Der Mann sprach. Ich erhaschte nur einzelne Worte.
Eine gewisse junge Dame, deren Namen hier zu nennen zu viel Ehre für sie wäre, kann darüber Auskunft geben, weshalb Olaf Karl Abelsen niemals mehr irgend welche Gefühlsdummheiten begehen wird, zu denen ich auch meine damalige Rettung des Schnellzuges Malmö-Stockholm rechne. Die Menschen sind es nicht wert, sich irgendwie für sie aufzuopfern, und Weiber erst recht nicht.
Hier lagen die Dinge anders. Hier gedachte ich nicht den Lohengrin zu spielen, der Elsa von Brabant von einem Feinde befreit. Hier handelte es sich um mich selbst, und ich selbst war’s mir schuldig, dieser Szene da drinnen schleunigst ein Ende zu machen.
Die Stimme des blonden Kindes dort im Bett hatte eben nochmals beteuert, daß sie dem Erpresser beim heiligen Gott nichts … nichts mehr aushändigen könne, als ich den jämmerlichen Wicht schon beim Genick hatte …
Vom Bett her ein leiser Schrei …
Der Kerl flog über die Balkonbrüstung unten in eine Taxushecke, rappelte sich auf, suchte seinen Hut und rannte die Allee entlang.
Ich kehrte in das Schlafzimmer zurück. Das junge Mädchen starrte mich an und meinte weinerlich: »Ist er fort …? Sie sind wohl ein Kriminalbeamter, mein Herr?«
»Ja … Und Sie, Fräulein?«
Sie zögerte … »Sie … kennen mich also nicht?«
»Nein. Ich bin erst kurze Zeit hier in dieser Stadt, ganz kurze Zeit. Ich war bisher in einer staatlichen Anstalt beschäftigt. Ein eiliger Auftrag ruft mich außerdem noch in dieser Nacht nach Trelleborg, mein Fräulein. Könnten Sie mir irgendwie einen Anzug, einen Mantel und Wäsche und so weiter beschaffen und mir ein Fahrrad leihen?«
Ihr Gesicht konnte ich immer noch nicht deutlich erkennen, zumal ihr jetzt noch das aufgelöste blonde Haar nach vorn gefallen war.
Sie schwieg sekundenlang. Ich fühlte ihre forschenden Blicke. Und ahnte, daß sie mich durchschaut hatte.
»Sie … kommen aus Hafdengarden?« flüsterte sie …
»Ja. Ich bin der Ingenieur Olaf Karl Abelsen, der wegen Totschlags zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Vielleicht haben Sie in den Zeitungen davon gelesen. Es ist freilich schon über acht Monate her.«
»Mein Gott – – Abelsen!! – Oh, ich will Ihnen helfen … Ich … ich bin das Stubenmädchen der Dame, der diese Villa gehört. Die Dame ist verreist, und auch der Chauffeur hat Urlaub. – Drehen Sie sich um … Ich will nur einen Morgenrock überwerfen. Ich bringe Sie in die Garage, in die Stube des Chauffeurs.«
»Ich werde wieder in den Garten hinabklettern,« vereinfachte ich ihre Vorschläge. »Kommen Sie in den Garten, bitte …«
Sie kam. Sie hatte einen langen Ledermantel an, eine Autokappe auf und eine Schutzbrille vor den Augen.
In der Stube des Chauffeurs ließ sie mich allein, um das Auto zur Fahrt nach Trelleborg fertig zu machen. Die Kleider des Chauffeurs paßten mir leidlich, und nachher nahm ich auch noch einen kleinen Koffer mit, um mehr den Eindruck eines schlichten Reisenden hervorzurufen.
Wir fuhren davon. Sie saß am Steuer. Ich neben ihr. Wir tauschten wie bisher nur wenige Worte aus. Und kurz vor sechs Uhr hielten wir unweit Trelleborgs auf der Chaussee. Ich stieg aus, nahm den Koffer, dankte dem Mädchen und übersah ihre Hand, die sie mir zwanglos hinreichte – wollte sie übersehen …
»So nehmen Sie doch,« rief sie ungeduldig. »Sie brauchen doch Geld, und die drei Schminkstifte werden Sie auch zu benutzen verstehen …« – Als Nachsatz kam ein wenig verlegen: »Man würde es Ihrer Gesichtsfarbe ansehen, Herr Abelsen, woher Sie kommen …«
Ich nahm. Bevor ich jetzt jedoch, gerührt durch ihre Fürsorge, meinen Dank nochmals in herzlichere Worte kleiden konnte, wurde das Auto geschickt gewendet, sauste den Weg zurück, entschwand. Mein Händewinken, meine Zurufe blieben unbeachtet, und meine Retterin, die niemals, das hatte ich ja längst gemerkt, eine Kammerzofe war, entglitt mir vielleicht für immer. Ich hatte sie nicht nach ihrem Namen gefragt, ich hatte nur still in mich hineingelächelt, wenn sie während der spärlichen Unterhaltung sich mit geringem Erfolg bemüht hatte, in ihrer Ausdrucksweise den Ton eines halbgebildeten Mädchens zu treffen. Und doch wußte ich ihren Vornamen: Gerda! – Der Mann mit dem blonden Spitzbart hatte ihn mehrfach über seine elenden Lippen gebracht, bevor ich ihn in die Taxushecke hinabschleuderte, diesen jämmerlichen Halunken. Gerda also. Immerhin etwas. Aber ein niedliches Zöfchen – niemals! Schon das Schlafzimmer hatte dagegen gesprochen, erst recht ihr Benehmen, ebenso sehr ihre Sicherheit in der Führung des Kraftwagens.
Schade, daß ich mir von ihren Gesichtszügen keine rechte Vorstellung machen konnte. Nur die großen dunklen Augen, das blonde Haar und ein Paar sehr frische, sehr schön geformte Lippen hatten sich meinem Gedächtnis fest eingeprägt.
Vielleicht war Gerda eine Freundin oder Verwandte der berühmten Schriftstellerin, – es mußte wohl so sein: Verwandte, vielleicht eine Nichte, denn die große Dichterin zählte mindestens fünfzig Jahre und entstammte einer zahlreichen Familie.
Gerda …
Das Leben würfelt mit Menschenschicksalen. Blinder Zufall regiert unser Dasein. An ein Datum, eine Vorausbestimmung unserer Lebenslinie, glaube ich nicht. Wäre dieses Rückgrat der Lehre des Propheten Mohammed unentwirrbar von der Wiege an in unseres Daseins buntes Netz mit hineingewirkt, wären wir Menschlein nur Marionetten, die am unsichtbaren Faden eine vorgeschriebene Bahn entlanggeleitet würden, so täten wir besser, am Tage der Vollreife geistiger Erkenntnis uns eine Pistole an die Schläfe zu drücken und diese Marionettenfäden zu durchlöchern, um wenigstens in diesem einen Augenblick, wo der tödliche Schuß knallt, Herr über uns selbst zu werden und nicht bis zum »vorgeschriebenen Verrecken« elende Hampelmänner zu bleiben.
Das Leben würfelt … Und auf zwei Flächen zweier Würfel standen zwei Namen. Das Leben schüttelte den Schicksalsbecher, und diese Namen fielen nach oben, – aber der meine war nicht darunter.
2. Kapitel
Doch entwischt
Inhaltsverzeichnis
Chaussee nordöstlich von Trelleborg. Es regnet noch immer. In der Strohhütte einiger Steinschläger, die ihre Arbeit noch nicht begonnen hatten, schaute ich in den Spiegel hinein, den ich aus der Chauffeurstube gleichfalls entliehen hatte. Ein Rasierspiegel zeigte mir so ein kittgraues mageres Gesicht mit hoher eckiger Stirn, dünnem Blondhaar, einer schmalen, ganz leicht gekrümmten Nase und einer Mund- und Kinnpartie, die der Herr Staatsanwalt vor acht Monaten zum Gegenstand besonderer Bemerkungen gemacht hatte: brutal, selbstbewußt, fast roh in der Linienführung, auf Jähzorn hindeutend – und so weiter! Der Mann hatte nicht so ganz unrecht gehabt. Nur eins stimmte nicht. Von Jähzorn hatte ich bei mir nie etwas gespürt. Lächerlich – ich, der schon als Schüler die Kunst der Selbstbeherrschung mit allen Kniffen modernster Seelenforschung geübt hatte!
Wie unheimlich ich jetzt doch mit diesen eingefallenen Wangen und mit diesem ungesund bleichen Gesicht meiner Mutter glich! Eine frohe, lebensprühende Berlinerin war’s gewesen, die den Oberlehrer Doktor Abelsen heiratete, einen schwerblütigen, stumpfen echten Schweden von der Art, wie dieses Land sie nur zu oft hervorbringt, – Männer, zu tief veranlagt, um dem schnellen Rhythmus der modernen Zeit folgen zu können, – so tief veranlagt, daß das Einerlei des Alltags sie vorzeitig zu melancholischem Vegetieren verdammt. Daß zwei so grundverschiedene Naturen wie meine sonnige Mutter und mein niemals lächelnder Vater sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen mußten, daß meine Mutter dahinwelkte und früh starb und mein Vater ihr aus Gram sehr bald folgte, denn auf seine Art hatte er sie ja geliebt, – war das ein Wunder?! Und das einzige Kind dieser unseligen Daseins-Nichtverwandtschaft war ich. Ich, in meinem Fühlen, Denken, Handeln weit mehr Deutscher als Schwede, ich, der die tote Mutter in seinem Herzen als Heilige verehrte und nie von ihr sprach – nie!
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