Er packte im Vorzimmer Geschenke aus, die Nacht lag vor den Fenstern, rötlich brannte die Ampel im Schlafzimmer. Elsa umklammerte ihn, drückte ihn, er tastete nach ihr, er roch an ihrem Haar, er streichelte ihren Nacken.
Am nächsten Morgen erhielt er Blumen von Benjamin Lenz und ein großes Bild. Zur Erinnerung an vergangene Zeiten, schrieb Lenz.
Es war ein Porträt Theodors vom Maler Klaften. Elsa hängte es in Theodors Arbeitszimmer.
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Benjamin Lenz hat es mit Dollars bezahlt, er hat es nicht zu teuer bezahlt.
Theodor ertrug sein Porträt. Er fürchtete es nicht mehr.
Er trug einen modernen Anzug mit wattierten Schultern und einem einzigen Knopf am Rock. Er fühlte sich fremd in dieser Kleidung, er fand seine Taschen nicht, sie waren hoch angebracht und schief geschnitten.
Er trug seine breiten Füße in spitzen Schuhen aus dünnem Leder. Er fror und litt Schmerzen, aber er fand es hübsch.
Er hätte nach München fahren sollen. Er mußte doch mit Seyfarth sprechen. »Fahr nicht!« sagte Elsa. »Sie werden zu dir kommen.«
Er hatte Angst, daß sie nicht kommen würden. Aber er äußerte keine Furcht.
»Liebster«, sagte Elsa, »ich muß zu dir aufblicken.«
Und er ließ sie zu sich aufblicken.
Er verlor sich ein wenig. Er begann zu glauben, was sie sagte, woran sie glaubte.
Sie ging in die Kirche. »Ich bin es gewohnt!« sagte sie. Und er ging mit. Denn er war eifersüchtig.
Sie wollte nicht in ein Abteil steigen, in dem Juden saßen. Er stieg mit ihr in ein anderes Abteil.
Sie mußten in der Stadtbahn zweiter Klasse fahren. Er kaufte keine Wochenkarten.
In Berlin wurde sie oft müde. Sie wollte im Auto fahren. Und er fuhr.
Sie sah das Porträt Theodors verliebt an. Und Theodor wußte, daß seine Angst damals übertrieben gewesen. Es war die Aufregung. Ja das Porträt gefiel ihm. Klaften hatte es auch gemalt, als er noch Theodor für einen Genossen hielt, den Genossen Trattner.
»Wann hat er dich gemalt?« fragte Elsa. »Kennst du den Maler Klaften?« Und sie war stolz.
Theodor wartete auf eine Gelegenheit. Er wollte seiner Frau seinen Werdegang schildern.
Einmal erzählte er. Einen geeigneten Abend wählte er. Es blies der Wind durch den Kamin. Elsa stickte bunte Blumen in ein Kissen. Theodor begann von Trebitsch zu erzählen. Der war ein sehr gefährlicher Jude. Theodor hatte ihn zuerst erkannt. Man hörte nicht auf Theodors Warnungen. Leider. Den Prinzen verschwieg Theodor.
Aber den Maler Klaften beschrieb er. Den jungen kommunistischen Thimme. Er ließ den Polizeispitzel Thimme wachsen, älter und einen Führer werden. Und nicht um die Siegessäule hatte es sich gehandelt. Das ganze Zentrum Berlins hätte gesprengt werden sollen. Das Ekrasit lag in den Kanälen.
»Warst du in Lebensgefahr?« fragte Elsa.
»Nicht der Rede wert!« sagte Theodor.
»Erzähle von den Landarbeitern«, bat Elsa.
Theodor erzählte. Es waren keine Landarbeiter. Landstreicher waren es, bolschewikische Agitatoren, alle bis an die Zähne bewaffnet. Theodor hatte damals eigentlich Pommern von allen gefährlichen Elementen gesäubert.
»Ich muß zu dir aufblicken«, sagte Elsa.
Dann erzählte Theodor von Viktoria, dem Tierweib, dem gefährlichen, der Spionin, die sich in ihn verliebte und die ihm alles gestand.
Elsa dachte ein wenig nach und sagte:
»Das ist aber eigentlich nicht schön!«
»Mein liebes Kind«, sagte Theodor, »unsereins kennt nur die Idee!«
»Und die eigene Frau!« ergänzte Elsa.
»Und die eigene Frau!« wiederholte Theodor.
Und sie küßten sich.
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Jede Woche einmal ging Theodor zu Hilper. Seine Angelegenheit machte Fortschritte.
Elsa hatte sich ein Amt für Theodor ausgesucht. Es hieß: Chef des Sicherheitswesens.
So etwas gab es gar nicht. Dennoch ließ der Klang des Titels Theodor keine Ruhe. Immer dachte er: Chef des Sicherheitswesens.
Er wurde angestellt, beeidet, beglückwünscht. Er bezog sein Amt. Zehn Polizeiagenten warteten im Vorzimmer auf seine Befehle.
Es gab Konferenzen. Zwischen Polizei und Staatssekretär. Zwischen Staatssekretär und Minister. Zwischen allen. Theodor fuhr im Auto.
Die wartenden Polizisten machten sich an die Arbeit. Da sie noch nichts zu tun hatten, füllten sie Fragebogen aus. Sie schrieben die Listen der ausgewiesenen Kommunisten dreimal ab.
Immer, wenn Theodor das Vorzimmer betrat, saßen sie gebückt über raschelnden Papieren.
Dann bekamen sie Arbeit. Theodor fand sich zurecht. Er begann seine alte Tätigkeit. Er schickte Spione aus. Und weil die Polizei selbst Verhaftungen ausführte, ließ Theodor noch mehr verhaften.
Lenz gab ihm Winke. Dort wohnte die Führerin Rahel Lipschitz. Verhaften! Morgen sprach der Pazifist Stock. Verhaften! Die sozialistischen Studenten machten internationale Abende. Redner kamen aus England. Im Bahnhof verhaften!
Theodor verhaftete. Er verhörte selbst. Kleine Missetaten gediehen unter seiner Hand zu Staatsverbrechen. Er brauchte einen Pressechef.
Pisk wurde Pressechef. Pisk versendete Greueltaten an die Zeitungen. Er säte zwischen allerlei außenpolitische Nachrichten kleine Gefahrmeldungen.
Die Presse widerhallte von den Gefahren, in denen sich das ganze Reich befand. Unterirdische Wühler waren an der Arbeit. Aber wachsam blieben die Behörden. Berichte über Verhaftungen schlossen mit dem Satz: In später Nachtstunde wird das Verhör fortgesetzt.
Die verstockten Häftlinge wußten nichts zu gestehen. Die Polizisten schlugen sie. Ein Agent führte den Mann vor und drehte ihm die Handgelenke nach rückwärts. Es war eine »Sicherheitsmaßregel«.
Wenn er die verfänglichen Fragen Theodors beantwortete, verringerte der Agent den Druck. Schwieg der Gefragte, dann verstärkte sich der Schmerz. »Antworten Sie«, sagte Theodor. Und alle Häftlinge kamen darauf, daß eine Beziehung zwischen ihren Antworten und den Schmerzen bestand. Und sie antworteten.
Überfüllt waren die Gefängnisse. Die Polizei verhaftete keine Diebe mehr. Die Untersuchungsrichter ließen jeden frei. Sperrte man einen Einbrecher ein, geschah es, damit er die anderen aushorche.
Und es füllten sich die Baracken. Man baute noch einige Hütten. Es war ein kalter Winter. Der Frost sang. Der Wind trieb zerstäubte Schneewogen. Durch die Fugen der Barackendächer fiel Schnee und schmolz und fror wieder auf dem Boden ein. Im Stroh, das feucht war und wie nasse Erde roch – es war ein Stroh, das nicht mehr rascheln konnte –, krochen Kinder, gelbhäutig, und ihre Rippen klapperten. Es war den Barackenbewohnern verboten, Kerzen anzuzünden, aber die elektrischen Birnen waren alt und untauglich, und die Männer saßen im Finstern beisammen und sangen. Sie sangen mit zerbrochenen Stimmen blutige Lieder.
Manchmal ging Benjamin Lenz mit einem Ausweis von Theodor Lohse inspizieren. Er nahm keine Soldaten mit. Er verteilte Zigaretten an die Männer, und er gab ihnen auf kleinen Zetteln Ratschläge und Fluchtpläne. Einigen gelang die Flucht aus den Baracken. Sie kamen zu Benjamin. Er konnte dem und jenem ein falsches Papier verschaffen. Aber die meisten hatten Frau und Kinder, und sie mußten auf ihren Transport warten. Sie warteten lange. Sie warteten auf den Tod.
Einmal kam Thimme zu Theodor, sie tauschten Erinnerungen an die alte Zeit bei Klaften aus. Thimme, der junge, liebte Theodor, er sagte es. »Sie waren mir damals sofort sympathisch!« sagte Thimme.
Der ist gefährlich! dachte Theodor.
Ich muß mich in acht nehmen, dachte Theodor. Aber er nahm sich nicht in acht. Nach einigen Tagen gefiel ihm der junge Thimme. Es war ein begabter Mensch, ein schneller Junge. Er wollte nur einen Posten.
Und es erwies sich, daß Thimme Schlupfwinkel kannte. Die Gastwirte in Moabit, in deren Kellern Sprengstoffe und Waffen gelegen hatten. Heute lagen keine Waffen mehr dort. Aber Thimme wußte sie in den Kellern zu finden. Er brachte sie eine Nacht vorher unter. Er kannte Zugänge. Er hatte Schlüssel. Er war brauchbar.
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