»Die Grenzen Persiens«, fuhr Kuzin in seiner vorher einstudierten Begrüßungsrede fort, »befinden sich in enger Berührung mit denjenigen unseres weiten Vaterlandes, und daher veranlassen mich die gemeinsamen Sympathien, Ihnen sozusagen unsere Solidarität auszudrücken.«
Der persische Würdenträger erhob sich und stammelte wieder etwas in seiner hölzernen Sprache.
Kuzin, der überhaupt keine fremden Sprachen kannte, schüttelte den Kopf zum Zeichen, daß er nicht verstehe.
»Wie soll ich nur mit ihm sprechen?« dachte er. »Man müßte eigentlich gleich nach einem Dolmetsch schicken, aber die Sache ist etwas peinlich und läßt sich in Zeugengegenwart nicht gut abmachen. Der Dolmetsch würde es dann in der ganzen Stadt herumtragen.«
Und Kuzin suchte sich einige Fremdwörter ins Gedächtnis zu rufen, die er aus den Zeitungen kannte.
»Ich bin das Stadthaupt . . .« stammelte er, »das heißt Lord-Mayor . . . Municipale . . . Oui? Comprenez?
«
Er wollte durch Worte oder mimisch seine soziale Stellung bezeichnen, wußte aber nicht, wie er es machen sollte. Ein an der Wand hängender Stich mit der deutlichen Unterschrift »Die Stadt Venedig« half ihm aus seiner Verlegenheit. Er wies mit dem Finger auf die Stadt und dann auf seinen Kopf, woraus sich seiner Meinung nach die Phrase, ergab: »Ich bin das Stadthaupt.«
Der Perser begriff nichts, lächelte aber und sagte: »Gutt, musje . . . Gutt . . .«
Eine halbe Stunde später klopfte das Stadthaupt den Perser bald auf das Knie, bald auf die Schulter und sprach:
» Comprenez? Oui . . .?
Als Lord-mayor
und Municipale
. . . biete ich Ihnen eine kleine Promenade an . . . Comprenez? Promenade
. . .«
Kuzin wies mit einem Finger auf Venedig und stellte mit zwei Fingern einherschreitende Beine dar.
Rachat-Chelam, der von den Medaillen des Stadthaupts nicht die Augen wandte und offenbar bereits vermutete, daß er die wichtigste Person der Stadt vor sich hatte, verstand das Wort » Promenade
« und entblößte liebenswürdig seine Zähne.
Darauf zogen beide ihre Paletots an und verließen das Zimmer. Unten an der Thür, die zu dem Restaurant »Japan« führte, fiel es Kuzin ein, daß es nicht übel wäre, dem Perser etwas vorzusetzen. Er blieb stehen und sagte, auf die Tische weisend:
»Nach russischer Sitte könnte man jetzt mal . . . Purée . . . Entrecôte . . . Champagne
und so weiter . . . Comprenez
?«
Der Würdenträger begriff, und nach einer Weile saßen beide in einem der vornehmsten Chambre separées des Restaurants, tranken Champagner und aßen.
»Trinken wir auf das Wohl Persiens!« sprach Kuzin. »Wir Russen lieben die Perser. Wenn wir auch einen verschiedenen Glauben haben, aber die gemeinsamen Interessen, die gegenseitigen Sympathien . . . der Fortschritt . . . die Asiatischen Märkte . . . die friedliche Eroberung, sozusagen . . .
Der persische Würdenträger aß und trank mit großem Appetit. Er stach mit der Gabel nach dem geräucherten Stör und sagte, den Kopf schüttelnd, mit Begeisterung:
»Gutt! Bien
!«
»Schmeckt's Ihnen?« fragte erfreut das Stadthaupt. » Bien
? Na, das ist schon.« Und an den Kellner gewandt, sagte er: »Luka, sorge mal, mein Bester, dafür, daß zu Seiner Excellenz zwei Störe aufs Zimmer gebracht werden, aber von den besseren!«
Darauf fuhren das Stadthaupt und der Perser in eine Menagerie.
Die Einwohner sahen, wie ihr Stepan Iwanowitsch, vom Champagner gerötet, heiter und sehr zufrieden, den Perser in den Hauptstraßen und auf dem Marktplatz herumführte und ihm die Sehenswürdigkeiten der Stadt zeigte. Auch auf den Turm des Feuerwehrhauses führte er ihn hinauf.
Unter anderem sahen die Einwohner auch, wie das Stadthaupt vor dem steinernen Thor mit den Löwen stehen blieb und zuerst auf einen der Löwen, dann nach oben auf die Sonne und dann auf seine eigene Brust wies, dann nochmals auf die Sonne und den Löwen, während der Perser wie zum Zeichen des Einverständnisses mit dem Kopfe nickte und lächelnd seine weißen Zähne zeigte.
Am Abend saßen sie im »Hôtel London« und lauschten den Harfenistinnen; wo sie aber in der Nacht waren, blieb unbekannt.
Des morgens am andern Tage war das Stadthaupt im Stadtamt. Die Beamten hatten offenbar schon einiges erfahren und Verdacht geschöpft. Wenigstens trat der Syndikus an ihn heran und sagte mit einem spöttischen Lächeln:
»Bei den Persern giebt es so eine Sitte, wenn zu ihnen ein vornehmer Gast kommt, so müssen sie für ihn eigenhändig einen Hammel schlachten . . . hm, hm!«
Etwas später wurde dem Stadthaupt ein mit der Post gekommenes Paket überreicht. Er öffnete dasselbe und fand eine Karikatur darin. Vor Rachat-Chelam kniete das Stadthaupt in eigener Person und sprach mit erhobenen Händen folgende Worte zu dem Perser:
Um Rußlands Freundschaft mit dem Schach
Zu ehren und zu achten,
Würd' ich am liebsten selbst mich schlachten
Als Hammel . . . Aber ach:
Ich bin ja nur ein Eseltier,
Was kann ich armer Mann dafür!
Das Stadthaupt empfand ein unangenehmes Gefühl, als saugte ihm etwas unter der Herzgrube, aber das dauerte nicht lange. Um Mittag war er schon wieder bei dem persischen Würdenträger und traktierte ihn. Dann zeigte er ihm wieder die Sehenswürdigkeiten der Stadt und führte ihn abermals vor das steinerne Thor, wo er wieder, bald auf den Löwen, bald auf die Sonne, bald auf seine Brust wies. Zu Mittag speisten sie in »Japan«, nach dem Essen bestiegen sie wieder, beide rot und glücklich, mit Zigarren im Munde, den Feuerwehrturm. Hier wollte offenbar das Stadthaupt dem Gast ein seltenes Schauspiel darbieten und schrie von oben hinab zu dem Posten, der unten auf und ab ging:
»Läute Alarm!«
Aber aus dem Alarm wurde nichts, da die Feuerwehrleute gerade im Bade waren.
Zu Abend speisten sie in »London«, nach dem Abendessen aber reiste der Perser ab.
Stepan Iwanowitsch küßte ihn, als er ihm das Geleit gab, nach russischer Sitte drei Mal und war sogar bis zu Thränen gerührt. Als der Zug sich in Bewegung setzte, rief er:
»Grüßen Sie Persien von uns. Sagen Sie Ihrem Vaterland, daß wir es lieben!«
*
Ein Jahr und vier Monate waren vergangen. Draußen war es bitterkalt, gegen 35° und dabei ein durchdringender Wind.
Stepan Iwanowitsch ging auf den Straßen umher in einem auf der Brust zurückgeschlagenen Pelz und ärgerte sich, daß niemand ihm begegnete und den Löwen- und Sonnenorden auf seiner Brust blitzen sah. So ging er bis zum Abend im offenen Pelz umher und fror fürchterlich.
In der Nacht aber warf er sich von der einen Seite auf die andere und konnte nicht einschlafen. Sein Herz war schwer und pochte unruhig, während ihn ein inneres Feuer verzehrte: er wollte jetzt den serbischen Takowa-Orden haben. Sein Wunsch war brennend und unbezwingbar . . .
Inhaltsverzeichnis
Grischa, ein kleiner dicker, zwei Jahre und acht Monate alter Junge, spaziert mit seiner Wärterin auf der Promenade. Er hat einen langen wattierten Mantel und warme Galoschen an, um seinen Hals ist ein großes Cachenez gebunden und auf dem Kopf sitzt eine große Mütze mit einer zottigen Troddel. Ihm ist so wie so schon heiß, und nun scheint ihm noch die freundliche Aprilsonne gerade in die Augen und kitzelt ihm die Lider.
Seine ganze, unsicher und schüchtern einherschreitende, plumpe Figur drückt äußerste Ratlosigkeit aus.
Bis jetzt hat Grischa nur eine einzige, viereckige Welt gekannt, in deren einer Ecke sein Bett, in der anderen die Lade der Wärterin, in der dritten ein Stuhl steht und in der vierten das Lämpchen vor dem Heiligenbilde glüht. Wirft man einen Blick unter das Bett, so findet man dort eine Puppe mit abgebrochenem Arm und eine Trommel, während hinter der Lade der Wärterin eine ganze Menge verschiedenartiger Dinge liegen: Zwirnrollen. Papierschnitzel, eine Schachtel ohne Deckel und ein invalider Hampelmann. In dieser Welt kann man, außer der Wärterin und Grischa, auch sehr häufig Mama und die Katze sehen. Mama sieht wie eine Puppe aus, und die Katze wie Papas Pelz, nur daß der Pelz keine Augen und keinen Schwanz hat. Aus der Welt, die die Kinderstube genannt wird, führt eine Thür in einen Raum, wo zu Mittag gegessen und Thee getrunken wird. Dort steht der hochbeinige Stuhl Grischas und hängt eine Uhr, die nur dazu da ist, um mit dem Pendel zu schlenkern und zu klingeln. Aus dem Speisezimmer kann man in ein anderes Zimmer treten, in welchem rote Sessel stehen. Dort auf dem Teppich sieht man einen dunklen Fleck, der noch immer die Veranlassung dazu giebt, daß man Grischa mit dem Finger droht. Hinter diesem Zimmer liegt noch ein anderes, in welches Grischa nicht hineingelassen wird und wo ab und zu Papa sich zu schaffen macht. Dieser Papa ist eine außerordentlich rätselhafte Persönlichkeit! Die Wärterin und Mama sind verständlich: sie kleiden Grischa an, füttern ihn und legen ihn zu Bett, aber wozu Papa existiert – das ist unklar. Es giebt noch eine andere rätselhafte Persönlichkeit – die Tante, die Grischa die Trommel geschenkt hat. Bald taucht sie auf, bald verschwindet sie wieder. Wohin verschwindet sie? Grischa hat mehr als einmal unter sein Bett geguckt, hinter die Lade und unter den Diwan, aber dort war sie nicht . . .
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