Gesellschaften, die Frauen und Männer gleichbehandeln, profitieren von dieser Ausgewogenheit.
Ein aktuelles Beispiel: Im französischen Fernsehen schob kürzlich ein männlicher Gast einer Talkshow den Rock einer neben ihm sitzenden Frau nach oben, um »mehr Quote« zu erreichen. Alle Anwesenden flüchteten sich in Gelächter und in die einhellige Auffassung, dass das wohl eine Art »freches Kompliment« gewesen sei. Nüchtern betrachtet, nahm sich der Mann – übrigens ein national bekannter Entertainer – etwas Unerhörtes heraus und tat das, was noch immer als ein Kavaliersdelikt gewertet wird: Er reduzierte die Frau – ebenfalls eine bekannte Künstlerin – auf ihr Äußeres. Oder denken Sie daran, wie oft Sie schon beobachtet haben, dass Männer bei Fotoshootings ganz selbstverständlich die Hand um die Taille einer Frau legen. Haben Sie das jemals umgekehrt gesehen? Oder haben Sie jemals zwei Männer gesehen, die sich die Hand um die Taille legen? Wenn Sie jetzt denken, das seien Kleinigkeiten, dann sind Sie im Zentrum der alten Denkmuster angekommen. Derartige Übergriffe sind keine Kleinigkeiten, sondern werden nur durch Gewohnheit als solche betrachtet. Es sind Grenzüberschreitungen, die in den Augen vieler keiner Kontrolle bedürfen, weil sie ja »nicht böse« gemeint sind.
Ich habe damals auch mit niemandem darüber gesprochen, was ich auf den Baustellen über mich ergehen lassen musste. Ich hatte diese Vorgehensweise für mich gewählt, weil ich nicht infrage stellen wollte, was anscheinend von jedem akzeptiert wird. Erst viel später wurde mir klar, dass genau das der Grund ist, warum sich eine Gesellschaft, ein System oder ein Unternehmen nicht weiterentwickelt.
Gender Balance entsteht durch ein alltägliches neues Verhalten von Männern und Frauen – durch Unterlassen und Ändern jener Kleinigkeiten, die früher »nicht der Rede wert waren«. Erst, wenn ihnen eine bestimmte Wertigkeit zugestanden wird, ist bleibende Veränderung möglich.
Zur Klarstellung: Es sind nicht nur »schreckliche Männer«, die für Starrheit im System sorgen. Es steckt auch nicht immer böse Absicht dahinter. Viel fataler ist, dass Fehlverhalten unbewusst passiert und den Beteiligten völlig normal erscheint. Auch Frauen überschreiten unbewusst Grenzen: Kleidung, die körperliche Reize preisgibt oder überbetont, irritiert Männer zwangsläufig. Kleidung spielt eine wichtige Rolle in der Vorbeugung von Sexismus. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich Frauen wie Männer kleiden sollten! Worum es wirklich geht: Wenn Äußeres zu sehr von Inhalten ablenkt, wird irgendwann nur mehr die »Hülle« beachtet.
Mir ist durchaus bewusst: Sexismus wird nie völlig abgestellt werden können. Dazu geschieht auf zu vielen Ebenen zu viel Zwischenmenschliches. Aber: Männer und Frauen können vorsichtiger und bewusster damit umgehen.
Was ist Sexismus und wo ist der Ausweg?
Der Begriff »Sexismus« umfasst Geschlechterstereotype, Affekte und Verhaltensweisen, die einen ungleichen sozialen Status von Frauen und Männern zur Folge haben oder darauf hinwirken. Im Klartext: Sexismus ist Gift für Gender Balance. Sexismus ist mittlerweile in vielen westlichen Ländern Gegenstand von Gesetzgebung und Sozialforschung – insbesondere der Gender Studies und der Vorurteilsforschung. Manches hat sich inzwischen verändert – jedoch noch lange nicht genug.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, dessen Verhalten und Wahrnehmungen von Erfahrungen geprägt sind. Wir müssen nur an unsere Kindheit zurückdenken und uns daran erinnern, wie unsere Väter mit unseren Müttern umgegangen sind. Oder wie Großväter sich gegenüber Großmüttern verhalten haben. Wir nehmen unbewusst dieses Verhalten an. All diese Erinnerungen haben wir im Gepäck und wir sind uns oft nicht einmal bewusst, wie sehr diese uns noch immer prägen.
Sprung ins Jahr 2016: Ich bin als Vortragende in eine Konzernzentrale eingeladen. Meine Auftraggeberin ist – so wie ich – groß und blond. Gemeinsam mit einem Assistenten empfängt sie mich in der Lobby und wir fahren mit dem Aufzug in die Vorstandsetage. Als wir dort den Korridor entlanggehen, begegnen wir einer männlichen Führungskraft, die den Assistenten anblickt und zwinkernd sagt: »Eh klar, unser hübscher und gescheiter Kollege darf sich wieder mit den schönsten Frauen umgeben. Das hat er sich aber auch verdient!«
Da sind wir wieder – in einer dieser Situationen, die viele in erster Linie als »nicht sehr guten Witz« oder als »blöde Bemerkung« abtun und vergessen würden. Mir war schon bewusst, dass hier ein Kompliment auf sehr unglückliche und plumpe Art und Weise ausgesprochen wurde. Aber Tatsache ist, dass die Formulierung den Mann als »Sieger« herausstrich. Die alternative Formulierung »In Begleitung von zwei so hübschen Frauen? Du kannst dich glücklich schätzen, dass du mit ihnen unterwegs bist« wäre noch immer sexistisch gewesen, aber zumindest hätte der »Schein« des Kompliments auf uns Frauen abgezielt. Die tatsächliche Aussage bewirkte bewusst oder unbewusst – wir wissen das in diesem Fall nicht so genau – eine Diskriminierung der Frauen.
Es sind Sprache, und bestimmte Verhaltensweisen, die das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen in Unternehmen erst sichtbar machen. Wenn eine männliche Führungskraft Aussagen dieser Art dermaßen locker tätigt, kann man sich ausrechnen, dass sich dieser Stil durch das gesamte Unternehmen zieht. Und tatsächlich konnte ich genau das im Laufe der Zeit in diesem Unternehmen beobachten.
Nun fragen Sie sich vielleicht: Wie soll dieses Ungleichgewicht, das mit leichten Schwankungen seit Generationen besteht, überhaupt jemals in Balance gebracht werden? Schauen wir uns dazu zunächst einmal an, was die Wissenschaft zur althergebrachten Ansicht, dass Männer und Frauen grundsätzlich wie Tag und Nacht seien, sagt.
Der Soziologe und Psychologe Tomas Chamorro-Premuzic führte dazu eine Untersuchung mit rund 1000 ManagerInnen aus 40 Ländern durch. Er wollte wissen, wie sich Männer und Frauen anhand ihrer vorherrschenden Persönlichkeitsmerkmale unterscheiden. Das Ergebnis: Frauen bestechen vorrangig durch Bescheidenheit, emotionale Intelligenz und Teamfähigkeit. Männer hingegen weisen sehr oft aggressive, selbstbezogene und narzisstische Tendenzen auf. Sie denken jetzt vielleicht, dass die Männer bei dieser Untersuchung nicht gut wegkommen. Das ist ein Irrglaube, denn die erwähnten männlichaggressiven Tendenzen decken sich exakt mit den Erwartungen, die in unserer Wirtschaftsgesellschaft an eine sogenannte »Führungspersönlichkeit« gestellt werden. Sie werden also als wünschenswertes Verhalten betrachtet – und das, obwohl dies einer Organisation nachweislich nicht dient!
Jeder muss sich bewegen, damit sich etwas bewegt! Das schließt auch die kleinste Zelle der Gesellschaft ein – die Familie.
Wie viele Korruptionsfälle kennen Sie, in denen Frauen eine maßgebliche Rolle spielen? Natürlich könnte man argumentieren, es liegt daran, dass weitaus mehr Männer in Führungspositionen sind als Frauen. Doch die Analysen sehen eher die unterschiedlichen Eigenschaften der Geschlechter als Ursache. »Fake it ’til you make it« – so tun als ob – wird eher Männern zugeschrieben. Doch wie ist es möglich, dass dies als wünschenswert betrachtet wird? Ein in der »Harvard Business Review« publizierter Artikel zu oben erwähnter Studie schlussfolgert, dass unsere Gesellschaft »unfähig ist, zwischen Selbstüberzeugung und tatsächlichem Können zu unterscheiden«. Und da liegt die Wurzel einer Tendenz, die im Grunde ihres Wesens widersinnig und selbstzerstörerisch ist und leider sehr erfolgreich ein Ungleichgewicht aufrechterhält: Jene Werte und Verhaltensweisen, die in unserer Gesellschaft geschätzt, angestrebt und hochgehalten werden, decken sich nicht mit jenen, die für eine gesellschaftliche Weiterentwicklung notwendig wären.
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