Jeder Mensch ist einzigartig und zeigt daher auch ein persönliches körpersprachliches Muster, das man bei einer ersten Begegnung noch nicht erkennt. Dazu eine Erfahrung, die ich selbst gemacht habe: Ich wurde von einem namhaften Unternehmen eingeladen, ein Angebot für Schulungen der Außendienstmitarbeiter abzugeben. Mit mir kamen noch zwei andere Trainer schließlich in die Endausscheidung und durften ihr Leistungsangebot persönlich vorstellen. Anwesend waren der Unternehmenschef, der Personalleiter und dessen Assistentin. Ich musste als Letzte präsentieren, und es lief nicht besonders gut. Die beiden anderen Anwärter legten eine perfekte PowerPoint-Präsentation hin, ich dagegen kam mit leeren Händen – ein denkbar schlechter Start. Zu allem Überfluss saß der Chef während der gesamten Präsentation zurückgelehnt und mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl, sah mich kaum an, nickte nicht, lachte nicht und zeigte auch sonst keinerlei Regung. Als ich fertig war, sagte er nur »Danke«, auch das, ohne mich anzusehen, und ich verließ den Raum.
Ich hatte den Auftrag innerlich schon abgeschrieben, als die Assistentin mich zum Ausgang brachte und meinte: »Mein Chef war begeistert. Ich bin überzeugt, dass Sie den Auftrag bekommen.« Ich war mehr als irritiert. Doch tatsächlich rief der Personalentscheider schon am nächsten Tag an und erteilte mir den Auftrag. Was war der Grund für diese falsche Interpretation? Ich hatte schlicht und einfach nicht die Möglichkeit berücksichtigt, dass die zurückhaltende Körpersprache des Chefs sein gängiges Verhalten war – seine Baseline.
Wenn ich unsicher bin, tendiere ich dazu, permanent zu lächeln, ich habe eine hohe Spannung in meinem Körper und agiere allzu bewusst mit meinen Händen. Nehme ich eine solche Geste bei einem anderen Menschen wahr, sollte ich darauf achten, diese nicht genau so zu interpretieren. Einmal traf ich auf einem Kundenevent nach meinem Vortrag auf einen Mann, der mich nicht aus den Augen ließ. Ich spürte, dass er Kontakt aufnehmen wollte. Da ich neugierig bin, sprach ich ihn direkt darauf an. Er lobte den Inhalt und die Kurzweil meines Referats. Bei einer Aussage war ich jedoch geplättet: »Sie sind das Pendant von Anke Engelke. Und ich finde die Frau klasse.«
Kein Wunder, dass ihm meine Performance gefiel, er hatte seine Beurteilung von Anke Engelke direkt auf mich übertragen. Assoziieren wir eine Eigenschaft, das Aussehen, die Stimmlage oder die Haltung einer Person mit etwas oder jemand Positivem, dann fällt in der Regel die Beurteilung positiv aus – allerdings gilt das auch für den umgekehrten Fall. Das wurde in vielen Tests nachgewiesen und wird »Halo-Effekt« genannt.
Um Körpersprache zutreffend zu interpretieren, muss immer auch der Kontext beachtet werden: der Beweggrund, die Beziehung zum Gesprächspartner, die Räumlichkeiten, die Tagesverfassung, vorangegangene Begegnungen und so weiter.
Einige Beispiele dafür: Nehmen wir an, Sie sind Führungskraft und umarmen eine Ihrer Mitarbeiterinnen innig, was von einigen anderen Mitarbeitern beobachtet wird. Bei diesen könnte nun leicht der Eindruck entstehen, dass diese Mitarbeiterin von Ihnen bevorzugt wird. Dabei wollten Sie sie nur trösten, weil ihr Kind im Krankenhaus liegt. Oder: Sie sitzen mit Mitarbeitern in einem Meeting, gähnen plötzlich und strecken Ihre Arme nach vorne. Was wird Ihr Team wohl denken? Richtig: dass Sie die Vorschläge langweilig finden oder Ihnen das Meeting zu langatmig ist. Keiner weiß, dass Sie gerade einen Langstreckenflug hinter sich haben und nur gegen den Jetlag ankämpfen.
Wie sich Pannen vermeiden lassen
Wenn Menschen erfahren, dass ich Körpersprache-Expertin bin, reagieren sie häufig so: Sie erstarren, wissen nicht mehr wohin mit ihren Händen und fühlen sich unwohl. Sie denken vermutlich, dass ich auf jede kleinste Geste achte und sie im Handumdrehen »durchschaue«. Aber auch ein Experte für Körpersprache kann nicht zu 100 Prozent zutreffend analysieren, was in einem Menschen vorgeht. Tatsache ist jedoch, dass wir alle – ob nun Experte oder nicht – die Menschen um uns herum ständig beurteilen. Dies geschieht meist jedoch unbewusst. Es lohnt sich also, die eigene Beobachtungsgabe zu trainieren, um die Treffsicherheit zu erhöhen. Und das geht so:
Berücksichtigen Sie individuelle Gewohnheiten
Wie Sie inzwischen wissen, hat jeder Mensch seine individuelle Körpersprache – seine Baseline. Beobachten Sie deshalb immer zuerst das individuelle körpersprachliche Normalverhalten eines Menschen oder seine kommunikativen Gewohnheiten. Diese offenbaren sich am besten in einer stressfreien Situation. Je häufiger Sie mit einer Person in Kontakt treten, desto einfacher ist es, deren Baseline zu identifizieren. Denken Sie nur an einen Ihnen nahestehenden Menschen. Sie fühlen unbewusst sofort, wenn etwas nicht in Ordnung ist, wenn sein Verhalten von seiner Baseline abweicht, und sei es auch nur minimal.
Beobachten Sie deshalb genau das Verhalten Ihrer Mitarbeiter, Kollegen und Freunde und schaffen Sie jeweils eine Basis, um Verhaltensänderungen leichter wahrzunehmen. Sollten Sie keinen längeren Zeitraum zur Verfügung haben, dann nutzen Sie ein Gespräch über belanglose, nicht emotionale Themen, um das Verhalten Ihres Gegenübers zu beobachten. Prägen Sie sich Mimik, Körperhaltung, Armbewegungen, Stand, Sitzhaltung und allgemeine körpersprachliche Ausdrücke ein, die signifikant für diese Person sind:
Ist der Gesichtsausdruck locker oder angespannt?
Ist die Haltung selbstbewusst oder unsicher?
Sind die Gesten gelassen oder nervös?
Ist die Laune gut oder schlecht?
Ist Ihr Gegenüber freundlich oder angriffslustig?
Verändert sich während des Gesprächs die entschlüsselte Baseline, dann sollten Sie aufmerksam sein. Hat Ihr Gegenüber zum Beispiel seine Aussagen immer stark mit den Händen untermalt und zeigt plötzlich keine Gesten mehr, kann das auf eine wachsende Anspannung deuten. Wird ein neutraler Gesichtsausdruck plötzlich zum permanenten, jedoch unecht wirkenden Lächeln, kann das ein Zeichen von Angst sein. Auch wenn das Sprechtempo plötzlich erheblich schneller wird und die Stimmlage sich erhöht, ist das ein mögliches Zeichen von Nervosität. Andererseits kann eine plötzliche Abweichung vom üblichen Verhalten auch ein Hinweis darauf sein, dass die Person an für sie bedeutende Begebenheiten denkt oder bestimmte Gedankengänge durchspielt. Tja, und Gedanken lesen kann niemand.
Unterscheiden Sie universelle und individuelle Signale
Es gibt körpersprachliche »Vokabeln«, die bei allen Menschen ähnlich oder sogar identisch sind. Emotionen sind universell und auch international. Presst jemand beide Lippen zusammen und Teile der Lippen verblassen dabei, ist garantiert Wut oder Zorn im Spiel. Hebt jemand die Schultern an, um seinen empfindlichen Halsbereich zu schützen, ist sein Kopf starr und bewegen sich nur noch die Augen, kann man davon ausgehen, dass dieser Mensch ängstlich ist oder zumindest in diesem Moment Angst hat.
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