Die beste Gelegenheit, ihren Unmut und Groll zu vergessen und sich wenigstens an dem heraufbeschworenen Glanze frühe rer deutscher Herrlichkeit zu erheitern, fanden sie, als die ganze reichgeartete Künstlerschaft sich zusammentat, um in einem großen Schau-und Festzuge für die kommende Faschingszeit ein Bild untergegangener Reichsherrlichkeit zu schaffen; denn es war ein wirkliches Schaffen, nicht mittelst Leinwand, Pinsel, Stein und Hammer, sondern wo man die eigene Person als Stoff ein setzte und in vielhundertfältigem Zusammentun jeder ein lebendiger Teil des Ganzen war und das Leben des Ganzen in jedem einzelnen pulsierte, von Auge zu Auge strahlte und eine kurze Nacht sich selber zur Wirklichkeit träumte.
Es sollte das alte Nürnberg wiederauferweckt werden, wie es wenigstens in beweglichen Menschengestalten sich darstellen konnte und wie es zu der Zeit war, als der letzte Ritter, Kaiser Maximilian I., in ihm Festtage feierte und seinen besten Sohn, Albrecht Dürer, mit Ehren und Wappen bekleidete. In einem einzelnen Kopfe entstanden, wurde die Idee sogleich von achthundert Männern und Jünglingen, Kunstbeflissenen aller Grade, aufgenommen und als tüchtiger Handwerksstoff ausgearbeitet, geschmiedet und ausgefeilt, als ob es gälte, ein Werk für die Nachwelt zu schaffen. Das Vollkommene hat in dem Augenblicke seinen ganzen Wert, wo es geworden ist, und in diesem Augenblicke liegt eine Ewigkeit, welche durch eine Dauer von Jahren nur weggespottet wird; die Künstler empfanden daher in der sachgerechten und allseitigen Vorbereitung eine anhaltend wachsende Lust und Geselligkeit, welche wohl von der Freude der eigentlichen Feststunden überboten wurde, aber in der Erinnerung endlich der hellere und deutlichere Teil vom Ganzen blieb.
Der große Festzug zerfiel in drei einzelne Hauptzüge, von denen der erste die nürnbergische Bürger-, Kunst- und Gewerbswelt, der zweite den Kaiser mit Reichsrittern und Helden und der dritte einen mittelalterlichen Mummenschanz umfaßte, wie von der reichen Stadt dem gekrönten Gast etwa gegeben wurde. In diesem letzten Teile, welcher recht eigentlich ein Traum im Traume genannt werden konnte, in welchem die in historische Vergangenheit sich Zurückträumenden mit den Sinnen dieser Vergangenheit das Märchen und die Sage schauten, hatten die drei Freunde ihren Raum gewählt, um als verdoppelte Phantasiegebilde dem Phantasiebilde der gestorbenen Reichsherrlichkeit vorzutanzen.
Die Töchter, Schwestern und Bräute vieler Künstler hatten sich artig und froh ergeben, dem lebendigen Kunstwerke zum höchsten Schmucke zu gereichen, in manchem Hause waren die Hände geschäftig, schöne Frauenkörper in die weiblichen Prachtgewänder der alten Reichsstadt zu kleiden, und es war nicht das geringste Vergnügen der Künstler, auch hier die Hand anzulegen und, die alten Trachtenbücher und den Weißkunig vor sich, in Stoff, Schnitt und Schmuck die eigensinnigen Neigungen, den unkundigen Modegeschmack der Frauensleute im Zaum zu halten. Wo Liebe mithalf, da spielte der anmutigste Roman in den Sammet- und Goldstoffen und um die Perlenschnüre, und manche zur Probe Vollgeschmückte entzog sich den verlangenden Armen ihres augenseligen Geliebten mit einem Lächeln, welches den weisen Sinn der Schönen verriet, daß sie auf einen bessern Augenblick zu hoffen wisse, wann Pauken und Trompeten ertönten und die glänzenden Paarreihen sich schwängen.
Heinrich sah solchem Glücke halb gleichgültig, halb sehnsüchtig zu und war, als frei und ledig und mit seinen eigenen Sachen handlich und ohne Geräusch bald fertig, anderen dienstbar in ihren vermehrten Geschäften. Es war sein mütterliches Erbteil, daß er still und rasch seine eigene Person zu versehen und zugleich alle Aufmerksamkeit anderen zu schenken wußte. Solche Züge verkünden ein tüchtiges Geblüt und weit mehr ein wahrhaft gutes Herkommen als alle angelernten Höflichkeiten und Anstandsformen. Wo sie sich, wie hier, in unwichtigen Dingen, sogar nur in Sachen des Vergnügens äußern, während ihre Ausbildung und Betätigung in den großen Lebenslagen stockt, da muß ein ernstes Schicksal, eine tiefe Verirrung im Anzuge sein, welche sich nur dem unkundigen Beobachter verbergen.
Beide Freunde Heinrichs waren zwei reizenden Wesen für das kommende Fest verpflichtet. In einer vergessenen altertümlichen Gegend der Stadt lag ein ganz kleiner, gevierter sonniger Platz, wo zwischen anderen ein schmales Häuschen im Renaissancestil zierlichst sich auszeichnete, in der Breite ein einziges Fenster von den schönsten Verhältnissen zeigend. Beide Stockwerke bildeten zusammen einen kleinen Turm oder eher ein Monument und waren durch den Gedanken der Gliederung ein Ganzes; die wohlgefügten, von der Zeit geschwärzten Backsteine zeigten eine scharfe und gediegene Arbeit, und selbst der Türklopfer von Erz, welcher ein schlankes, den schmalen Leib kühn hinausbiegendes Meerweibchen vorstellte, verriet die Spuren vortrefflicher Künstlerarbeit. Über der reichverzierten Tür ragte ein morgenländisches Marienbild von schwarzem Marmor, das auf einem stark im Feuer vergoldeten metallenen Halbmonde stand. So erinnerte das Ganze an jene kleinen zierlichen Baudenkmäler, welche einst große Herren für irgendeine Geliebte, oder berühmte Künstler zu ihrem eigenen Wohnsitze bauten. Hierher hatte Ferdinand seine Schritte zu lenken; denn in dem reichgesimsten Fenster sah man ein dunkles Mädchenhaupt auf schmalem Körper schwanken, wie eine Mohnblume auf ihrem Stengel. Die Witwe eines Malers aus der vorhergegangenen Periode wohnte in dem Häuschen, eines Malers, der zu seiner Zeit oft genannt wurde, von welchem aber nirgends mehr die Werke zu finden waren; sogar seine seltsame Witwe, die einst nur außerordentlich schön gewesen, hatte das letzte Fetzchen gefärbter Leinwand weggeräumt und dafür das alte Haus inwendig bekleidet mit allen Erzeugnissen der Modenindustrie und den Spielereien der Bequemlichkeit. Nur ihr pomphaftes Bildnis, wie der Verstorbene sie einst als geschmückte Braut gemalt in aller ihrer Schönheit, bewahrte sie an einem altarähnlichen Platze und betete das Bild unverdrossen an. Sonst war die achtzehnjährige Tochter Agnes der einzige ästhetische Nachlaß des Mannes, und man bedauerte bei ihrem Anblick den Ärmsten, daß er dieses sein bestes Kunstwerk nicht selber mehr sehen konnte, und man bedauerte um so tiefer, als die Witwe gar kein Auge für das liebliche Wunder zu haben schien, sondern, in die Betrachtung ihrer eigenen früheren Schönheit versunken, die zarte Blume des Kindes schwanken und blühen ließ, wie sie eben wollte.
Von einer Schulter zur andern, mit Inbegriff beider, war Agnes kaum eine Spanne breit, aber Hals und Schultern waren bei aller Feinheit wie aus Elfenbein gedrechselt und rund wie die zwei kleinen vollkommenen Brüstchen und wie die schlanken Arme, deren Ellbogen bei aller Schlänke ein anmutiges Grübchen zeigten. Bis zu den Hüften wurde der Leib immer schlangenartiger, und selbst die Hüften verursachten eine fast unmerkliche Wölbung; aber diese war so schön, daß sie beinahe mehr Kraft und Leben verriet als die breitesten Lenden. Das Gewand saß ihr schön und sicher auf dem Leibe; sie liebte es ganz knapp zu tragen, so daß ihre ganze Schmalheit erst recht zutage trat, und doch berauschten sich die Augen dessen, der sie sah, mehr in dieser Erscheinung als in den reichen Formen eines üppigen Weibes, und wer einer vollen Schönheit kalt vorüberging, glaubte dies schmale Wesen augenblicklich in die Arme schließen zu müssen. Auf solchem schwanken Stengel aber wiegte sich die wunderbarste Blume des Hauptes. In dem marmorweißen Gesicht glänzten zwei große dunkelblaue Augen und ein kirschroter Mund, und das Rund des Gesichtes spitzte sich stark in dem kleinen reizenden Kinne zu, und doch war dies Kinn nicht so klein, daß es nicht noch die reizendste Andeutung einer Verdoppelung geziert hätte. Aber der breiteste Teil der ganzen Gestalt im wörtlichen Sinne schien das große volle Haar zu sein, welches sie krönte; die gewaltige, tiefschwarze Last, vielfach geflochten und gewunden und immer mit grünem Seidenbande durchzogen, wuchtete rund um den kleinen Kopf, und da, wenn die schlanke Geschmeidige sich anmutig und leicht bewegte und das schöne Haupt senkte, dies unwillkürlich die Vorstellung erregte, das Gewicht des dunklen Haarbundes verursache das liebliche Schwanken und Beugen, so rief sie von selbst das Bild einer Blume hervor; aber noch froher überraschte es, wenn sie sich unversehens frei aufrichtete und die schwere Krone so leicht und unbewußt trug wie ein schlanker Hirsch sein Geweih.
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