• Drittens: Das bedeutet, dass wir uns bei aller Ambiguität und Wachsamkeit mit den faktisch erkennbaren Auswirkungen dieser Entwicklungen sehr genau auseinandersetzen müssen. Denn diese Auswirkungen sind da und spürbar und wir müssen sie abklopfen und hinterfragen. Abklopfen hinsichtlich Datenbasis und Wahrheitsgehalt und hinterfragen hinsichtlich der Konsequenzen, die sie auf unser Schaffen, auf unsere Unternehmensstrategien, heruntergebrochen auf Führung und Management, auf Produktentwicklung und Marketing, auf Kundenwerbung und -kommunikation, auf Vertrieb und Verkauf haben.
Das habe ich übrigens in den letzten Jahren ausführlich getan: in den Büchern »Revolution? Ja, bitte!« mit meinem Co-Autor Prof. Dr. Florian Feltes 2018, in »Vertriebsführung«, 2017 als DAS umfassende Grundlagenwerk bei GABAL erschienen, und im selben Jahr auf Englisch unter »Sales Leadership« auf dem US-Markt, sowie unter »Führungsprinzipien« (GABAL) mit Fokus auf Führungskräfte in Unternehmen schon 2016, jetzt in der 3. Auflage.
Eigene Forschung: Studien
Wichtig war und ist mir dabei, mit eigener Forschung zur Entwicklung der Erkenntnis beizutragen. Daher haben wir von Buhr & Team in der Vergangenheit gemeinsam mit der ESB Business School Reutlingen das Forschungsprojekt VertriebsIntelligenz® durchgeführt, das ich in den früheren Ausgaben von »Vertrieb geht heute anders« ausführlich vorgestellt habe und daher in dieser aktualisierten Auflage nur noch kursorisch erwähnen werde. Mit VertriebsIntelligenz® ist ein ganzheitliches, wertebewusstes Kompetenzmodell für Unternehmen bezeichnet, das die vier Kompetenzfelder Marktstrategie, Clean Sales, Clean Leading und Gestalterkraft umfasst. Hinter jedem der vier Felder verbirgt sich eine Kompetenzmatrix mit einem aufgeschlüsselten Set an Einzelkompetenzen. (Ein E-Paper zu der Studie kannst du übrigens kostenfrei bei uns erhalten – sende mir einfach eine E-Mail an a.buhr@buhr-team.com). Im Wesentlichen haben wir in dieser Studie hinterfragt, wie sich diese Kompetenzfelder und die damit verbundenen Einzelkompetenzen auf den Unternehmenserfolg auswirken, wie Verkauf und Vertrieb mit dem neuen, smarten Kundentypus umgehen soll und welche Auswirkungen das auf die Vertriebsorganisation hat.
Ergänzt habe ich diese Erkenntnisse dann 2016 durch die Perspektive der Führung, und zwar der Führung durch die Generation der digital-versierten Millenials, auch Generation Y genannt. Denn diese Generation übernimmt nun auch die Führungspositionen in Verkauf und Vertrieb – daher habe ich mich gemeinsam mit Prof. Dr. Florian Feltes in einer großen Studie ausführlich mit der Frage beschäftigt, was passiert, wenn New-Work-Leadership auf Old-School-Führung trifft: am Ende auch eine Machtfrage. Wobei wir wieder beim Thema der (Markt-)Macht wären.
Wer ist der neue Mächtige in Zeiten der digitalen Transformation?
Daher werden wir in dieser aktualisierten 8. Auflage von »Vertrieb geht heute anders« auch fragen, wohin sich die Macht gerade verlagert: Wird Künstliche Intelligenz stärker als menschliche in Verkauf und Vertrieb? Stärker als Kundenintelligenz, stärker als VertriebsIntelligenz? Oder anders: KI vs. VI?
Im Kern geht es hier um eine Machtfrage! Denn im letzten Jahrzehnt hat sich die Macht auf den Märkten massiv weg von den Anbietern bewegt: Zuerst fand eine Bewegung hin zu den Plattformen und Vermittlern, den digitalen, weltweit erreichbaren Schnittstellen, Devices und Handelsportalen statt.
Und von dort hat sich die Marktmacht dann weiter zu den Kunden verlagert, um deren Wünsche die Welt sich mittlerweile dreht. In den früheren Ausgaben dieses Buches haben wir sie die »Kunden 3.0« genannt, um den Übergang in die 4. industrielle Periode zu kennzeichnen. Mittlerweile – so auch in dieser Ausgabe – nennen wir diese Kunden, die jederzeit von jedem Ort aus Zugriff auf Informationen über Produkte und Preise, über Verkaufsmengen und Staffeln, über Vertriebswege und Kaufmöglichkeiten haben, einfach die »neuen Kunden«, die »smarten Kunden« oder die »digitalen Kunden«. Denn die Märkte und Möglichkeiten, Vertrieb und Kunden ändern sich einfach so schnell, dass ich der Ansicht bin, dass »Versionsnummerei« nichts bringt, wir alle müssen ständig und jederzeit beobachten und lernen, uns anpassen und wandeln und – soweit möglich – in Führung gehen, das heißt, den Wandel (Change) aktiv und adaptiv, schnell und vielleicht auch austestend (»agil«) gestalten. Diese Trends haben wir von Buhr & Team und ich als Autor vor rund zehn Jahren erkannt, als ich mich hingesetzt habe, um unter dem Titel »Vertrieb geht heute anders« eine Zusammenfassung meiner Erkenntnisse zu Papier zu bringen. Viele Tausend Leser haben das goutiert und diesem Titel zu zwischenzeitlich acht Auflagen verholfen – im Bereich der Vertriebsbücher eine selten erreichte Zahl. Und dafür danke ich meinen Leserinnen und Lesern sehr.
Algorithmen bestimmen zunehmend den Handel
Und wieder habe ich das Gefühl, dass die Zeiten sich drehen. Dass die Marktmacht sich abermals verlagern wird – und zwar auf die Seite des Algorithmus. Algorithmen und selbstlernende Systeme (Deep Learning, Künstliche Intelligenz) stecken hinter den Schlagworten wie IoT – das Internet der Dinge –, hinter automatisiertem Verkauf und automatisiertem Procurement, hinter Voice Commerce, hinter Chatbots, hinter Shopping-Apps im Auto, hinter Microservices, hinter Dynamic Pricing und Repricern, hinter Data Mining, hinter Predictions (Predictive Analysis), hinter Bild- und Mustererkennung für Retargeting und Remarketing, hinter Digital Signage, hinter Electronic Shelf Labels, hinter elektronischen Smart Shops, hinter intelligenten Wallets, hinter Mobile Payment – so viele neue Entwicklungen wälzen den Vertrieb und Verkauf gerade auf allen Ebenen um. Es wird dazu sicher auch ein neues Buch von mir geben – aber mir war angesichts dieser obigen kurzen Aufzählung, die keineswegs nur ein klingendes »Buzzword-Bingo« ist, sondern die neue Lebenswirklichkeit von uns im Vertrieb stichwortartig zusammenfasst, wichtig, dass wir in dieser neuen Auflage von »Vertrieb geht heute anders« schon diskutieren, wohin die Reise geht. Dass wir thematisieren, wer die Marktmacht künftig in Händen – oder vielmehr in Apps und Algorithmen – halten wird. Momentan sieht es so aus, als ob es nicht der Kunde ist, denn er wird gerade all seiner Daten entkleidet, er wird Data-Mining-Material, Algorithmenfutter, er entmächtigt sich in Teilen selbst.
Hintergrund: Etwas digitales Vokabular
Digital Signage:Unter dieser »digitalen Beschilderung« werden (interaktive) Werbe- und Informationssysteme verstanden, die (z. B. im Groß- und Einzelhandel) Kunden direkt mit Medieninhalten und Werbung – meist cloudbasiert – adressieren und zum Kauf animieren.
Electronic Shelf Sabels:Diese »elektronischen Regaletiketten« finden sich im Einzelhandel und liefern dem Kunden direkt am Produkt Zusatz- und Preisinformationen. Im Zusammenspiel mit Repricern – siehe nächstes Kapitel – können auf diese Weise Preise ähnlich wie im Online-Handel auch sekundengenau an Nachfrage und Lagermenge angepasst und ausgespielt werden.
Procurement:Procurement oder Purchasing ist der englische Ausdruck für Beschaffung, also die Abteilung in (Kunden-)Unternehmen, die sich mit dem professionellen Einkauf und der Beschaffungslogistik von Rohmaterial, Zulieferung oder Handelsware beschäftigt. In diesem Buch geht es meist um Digital Procurement , also die Automatisierung solcher Beschaffungsprozesse unter Einsatz vieler der hier genannten Technologien, was neue Herausforderungen für Akquise und Vertrieb aufwirft.
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