»Wart 'mal . . . Ich verstehe Dich nicht ganz . . .« murmelte der Mann, sich die Stirn reibend. »Du sagtest doch zuerst, daß Du diese Tataren nur von weitem gesehen hättest, und jetzt erzählst Du mir von irgend einem Sulejman?«
»Du fängst wieder mit Deinen Wortklaubereien an!« sagte die Frau mit einer Grimasse, ohne auch nur im geringsten verlegen zu werden. »Ich kann so ein mißtrauisches Wesen nicht vertragen! Nein, das kann ich nicht leiden.«
»Ich sage ja nichts, aber . . . wozu die Unwahrheit reden? Bist Du mit dem Tataren geritten, so bist Du geritten, und damit basta. Aber . . . wozu solche Ausflüchte?«
»Hm! . . . So komisch zu sein!« empörte sich die junge Frau. »Auf Sulejman eifersüchtig! Ich möchte doch wissen, wie Du ohne Führer in die Berge geritten wärst! Ich kann es mir vorstellen! Wenn Du die dortigen Verhältnisse nicht kennst und das nicht begreifst, so schweig lieber. Sei still und schweig! Ohne Führer kann man dort nicht einen Schritt machen.«
»Natürlich!«
»Bitte dieses dumme Lächeln zu unterlassen. Ich bin nicht etwa irgend eine Julija . . . Ich verteidige sie auch nicht, aber ich . . . hm! Wenn ich mich auch nicht als Heilige aufspiele, so habe ich mich doch noch nicht so weit vergessen. Mein Sulejman durfte die Grenze nicht überschreiten . . . Ne–ein! Julijas Mametkul pflegte bei ihr die ganze Zeit zu sitzen, bei mir aber hieß es, wenn des Abends die Uhr elf schlug, sofort: ›Sulejman, marsch! Gehen Sie!‹ Und mein dummes Tatarchen geht auch. Ich hielt ihn streng, Papachen . . . Sobald er 'mal wegen des Geldes oder wegen sonst irgend was zu knurren begann, kam ich ihm gleich: ›Wie? Wa–as? Wa–a–as?‹ Gleich fiel ihm das Herz in die Hosen . . . Ha–ha–ha . . . Augen hatte er, schwarz, pechschwarz, wie eine Kohle, verstehst Du, Wassitschka, ein tatarisches Fratzchen, so dumm und komisch . . . Ich hielt ihn stramm! So!«
»Ich kann es mir vorstellen . . .« brummte der Gatte, während er Brodkügelchen rollte.
»Dumm, Wassitschka! Ich weiß ja, was Du für Gedanken hast! Ich weiß, was Du denkst . . . Aber ich versichere Dich, daß er bei mir sogar während der Ausflüge die Grenzen nicht überschreiten durfte. Wir reiten zum Beispiel in die Berge oder zum Wasserfall U-tschau-Su, und ich sage ihm stets: ›Sulejman, hinten reiten! Na!‹ Und immer ritt er hinten nach, der Ärmste . . . Sogar während . . . sogar an den allerpathetischsten Stellen pflegte ich ihm zu sagen: ›Und trotzdem darfst Du nicht vergessen, daß Du nur ein Tatar bist, während ich die Frau eines Staatsrats bin!‹ Ha–ha . . .«
Die junge Frau begann zu lachen, sah sich dann schnell um, machte ein erschrockenes Gesicht und fuhr fort zu flüstern:
»Aber Julija! Ach diese Julija! Ich verstehe, Wassitschka, warum soll man nicht etwas Spaß machen, warum soll man sich nicht eine Erholung nach der Leere des gesellschaftlichen Lebens gönnen? Das geht ja alles . . . spaße und erhole Dich, soviel Du willst, niemand wird es verurteilen. Aber so etwas ernst zu nehmen, Scenen zu machen . . . nein, sag' was Du willst, das verstehe ich nicht! Stell Dir vor, sie war eifersüchtig! Na, ist so etwas nicht dumm? Einmal kommt zu ihr der Mametkul, ihre Passion . . . Sie war nicht zu Hause . . . Nun, ich rief ihn zu mir herein . . . wir kamen ins Gespräch, dies und jenes . . . sie sind ja, weißt Du, zu komisch! So verging ganz unvermerkt der Abend . . . Plötzlich stürzt Julija herein . . . überfällt mich und Mametkul . . . macht uns eine Scene . . . Pfui! So etwas verstehe ich nicht, Wassitschka!«
Wassitschka räusperte sich, runzelte die Stirn und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Ein lustiges Leben führtet Ihr dort, das muß man sagen!« brummte er mit einem verächtlichen Lächeln.
»Na, wie das du–umm ist!« sagte Natalja Michajlowna gekränkt. »Ich weiß, woran Du denkst! Du hast immer solche schmutzige Gedanken! Nun, dann werde ich Dir eben nichts erzählen. Nein!«
Die junge Frau warf schmollend die Lippen auf und verstummte.
Inhaltsverzeichnis
Nach einer Sitzung des N–schen Friedensrichterplenums hatten sich die Richter in dem Beratungszimmer versammelt, um ihre Uniformröcke abzulegen, einen Augenblick auszuruhen und dann nach Hause zum Mittag zu fahren.
Der Präsident des Plenums, ein stattlicher Herr mit pompösem Backenbart, der bei einem der soeben verhandelten Prozesse ›bei besonderer Meinung‹ geblieben war, saß jetzt am Tisch und beeilte sich, diese seine Meinung schriftlich niederzulegen.
Der Bezirksfriedensrichter Milkin, ein junger Mann mit einem melancholischen, sehnsuchtskranken Gesicht, der für einen mit dem Milieu unzufriedenen und nach einem Lebenszweck suchenden Philosophen galt, stand am Fenster und blickte trübselig auf den Hof hinaus. Der andere Bezirksfriedensrichter und einer der beiden Ehrenfriedensrichter waren schon gegangen.
Der andere Ehrenfriedensrichter, ein schwammiger, schwer atmender dicker Herr, und der Prokureursadjunkt, ein junger Deutscher mit einem katarrhalen Gesicht, saßen auf dem kleinen Divan und warteten, bis der Präsident mit dem Schreiben fertig würde, um dann zusammen zum Essen zu fahren.
Vor ihnen stand der Sekretär des Plenums, Shilin, ein kleines Männchen mit Bartansätzen bei den Ohren und süßem Gesichtsausdruck. Mit halber Stimme und einem honigsüßen Lächeln sprach er, zum Dicken gewandt:
»Wir möchten jetzt freilich alle essen, denn wir sind müde und die Uhr geht schon auf vier, aber das, mein Herzchen, Grigori Ssawwitsch, ist doch nicht der richtige Appetit. Den richtigen Appetit, wahren Wolfshunger, wo man, glaube ich, seinen eigenen Vater auffressen könnte, hat man nur nach physischer Bewegung, zum Beispiel nach einer Parforcejagd, oder wenn man so hundert Werst ohne Unterbrechung mit Postpferden gefahren ist. Auch die Einbildungskraft macht viel aus. Wenn Sie zum Beispiel von der Jagd nach Hause fahren, so dürfen Sie niemals an etwas Kluges denken; das Kluge und Gelehrte verdirbt einem immer den Appetit. Sie wissen ja selbst: die Philosophen und Gelehrten sind, was das Essen anlangt, die allerletzten Leute und schlechter als sie essen – Sie verzeihen – fressen nicht mal die Schweine . . . Wenn man nach Hause fährt, muß man nur an die Karaffe und an die Sakuska denken. Einmal schloß ich unterwegs die Augen und stellte mir in der Phantasie ein Spanferkel mit Meerrettig vor – ich bekam vor lauter Appetit beinahe einen hysterischen Anfall. Ja, und wenn Sie zu sich in den Hof einfahren, muß es gerade nach etwas . . . nach etwas . . . so etwas riechen, wissen Sie . . .«
»Gebratene Gänse haben das Duften los«, sagte der Landfriedensrichter schwer atmend.
»Ach nein, mein verehrtester Grigori Ssawwitsch, eine Ente oder eine Bekassine ist der Gans darin bei weitem voraus. Dem Bouquet der Gans fehlt es an Zartheit und Delikatesse. Am kräftigsten riechen junge Zwiebeln, wenn sie, wissen Sie, etwas anbrennen und durch das ganze Haus zischen, die Kanaillen . . . Nun also, wenn Sie eintreten, muß der Tisch schon gedeckt sein. Sie setzen sich, stecken gleich die Serviette hinter die Binde und langen ohne Eile nach der Schnapskaraffe. Und das Schnäpschen gießen Sie sich nicht in ein Spitzglas ein, sondern in irgend so einen vorsintflutlichen silbernen Familienbecher, oder in so ein dickwanstiges Gläschen mit der Aufschrift: ›Auch ein Mönch, ein krasser, trinkt nicht immer Wasser!‹ Und Sie trinken nicht gleich, sondern seufzen zuerst aus, reiben sich die Hände, werfen einen gleichgiltigen Blick an die Decke, führen dann das Schnäpschen ohne Eile an die Lippen – und sofort fühlen Sie, wie Ihren ganzen Körper vom Magen aus belebende Funken durchzucken . . .«
Der Sekretär verlieh seinem süßen Gesicht den Ausdruck von Glückseligkeit.
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