Bald stand er auf dem Vorsaale des stattlichen Witwensitzes, dessen Pracht das Gerücht von dem unmäßigen hinterlassenen Vermögen des verstorbenen Bierbrauers zu bestätigen schien. Eine alte Aufwärterin, welcher er sein Anliegen mitteilen mußte, brachte ihm indessen gleich den Bericht, daß die Herrin das Bild mit Vergnügen wieder abtrete, daß er aber ein andermal vorsprechen möge. Weit entfernt, über diese Willfährigkeit und Geringschätzung empfindlich zu sein, ging Erikson ein zweites und drittes Mal hin, und erst das dritte Mal wurde er etwas betroffen und erbost, als dieselbe Aufwärterin endlich kundtat, daß die bequeme Dame das Bild um ein Viertel des angegebenen Wertes wieder verkaufe und die Summe für die Armen bestimme, daß der Herr Maler, um ihm nicht fernere Mühe zu machen, es am andern Tage bestimmt abholen und das Geld mitbringen möchte. Er tröstete sich indessen mit der Aussicht, nunmehr sicher ein Vierteljahr nicht malen zu müssen, und das Wetter betrachtend, ob es gute Jagdtage verspräche, machte er sich zum vierten Male auf den Weg.
Die unvermeidliche Alte führte ihn in ihr kleines Wärtergemach und ließ ihn da stehen, um das Kunstwerkchen herbeizuholen. Dieses war aber nirgends zu finden; immer mehr Bedienstete, Köchin, Kammermädchen und Hausknecht rannten umher und suchten in Küche, Keller und Kammern. Endlich rief das Geräusch die schöne Witwe selbst herbei, und als sie, die, nach dem kleinen wunderlichen Bildchen urteilend, gewähnt hatte, einen ebenso kleinen und dürftigen Urheber zu finden, als sie nun den gewaltigen Erikson dastehen sah, der mit der Stirn beinahe die Decke des niedern Verschlages berührte, indessen sein nordisches Goldhaar glänzend auf die breiten Schultern fiel, da geriet sie in die größte Verlegenheit, zumal er, aus einem ruhigen Lächeln erwachend, sie jetzt mit festem und wohlgefälligem Blick betrachtete. Sie war aber auch des längsten Anschauens wert kaum sechsundzwanzig Sommer alt, stand Rosalie liebreizend da, von der Rosenfarbe der Gesundheit und Lebensfrische überhaucht, von freundlichen Gesichtszügen, mit braunem Seidenhaar und noch brauneren lachenden Augen. Indessen, um ihre Verlegenheit zu endigen, lud sie den Maler ein, in das Zimmer zu kommen, und wie sie eintraten, sahen sie beide zugleich die kleine Gemäldekiste, welche als Fußschemel unter dem Arbeitstischchen der Witwe stand, dieser selbst unbewußt und vergessen, daß sie schon seit einigen Tagen mit ihren Füßchen mutwillig darauf getrommelt.
Errötend lachte sie und zog das Bild eigenhändig hervor. Zugleich aber sagte sie, indem sie einen flüchtigen Blick auf Erikson warf, sie hätte sich eines anderen besonnen und bedaure, ihm das Bild nicht mehr für ein Viertel, sondern nur für die Hälfte des Wertes lassen zu können. Besorgt, sie möchte noch mehr den Preis steigern, zog er seine Börse und legte die Goldstücke auf den Tisch, indessen sie das Bild anscheinend aufmerksam betrachtete und wieder begann je mehr sie die Arbeit, welche sie bisher nur oberflächlich besehen, ins Auge fasse, desto besser gefiele sie ihr, sie müsse nunmehr wirklich die volle Summe fordern! Seufzend bot er drei Vierteile der Summe. Allein die schöne Witwe war unerbittlich und sagte »Ihr Eifer, mein Herr, durch bares Geld Ihr eigenes Bild wiederzuerwerben, beweist mir den Wert, den ich erst verkannt habe. Ich fordere nun die doppelte Summe, die Freiheit der Frauenlaune benutzend, oder ich will das Werk lieber behalten.«
Als Erikson diese seltsame Steigerung auffiel und er sie zu seinen Gunsten auszulegen und zu wenden beschloß, verbeugte er sich lächelnd, strich sein Geld wieder ein und erwiderte »Da mein kleines Bild eine so gute Stelle gefunden, wäre es lieblos von mir, es derselben zu berauben!« Die Schöne aber fuhr fort »Und damit Sie sehen, daß nicht Habsucht mich zu dieser Steigerung antrieb, bitte ich, mir ein Seitenstück um diesen verdoppelten Preis zu malen, so bald als möglich, und mir jetzt gleich den Platz für beide Bilder aussuchen zu helfen!«
Erikson spazierte wohl eine Stunde mit ihr in den Gemächern herum, bis er den geeigneten Platz gefunden, und als er sich verabschiedete, grüßte sie ihn freundlich, aber kurz, und lud ihn nicht ein, sonst wiederzukommen.
Aber er hatte wohlweislich vergessen, das Maß des Bildchens gleich zu nehmen, und sah sich daher gezwungen, am zweiten Tage sich wieder hinzubegeben, um vieles sorgfältiger gekleidet. Sie erschien sogleich selbst und führte ihn zu dem Bildchen, hielt ihn aber nach getaner Verrichtung durchaus nicht weiter auf. Und doch schien sie dem Weggehenden so froh und munter während des kurzen Besuches, daß er höchst zufrieden nach Hause ging und die neue Arbeit begann. Auch vergingen kaum einige Tage, als ihn Rosalie höchst dringend rufen ließ, um sich wegen des Rahmens mit ihm zu besprechen derjenige des ersten Bildes gefiele ihr ausnehmend wohl, und sie wünsche einen ganz gleichen zum zweiten zu bekommen.
Als er sie über diesen Punkt einigermaßen beruhigt, entließ ihn die ihn stets schöner dünkende Rosalie auf das freundlichste, doch nicht ohne ihn auf den kommenden Sonntag zu Tische gebeten zu haben, indem sie, wie sie anmutig sich ausdrückte, diese Gelegenheit nun zu benutzen wünsche, ihr Haus mit einiger Künstlerschaft zu zieren und etwas zu lernen, damit solche grobe Verstöße, wie der begangene, immer weniger wiederkehren könnten.
Erikson betrug sich ruhig und bescheiden, und wie ein Jäger auf ein edles Wild ging er auf sein schönes Ziel los mit klopfendem Herzen, aber ohne einen Schritt zuviel noch zuwenig zu tun, und zwar nicht aus allzutiefer Berechnung, sondern aus natürlicher Klugheit.
Inzwischen malte er das bestellte Bildchen und ließ sich alle Zeit dazu; er malte diesmal mit wahrer Zufriedenheit ein recht hoffnungsgrünes Frühlingslandschäftchen, welches fast reich und anmutig zu nennen war; denn es schwante ihm, daß dieses seine letzte Schilderei sein werde.
Es war im Spätherbste, als ihm dies Abenteuer begegnete, und im Februar war er schon so weit, daß Rosalie unter seinem offenen Schutze an dem Künstlerfeste erscheinen wollte. Noch hatte weder Erikson Ferdinands wundersame Agnes noch dieser die anmutsvolle und freundliche Witwe gesehen, und beide waren übereingekommen, daß dies am Feste zum ersten Male geschehen sollte. Heinrich hingegen war beiden Geliebten als ein ungefährliches junges Blut gelegentlich vorgestellt worden, und er freute sich, ohne leidenschaftlich beteiligt zu sein, die kommende Festzeit in dem Scheine solcher zwei Sterne mitgenießen zu können.
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Das große Theater war in einen Saal umgewandelt und hatte, voll erleuchtet, bereits die beiden Hauptkörper des Festheeres, die, welche das Fest geben, und die, welche es sehen sollten, in sich aufgenommen. Während in den Logenreihen die wohlhabendere und gebildete Hälfte der Stadt in vollem Schmucke versammelt harrte, den königlichen Hof in der Mitte, waren die Seitensäle und Gänge dicht angefüllt von den sich ordnenden Künstlerscharen. Hier wogte es hundertfarbig und schimmernd durcheinander. Jeder war für sich eine inhaltvolle Erscheinung, und indem er selber etwas Rechtem gleichsah, betrachtete er freudig den Nächsten, welcher, durch die schöne Tracht gänzlich umgewandelt, nun ebenfalls so vorteilhaft und kräftig erschien, wie man es gar nicht in ihm gesucht hätte.
Allen klopfte das Herz vor froher Erwartung, und doch hielten sie sich ruhig und gemessen, wie Leute, welche fühlten, daß ihnen eine schönere äußere Erscheinung für das ganze Leben gebührte und nicht bloß für eine Nacht.
Seltsame Zeit, wo die Menschen, wenn sie sich freudig erheben wollen, das Gewand der Vergangenheit anziehen müssen, um nur anständig zu erscheinen! Und allerdings ist es ein prickliges Gefühl, zu wissen, daß die Nachkommen unsere jetzige Tracht nur etwa hervorziehen werden, um sich im Spotte zu ergehen, wie wir dies jetzo mit derjenigen des achtzehnten Jahrhunderts tun, welches sich selbst doch so wohl gefiel. Und wir können uns nicht anders rächen, als indem wir, wie öfter geschieht, die verborgene Zukunft in mutmaßenden Zerrbildern lächerlich machen und zum voraus beschimpfen! Wann wird wieder eine Zeit kommen, wo wir uns um die eigene Achse drehen und uns in eigener Gegenwart genügen?
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