinst du, Juttula? Ich versteh dich nit.«
»So viel hab ich allweil drüber sinnen müssen. Und hab mir doch niemals denken können, wie er ausschaut. Jetzt seh ich ihn. Ist noch ein junger Mann und hat schon weißes Haar wie ein Alter. Sein Leib und sein Gesicht sind mager, als hätt er zehren müssen von seinem eigenen Fleisch. Ganz still ist er, kein Wörtl hör ich ihn reden. Tiefe, dunkle Augen hat er, die traurig sind. Wenn ich hineinschau, Vater, muß ich weinen. Und seine Hand, die mich anrührt im Herzen, ist kalt, wie die Eisblumen sind.«
In Sorge hat Greimold sich erhoben. »Kind, was redest du? Wer soll das sein, den du siehst?«
»Der Schmerz!« Tief atmend wandte Jutta das Gesicht. Der Schein des Herdfeuers machte auf ihren Wangen die Tränen funkeln, als wären es leuchtende Blutstropfen. »Das ist dem schönen Glück sein Bruder. Ich kann dir’s nimmer sagen, wie mir’s der Irmi gesagt hat. Das ist schön gewesen. Wenn der Irmi wiederkommt, so mußt du ihn fragen drum!« Sie stockte. »Schau nur, jetzt hab ich völlig vergessen. Hast du mir nit gesagt, daß er nimmer kommt?« Ihr Gesicht entstellte sich. »Hätt ich’s von einem anderen hören müssen, so hätt ich gesagt: Das ist nit wahr, er hat’s versprochen, und wenn es maiet und sein Blüml lebendig wird, so kommt er wieder.«
In ratlosem Kummer trocknete Greimold seinem Kind die Tränen von den Wangen. Ihm war, als müßte er schreien: Glaube deiner Sehnsucht! Aber es geschah zum erstenmal, daß er den Mut nicht fand, der Blinden eine tröstende Lüge zu sagen. Er fürchtete, daß ihrem Herzen solche Lüge gefährlicher werden könnte als die Wahrheit. »Komm! Laß dich in die Kammer führen! Ich bleib bei dir und tu deine Hand in der meinen halten, bis du schlafen kannst.«
Sie löste ihre Hand. »Du hast einen harten Weg gemacht um meinetwegen. Da mußt du rasten. Ich hab schon einen Gesellen. Der muß mir die ganze Nacht erzählen von seiner schönen Schwester. So tröstet er alle, denen er weh tut. Das hat mir der Irmi gesagt. Gottes Ruh zur Nacht, lieber Vater! Komm, Weiße, tu mich führen!«
Greimold blieb bei der Tür stehen und lauschte, bis es still in der Kammer wurde.
Die Helgard kam mit verdrossenem. Gesicht und setzte die Pfanne über das Feuer, um ein Mahl für den Hauswirt zu richten, der seit Tag und Nacht keinen Bissen genossen hatte. Neben dem prasselnden Feuer, dessen Wärme ihm die erstarrten Glieder löste, streckte sich Greimold auf die Herdbank nieder. Von Müdigkeit überwältigt, fiel er in tiefen Schlaf, noch ehe sein Mahl in der Pfanne gar geworden.
Draußen hatte sich der Wind gelegt. Immer spärlicher fielen die Flocken in den wachsenden Tag, und es wurde zwischen dem treibenden Schneegewölk so licht, als hätte die Sonne Kraft gewonnen und möchte die hüllenden Schleier siegend durchbrechen.
Inhaltsverzeichnis
Die Strenge des Winters begann sich zu mildern, als die Osterwochen näherrückten. Es kamen schöne Tage mit reinen Lüften und klarer Sonne. Da hoben sich im Schein des Morgens die weißen Berge wie flimmernde Silberstufen ins tiefe Blau, und vom Schnee der Täler ging ein farbiges Gleißen aus, das die Augen blendete. Stieg die Sonne zur Mittagshöhe, so fing das Tauen und Schmelzen an. Überall im Bergwald fiel in schweren Klumpen der Schnee von den Ästen. Auf den Almfeldern, die gegen Süden lagen, erschienen gelbgraue Flächen, die immer größer wurden, bis die stahlblaue Dämmerung aus dem Schatten der Täler hinaufschwamm in den Rotschein der Berge.
So kämpfte der warme Tag für den Frühling, die kalte Nacht für den Winter. Der klammerte sich an den Felsen fest, bis der Lenz den siegenden Föhnsturm über die Berge schickte. Alle Bäche im Tal begannen zu schwellen, mit dem Sturmgeheul in den Lüften mischte sich Lawinendonner, der aus fernen Höhen ruhelos heruntertönte ins Klostertal.
Um diese Zeit war schwüle Luft auch innerhalb der Mauern des Stiftes. Die Chorherren schätzten ihr Leben allzu hoch, um nicht mit Bangen an das Gespenst zu denken, das vor der Krankenzelle kauerte, in welcher Irimbert von Immhof in brennendem Fieber um sein Leben rang. »Morbus transit in alois« – die Krankheit wäre ansteckend, hatte der Medikus erklärt. Außer ihm und Bruder Eligius, den der Dekan zur Pflege des Kranken bestimmt hatte, durfte kein anderer die Zelle betreten. Vor der Krankenstube war eine Reihe von Glutpfannen aufgestellt. Der scharfe Geruch der gifttötenden Kräuter, die man über die glühenden Kohlen häufte, quoll durch alle Räume des Stiftes. Er drang sogar hinunter bis in die Kellerstube, so daß Linhart Scharsach meinte: »Bei jedem Schluck, der einem durch die Gurgel rinnt, muß man den nahen Tod schmecken. Die Luft ist verpestet und der Wein dazu. Sauberen Dank haben wir davon, daß wir den üblen Vogel aus seinem Käfig lösten. Möcht nur wissen, wieso dem Dekan das Erbarmen so jählings eingeschossen ist?«
Herr Linhart Scharsach war seit einiger Zeit nicht gut auf Wernherus zu sprechen. »Er ist pröpstisch geworden! Der Baum seines Willens hat sich verwandelt in ein Rütl, das sich biegt, wenn es den Wind des Herren spürt.«
Es war ein scharfer Wind, der seit Wochen aus der Stube des Propstes hinfuhr über die trotzigen Köpfe. Herr Friedrich büßte mit Strenge jede Regung des Ungehorsams, und von den regelwidrigen Freiheiten, die sich im Leben der Chorherren eingebürgert hatten, hob er eine nach der anderen auf. Es schien in ihm der zähe Wille erwacht zu sein, Zucht und Ordnung in seinem Stifte wiederherzustellen. Liefen die Chorherren zum Dekan, um gegen die Härte des Propstes zu klagen, so zuckte Wernherus die Schultern. »Sein Vetter in Bayern ist stärker als unser Zorn. Wir müssen uns beugen.«
Unter dieser Strenge des Propstes hatte Linhart Scharsach am übelsten zu leiden. Die Zeit, in der die Kellerstube täglich dem Besuch der Chorherren offenstand, war auf eine Stunde nach dem abendlichen Mahl beschränkt. So fleißig Herr Linhart in dieser Stunde den Becher hob, es gelang ihm nur selten, seinen Kopf so schwer zu machen, um fest zu schlafen. Ging er mit klaren Sinnen zu Bett, so war sein Schlummer gequält durch böse Träume, die seinen Körper mit kaltem Angstschweiß badeten; immer sah er das weiße Antlitz eines Toten mit offenem Mund.
Eines Abends, in der zweiten Woche nach Ostern trank sich Linhart Scharsach so toll und voll, daß er auf eigenen Füßen nicht mehr in seine Zelle kam. Heinrich von Eschelberg und Bruder Medardus mußten ihn hinaufschleppen. Am andern Morgen verbot ihm Herr Friedrich den Besuch der Kellerstube und schloß ihn für einen Monat vom Tisch der Chorherren aus. Linhart Scharsach eilte in kochendem Zorn zu Wernherus. »Weil ich der Eurige gewesen bin mit Leib und Seel, drum kühlt er jetzt seine Wut an mir und hält mich kürzer wie jeden. Helft mir! Oder ich tu’s den anderen nach, die sich lieb Kind beim Herren machen.«
Der Dekan schob an der Tür den Riegel vor und dämpfte die Stimme. »Kannst du schweigen?«
»Wenn’s meinen Vorteil gilt, bin ich stumm wie ein Kalb, dem der Schlächter das Maul verbunden.«
»Die Salzburger Domherren haben mir eine Nachricht geschickt.«
»Eine, die gut ist?«
»Ich denke, sie soll es werden. Der Kaiser hat seinen Bastard und Liebling Enzio mit der schönen Witib des Ubaldo Visconti vermählt.«
»Daß ein ander ein schönes Weib kriegt? Soll das gute Nachricht sein? Für mich?«
»Jene Witib ist die Erbin von Sardinien, auf das der Papst einen Anspruch erhebt.«
»Und da rauft er sich mit dem Kaiser? Das wird ihm wenig helfen. Der Kaiser hat in Italien die Macht.«
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