Diese Art von »Erfolg« ist fragwürdig genug. Doch als Schattenseite einer solchen Entwicklung ist man nicht nur für seinen Erfolg, sondern auch für seinen Misserfolg verantwortlich. Wo Klassen- und Standesbeschränkungen fehlen, wo man in einem weiten Feld und nicht mehr in einem begrenzten Parcours laufen muss, wo keine Kirche und kein soziales Netz mehr Schutz bieten, trifft einen die Wucht des eigenen beruflichen Versagens umso härter. Dieses Versagen muss nicht unbedingt Arbeitslosigkeit bedeuten. Man kann auch erfolglos und unglücklich sein, während man noch Arbeit hat. Gerade Burnout-Betroffene sind sehr gut darin, in ihrem Job Erfolgsziele so zu definieren, dass sie sie gerade nicht erreichen. So »motivieren« sie sich durch ihre Niederlage zu noch größerer Anstrengung.
Egal ob Burnout oder nicht, egal ob Unternehmensberater oder Bandarbeiter: Wir sind zum beruflichen Erfolg verdammt. Das System lässt keinen Spielraum mehr. Deshalb sind wir kollektiv erfolgsgeil. Wie eine Monstranz tragen wir unseren Erfolg vor uns her; er ist Zuckerbrot und Peitsche zugleich, gibt uns Motivation und droht uns gleichzeitig mit gesellschaftlicher und menschlicher Entwertung. Wir müssen gebraucht werden, die Gesellschaft muss unsere Arbeitskraft wollen, sonst zerschellt unser Schiff des Selbstvertrauens an der Klippe des eigenen Versagens.
Das ist auch der Grund, warum viele Langzeitarbeitslose nicht mehr vermittelbar sind. Bis auf wenige Ausnahmen, die sich einen Kern Selbstachtung bewahrt haben, ist besagtes Schiff zerschellt und unwiederbringlich gesunken. Der einzelne Arbeitslose hat in einer Zeit, die Arbeit als Lebensmittelpunkt begreift, seine Existenzberechtigung quasi an der Garderobe abgegeben. Nicht, dass ihm das jemand vorwerfen oder es so formulieren würde. Die Gesellschaft und deren kollektives Bewusstsein bringen ihn dazu, so zu denken. Eine für den Einzelnen dramatische, manipulatorische Meisterleistung.
Wir markieren unser Revier mit den Dingen, die uns die Werbeindustrie als erstrebenswert vorgaukelt.
Mit solchen Überlegungen beschäftigt sich der Arbeitnehmer, der gerade auf seiner Karrierewelle surft oder zumindest noch einen Job hat, nicht. Für ihn geht es vielmehr um die Sicherung des Erfolgs und seine Übersetzung in materielle Zeichen. Das Revier muss markiert werden, am besten mit den Dingen, die uns die Werbeindustrie als erstrebenswert vorgaukelt. Dafür gibt es zahlreiche Möglichkeiten: Autos, Reisen, Möbel, Kleidung, Uhren. Ein schöner Spruch lautet: »Wir kaufen Dinge, die wir nicht brauchen, mit Geld, das wir nicht haben, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen.« Neueste Zahlen des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) zeigen, dass 2009 allein im deutschen Fernsehen 3,7 Millionen Werbespots gesendet wurden. 9Das sind pro Tag knapp 10 137 und pro Stunde etwa 422. Die deutsche Werbebranche insgesamt machte 2009 einen Umsatz von fast 29 Milliarden Euro. Und diese Zahl beinhaltet bereits einen Rückgang des Umsatzes um 6 Prozent im Vergleich zum Jahr 2008.
Diese Werbung nennt Oliviero Toscani, der Macher hinter den umstrittenen Benetton-Werbekampagnen (in denen schon mal blutverschmierte Hemden mit Einschusslöchern gezeigt werden), schlicht »Verbrechen gegen die Intelligenz«, ein »künstliches und abgeschmacktes Reich, das uns seit bald dreißig Jahren verblödet«. In seinem furiosen Manifest gegen die herkömmliche Werbung rechnet Toscani ab: »Für Zehntausende von Dollar wird ein Supermodel in Szene gesetzt, um frischverliebten Friseusen ohne das nötige Kleingeld und schwärmerischen Sekretärinnen auf der ganzen Welt Parfums zu verkaufen. Sie alle werden heißgemacht auf einen unerreichbaren bürgerlichen Traum. Die Werbung verkauft keine Produkte oder Ideen, sondern ein verfälschtes und hypnotisierendes Glücksmodell. […] Man muss die breite Öffentlichkeit mit einem Lebensmodell blenden, dessen gesellschaftliches Ansehen es verlangt, dass man Garderobe, Möbel, Fernseher, Auto, Haushaltsgeräte, Kinderspielzeug, einfach sämtliche Gebrauchsgegenstände so oft wie möglich erneuert. […] Diese groben Vereinfachungen werden bis zum Erbrechen wiederholt.« 10
Werbung soll zum Kaufen verführen. Produkte sollen mit Wohlgefühl assoziiert werden, mit Status, Exklusivität, sichtbarem Erfolg. Vielleicht glauben wir, dass ein solches Zeigen von Erfolg sexy ist. Was jedoch garantiert nicht sexy ist: den anderen mit der Nase auf die Spur des angeblichen eigenen Erfolgs stoßen zu wollen. Zur idealen Plattform für derart ichbezogene Inszenierungen haben sich soziale Netzwerke wie XING, Twitter oder Facebook entwickelt. Dort präsentieren sich manche »Jäger des verlorenen Erfolgs« mit einer Penetranz, als gäbe es kein Morgen.
Da faselt zum Beispiel eine Dame von der untergründigen Psychologie des Erfolgs – die sie natürlich exklusiv entdeckt hat – und vermarktet so ihr entsprechendes Buch. Sie lasse sich natürlich jederzeit zu einer Kontaktaufnahme herab, doch jetzt segle sie erst mal kreuz und quer durch Südostasien. Danach jedoch könne man sie gerne kontaktieren. Den Betrachtern ihres geblähten Segels will sie mit solch zartem Hinweis und der Subtilität eines Elefanten im Porzellanladen vor allem eines signalisieren: Schaut mal, wie schön, sexy und erfolgreich ich bin. Oder kürzer: Macht’s gut, ihr Luschen.
Ähnliche Augenzucken verursachende Klowand-Graffiti bei Twitter: »Wie Sie mit XING und Facebook ihre Karriere vorantreiben #Selbstmarketing #reputation«, »›Erfolg hat nur, wer etwas tut, während er auf den Erfolg wartet.‹ Thomas Edison«, »Wir zeigen Ihnen Wege zu Ihrem Erfolg, die tatsächlich funktionieren!« und ähnliche Sprüche. Man kann solch schräge Selbstdarstellungsshows, wie sie mittlerweile in sozialen Netzwerken Alltag sind, für die Auswüchse einiger stilloser Freaks halten. Ich glaube jedoch, sie sind nur die sichtbare Spitze eines Sehnsuchts-Eisbergs, endlich allen zu zeigen (und zu erzählen), wie toll man durchstartet. Wir sind besoffen vom Lockmittel Erfolg, das vom Fernseher zuerst ins Hirn und von da ins Herz sickert und wie Efeu andere Lebensmotivationen erstickt. Deshalb schnappen wir gierig nach der Luft der Personality-Shows, wollen teilhaben an der Welt der Promis und schönen Menschen, von denen wir glauben, dass sie es »geschafft haben«.
Wir sind besoffen vom Erfolg!
Inzwischen muss alles und jeder erfolgreich sein: man selbst sowieso, das Unternehmen, demnächst auch der Besuch der Katze auf dem eigenen Klosett. Vieles dreht sich nur noch um Selbstdarstellung, um Durchsetzung und Erfolg. Dafür nimmt man sogar größte Opfer in Kauf. Ein Freund von mir, der in München wohnt, erzählte mir kürzlich von dem Phänomen No rent, but car . Weil sich Münchner mit einem Durchschnittsgehalt ihre Wohnung nicht mehr leisten können, geben sie diese auf und investieren ihr Geld in ein Auto, das richtig was hermacht – BMW, Audi, Mercedes oder Porsche. Jede Nacht schlafen sie im Auto. Morgens machen sie sich dann zurecht und fahren zum Geschäftstermin, als ob nichts wäre. Einige halten eine solche Maskerade Monate, manchmal Jahre durch. Gibt es ein verzweifelteres Beispiel für unsere panikartige Angst, unseren gesellschaftlichen Status zu verlieren und zu »versagen«?
Das permanente Lechzen nach Erfolg saugt uns aus.
Was aber ist, wenn ich lieber zufrieden oder einsam oder Mönch wäre? Wenn ich nicht (nur) erfolgreich sein will? Das permanente Lechzen nach Erfolg saugt uns aus. Erfolg ist die Droge, auf die in unserer ökonomisierten Welt jeder anspringt. Bist du nicht »erfolgreich«, hast du nichts, bist du nichts, und das alles ist deine Schuld. Deswegen wollen viele so verzweifelt erfolgreich sein. Manche schaffen es, andere nicht. Bei den Schreihälsen jedoch, die uns ihren angeblichen Erfolg bei XING und Twitter um die Ohren hauen, fällt mir vor allem der alte Spruch ein: Hunde, die bellen, beißen nicht.
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