Und wie schön waren alle diese Gegenstände! Auf einer sizilianischen Küstenstudie war vorn zwischen goldenen Felsen eine Stelle im Meere, welche in der allerfabelhaftesten purpurnen Bläue funkelte, wie sie der ausschweifendste Märchendichter nicht auffallender hätte ersinnen können. Aber sie war hier an ihrem rechten und gesetzmäßigen Platze und machte daher eine zehnmal poetischere Wirkung, als wenn sie in einer erfundenen Landschaft unter anderen Umständen angebracht worden wäre.
Einen besondern Reiz gewährten mir die Trümmer griechischer Baukunst, welche sich da und dort fanden. Ich empfand wieder Poesie, wenn ich das weiße, sonnige Marmorgebälke eines dorischen Tempels vom blauen Himmel abheben mußte. Die horizontalen Linien an Architrav, Fries und Kranz sowie die Kannelierungen der Säulen mußten mit der zartesten Genauigkeit, mit wahrer Andacht, leis und doch sicher und elegant hingezogen werden; die Schlagschatten auf diesem weißgoldenen edlen Gestein waren rein blau, und wenn ich den Blick fortwährend auf dies Blau gerichtet hatte, so glaubte ich zuletzt wirklich einen leibhaften Tempel zu sehen. Jede Lücke im Gebälke, durch welche der Himmel schaute, jede Scharte an den Kannelierungen war mir heilig, und ich hielt genau ihre kleinsten Eigentümlichkeiten fest.
Im Nachlasse meines Vaters fand sich ein Werk über Architektur, in welchem die Geschichte und Erklärung der alten Baustile nebst guten Abbildungen mit allem Detail enthalten waren. Dies zog ich nun hervor und studierte es begierig, um die Trümmer besser zu verstellen und ihren Wert ganz zu kennen. Auch erinnerte ich mich der Italienischen Reise von Goethe, welche ich kürzlich gelesen, Römer erzählte mir viel von den Menschen und Sitten und der Vergangenheit Italiens. Er las fast keine Bücher als die deutsche Übersetzung von Homer und einen italienischen Ariost. Den Homer forderte er mich auf zu lesen, und ich ließ mir dies nicht zweimal sagen. Im Anfange wollte es nicht recht gehen, ich fand wohl alles schön, aber das Einfache und Kolossale war mir noch zu ungewohnt, und ich vermochte nicht lange nacheinander auszuhalten. Am meisten fesselten mich nur die bewegtesten Vorgänge, besonders in der Odyssee, während die Ilias mir lange nicht nahetreten wollte. Aber Römer machte mich aufmerksam, wie Homer in jeder Bewegung und Stellung das einzig Nötige und Angemessene anwende, wie jedes Gefäß und jede Kleidung, die er beschreibe, zugleich das Geschmackvollste sei, was man sich denken könne, und wie endlich jede Situation und jeder moralische Konflikt bei ihm bei aller fast kindlichen Einfachheit von der gewähltesten Poesie getränkt sei. »Da verlangt man heutzutage immer nach dem Ausgesuchten, Interessanten und Pikanten und weiß in seiner Stumpfheit gar nicht, daß es gar nichts Ausgesuchteres, Pikanteres und ewig Neues geben kann als so einen homerischen Einfall in seiner einfachen Klassizität! Ich wünsche Ihnen nicht, lieber Lee, daß Sie jemals die ausgesuchte pikante Wahrheit in der Lage des Odysseus, wo er nackt und mit Schlamm bedeckt vor Nausikaa und ihren Gespielen erscheint, so recht aus Erfahrung empfinden lernen! Wollen Sie wissen, wie dies zugeht? Halten wir das Beispiel einmal fest! Wenn Sie einst getrennt von Ihrer Heimat und von Ihrer Mutter und allem, was Ihnen lieb ist, in der Fremde umherschweifen, und Sie haben viel gesehen und viel erfahren, haben Kummer und Sorge, sind wohl gar elend und verlassen so wird es Ihnen des Nachts unfehlbar träumen, daß Sie sich Ihrer Heimat nähern; Sie sehen sie glänzen und leuchten in den schönsten Farben; holde, feine und liebe Gestalten treten Ihnen entgegen; da entdecken Sie plötzlich, daß Sie zerfetzt, nackt und kotbedeckt einhergehen; eine namenlose Scham und Angst faßt Sie, Sie suchen sich zu bedecken, zu verbergen und erwachen in Schweiß gebadet. Dies ist, solange es Menschen gibt, der Traum des kummervollen umhergeworfenen Mannes, und so hat Homer jene Lage aus dem tiefsten und ewigen Wesen der Menschheit herausgenommen!«
Da es mir einmal bestimmt scheint, immer ruckweise und durch kurze Blitze und Schlagwörter auf eine neue Spur zu kommen, so bewirkten diese Andeutungen Römers, besonders diejenigen über das Pikante, mehr, als wenn ich den Homer jahrelang so für mich gelesen hätte. Ich war begierig, selbst dergleichen aufzufinden, und lernte dadurch mit mehr Bewußtsein und Absicht lesen.
Inzwischen war es gut, daß das Interesse Römers, hinsichtlich des Kopierens seiner Sammlungen, sich mit dem meinigen vereinigte; denn als ich nun, gemäß seiner Aufforderung, mich wieder vor die Natur hinsetzte, erwies es sich, daß ich Gefahr lief, meine ganze Kopierfertigkeit und mein italienisches Wissen zu einer wunderlichen Fiktion werden zu sehen. Es kostete mich die größte Beharrlichkeit und Mühe, ein nur zum zehnten Teile so anständiges Blatt zuwege zu bringen, als meine Kopien waren; die ersten Versuche mißlangen fast gänzlich, und Römer sagte schadenfroh »Ja, mein Lieber, das geht nicht so rasch! Ich habe es wohl gedacht, daß es so kommen würde; nun heißt es auf eigenen Füßen stehen oder vielmehr mit eigenen Augen sehen! Eine gute Studie leidlich kopieren, will nicht soviel heißen! Glauben Sie denn, man läßt sich ohne weiteres für andere die Sonne auf den Buckel zünden?« usf. Nun begann der ganze Krieg des Tadels gegen das Bemühen, demselben zuvorzukommen und ihm boshafte Streiche zu spielen, von neuem; Römer ging mit hinaus und malte selbst, so daß er mich immer unter seinen Augen hatte. Es war hier nicht geraten, die Torheiten und Flausen zu wiederholen, die ich unter Herrn Habersaat gespielt hatte, da Römer durch Steine und Bäume zu sehen schien und jedem Striche anmerkte, ob derselbe gewissenhaft sei oder nicht. Er sah es jedem Aste an, ob derselbe zu dick oder zu dünn sei, und wenn ich meinte, derselbe könnte ja am Ende so gewachsen sein, so sagte er »Lassen Sie das gut sein! Die Natur ist vernünftig und zuverlässig; übrigens kennen wir solche Finessen wohl! Sie sind nicht der erste Hexenmeister, welcher der Natur und seinem Lehrer ein X für ein U machen will!«
Doch rückte ich allmählich vorwärts; aber leider muß ich gestehen, daß mehr ein äußerer Ehrgeiz mich dazu antrieb als eine innere Treue. Denn es war mir hauptsächlich darum zu tun, daß die Arbeiten, welche ich selbst nach der Natur machte, nicht zu sehr zurückstehen möchten gegen meine kopierte Sammlung, und recht bald ein geistiges Eigentum von einigem Wert zu haben. Ich gelangte auch im Laufe des Sommers in Besitz von einem Dutzend starker und solider Papierbogen, auf welchen sich ansehnliche Baumgruppen, Steingerölle und Buschwerke ziemlich keck und sachgemäß darstellten, die einen Vorrat von guten Motiven enthielten, die Spuren der Natur und einer künstlerischen Leitung zeigten und des nahen, wenn sie auch weit entfernt waren, etwas Meisterhaftes zu verraten, doch als eine erste ordentliche Grundlage zu der Mappe eines Künstlers betrachtet werden konnten, welche man nicht nur der Erinnerung, sondern auch der fortdauernden Nutzbarkeit wegen aufbewahren mag. In diesen Blättern war dann noch diese oder jene Lieblingsstelle, wo ich einen glücklichen Ton getroffen und der Natur einen guten Blick abgelauscht, ohne es zu wissen, irgendein gutes Grünlich-Grau oder ein deutliches Sonnenlicht auf einem schwärzlichen Steine, womit Römer so zufrieden war, daß er es der Brauchbarkeit halber für sich kopierte. Er konnte dies unbeschadet seiner Strenge tun; denn ich durfte nur einen Blick auf seine eigenen Studien werfen, welche er in diesem Sommer machte, so verging mir alle Überhebung, und wenn ich noch so viel Freude an meinen Schülerwerken empfand, so war diese Freude noch viel größer und schöner, wenn ich Römers glänzende und meisterhafte Arbeiten sah. Aber düster und einsilbig legte er sie zu seinen übrigen Sachen, als ob er sagen wollte was hilft das Zeug! während ich die meinigen mit stolzer Hoffnung aufbewahrte und die Zeit nahe sah, wo ich ebensolche Meisterwerke mein nennen würde.
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