2000Thomas Manns Der Zauberberg wird als Hörspiel eingerichtet. Die 10-stündige Adaption, ein Kooperationsprojekt von BR und Hörverlag, gilt als die größte literarische Produktion in der Geschichte des Bayerischen Rundfunks.
2001WDR 3 und Eins Live gehen ein Joint Venture ein und senden dasselbe Hörspiel (fast) zeitgleich für die Zielgruppen ›Kultur‹ und ›Jugend‹.
2003In Köln wird der Deutsche Hörbuchpreis gegründet.
2003Der Universitätsverlag Konstanz (UVK) veröffentlicht die Kleine Geschichte des Hörspiels .
2003Der Mitteldeutsche Rundfunk experimentiert mit Hörspielen im 5.1-Surround-Sound. Erstes Beispiel, zunächst auf DVD, aber noch nicht im Radio hörbar, ist eine Adaption von Jules Vernes Roman 20.000 Meilen unter den Meeren .
2004WDR 3 publiziert Ätherdramen. Eine kleine Hörspielgeschichte von Hans-Jürgen Krug als Hörbuch. Das Hörspiel ist nun 80 Jahre alt.
2005Roland Schimmelpfennigs Für eine bessere Welt (HR 2004) wird ›Hörspiel des Jahres‹.
2007In Leipzig wird der erste Günter-Eich-Preis an Alfred Behrens vergeben. Der Eich-Preis prämiert das Lebenswerk eines Hörspielautors.
2007Das erste privat produzierte und zunächst nur als CD erwerbbare Hörspiel entsteht: Peter Kurzecks fast fünfstündige Erzählung Ein Sommer, der bleibt (Supposé).
2008Der erste ARD-Radiotatort wird ausgestrahlt: Der Emir von Peter Meisenberg (WDR).
2008Der Bayerische Rundfunk eröffnet seinen Audiopodcast ›Hörspiel-Pool‹ mit Raoul Schrotts Die Erfindung der Poesie (BR, HR, ORF 1997). Hörspiele werden hier erstmals gebündelt zum kostenfreien Hören und Downloaden dauerhafter angeboten.
2012Der Südwestdeutsche Rundfunk strahlt, von Twitter-Kommentaren begleitet, einen Tag lang die Adaption von James Joyces Roman Ulysses aus. Die CD-Ausgabe wird 2013 zum ›Hörbuch des Jahres‹ gekürt.
2017Am 8. März wird das längste Hörspiel aller Zeiten freigeschaltet. Tausende haben jeweils eine Seite aus David Forster Wallace’ Roman Unendliches Spiel ins Mikrofon gelesen. Andreas Ammer hat ihre Stimmen zu Unendliches Spiel, unendlicher Spaß zusammengefügt. Das Web-Hörspiel von 90 Stunden Länge ist (fast) nur als Podcast oder auf CD hörbar.
2018Ursendung von Christoph Buggerts Hörspiel Ein Nachmittag im Museum der unvergessenen Geräusche (SR, MDR 2018).
2018Der Rundfunk Berlin-Brandenburg bietet als erster Sender einen Podcast für Serien an. Als erstes Hörspiel wird – Podcast first – Juli Zehs Unterleuten (RBB 2018) angeboten.
2018Parallel zur Fernsehserie Berlin Babylon (Sky, ARD) entsteht die Hörspielserie Der nasse Fisch , das Hörspiel zu Berlin Babylon (RB, WDR, RBB).
2020Podcast first: Zuerst in der ARD-Mediathek wird eine akustische Realisation von Thomas Pynchons legendärem Roman Die Enden der Parabel (SWR, DLR 2020) veröffentlicht.
Das Radio gehört noch immer zu den meistgenutzten Medien in Deutschland. 209 Minuten täglich schaltete im Jahre 2000 ein durchschnittlicher Hörer sein Gerät an, 2007 waren es 186 (Fernsehen: 192) und 2015 173 Minuten. Das Radio ist inzwischen vor allem ein Tagesbegleitmedium (KRUG 2019: 156) geworden. Das Nebenbeihören hat das bewusste Einschalten einzelner Sendungen weitgehend verdrängt, und auch der Status der seit den Anfängen im Jahr 1924 weitgehend öffentlich-rechtlichen Einschaltkunst ›Hörspiel‹ hat sich verändert. Die einst gefeierte ›Krönung des Funks‹ (KOLB 1932) besitzt nicht mehr die große Liebe des breiten Radiopublikums und auch nicht den kulturellen Stellenwert, den sie in den 1950er-Jahren in Deutschland erlangt hatte. Und es fehlt ihr die theoretische Anerkennung, die sie in den 1960er-Jahren erlangte. Doch das Hörspiel ist noch immer erkennbar im Programm. 2004 etwa wurden an rund 2.200 Sendeterminen noch immer außerordentlich viele Hörspiele gesendet. Die Zahl der Neuproduktionen freilich ist rückläufig: Das ABC der ARD zählte 1999 »rund 750 Neuproduktionen« (ARD 1999: 74), 2002 waren es noch »rund 640« (ARD 2002: 86) – auch 2019 werden in der Internetausgabe des ABC s noch »derzeit rund 640 Neuproduktionen« angegeben. Andere Quellen gehen davon aus, dass in der ARD jährlich »über 500 Hörspiele« (KAPFER 2003: 67) neu produziert werden. »Doch d i e Zahlen«, so berichtete Uwe Kammann 2013 auf dem Festival ›Radio Zukunft. Tage der Audiokunst in Berlin‹, »die gibt es nicht, weil jeder Sender anders zählt und rechnet. Und damit auch jede Hörspielabteilung« (KAMMANN 2013).
RADIO, KULTURRADIO, HÖRSPIEL
Das Hörspiel ist die Kunstform des Rundfunks, und sie war nur hier – als Teil eines laufenden Programms – möglich. Heute ist diese Radiokunst aus den populären und hörerreichen Radioprogrammen nahezu vollständig verschwunden. Sie ist fast ausschließlich auf den öffentlich-rechtlichen Kultur-, Klassik- oder Infowellen zu finden: Bayern 2 (Bayerischer Rundfunk), hr2 kultur (Hessischer Rundfunk), MDR Kultur (Mitteldeutscher Rundfunk), NDR Kultur, NDR Info (Norddeutscher Rundfunk), Bremen 2 (Radio Bremen), rbbKultur (Rundfunk Berlin-Brandenburg), SR 2 KulturRadio (Saarländischer Rundfunk), SWR2 (Südwestrundfunk), WDR 3, WDR 5 (Westdeutscher Rundfunk), Deutschlandfunk Kultur (DLFK) und Deutschlandfunk (DLF).
Die ›gehobenen Wortwellen‹ befinden sich seit den 1990er-Jahren in stetigen Veränderungsprozessen. Sie haben ihre Namen, ihre Programmstrukturen und ihren Sound immer wieder ›optimiert‹; sie haben sich ›Flottenstrategien‹ unterworfen, ihre Tagesprogramme formatiert und so versucht neue Zielgruppen anzusprechen. Nicht selten wurden diese ›Optimierungen‹ von heftigen Auseinandersetzungen begleitet.
Heute nutzen etwa zwei bis drei Prozent der Radiohörer diese Kulturprogramme, und auch sie nutzen sie inzwischen weitgehend nebenbei. Einschaltangebote wie das Hörspiel gibt es nur noch in den hörerarmen Abend- und Nachtstunden sowie am Wochenende – doch auch diese Programmplätze konnten der Formatierung nicht ganz entgehen. Die Situation des Hörspiels ist in den verschiedenen Sendern zwar unterschiedlich. Insgesamt aber ist die Radiokunst inzwischen zu einer Kunst für vergleichsweise wenig Radiohörer und Liebhaber geworden. Selbst die Medienkritik (KRUG 2002) sowie die Literatur- und Medienwissenschaft haben sich (lässt man die Geschichte der Anfänge einmal außer Acht) vom Hörspiel weitgehend verabschiedet. Das Hörspiel existiert heute fern der breiten Aufmerksamkeiten. Es ist vor allem eine Nischenkunst.
HÖRSPIEL, HÖRBUCH, PODCAST
Doch die bundesdeutsche Hörspielszene ist durchaus in Bewegung. Neben den Veränderungen in den linearen Radioprogrammen auf Ultrakurzwelle und DAB+ haben die neuen digitalen Möglichkeiten zur programmunabhängigen Nutzung die Ästhetik und Machart der Hörspiele verändert. Das Hörbuch ermöglichte erstmals den gezielten Kauf der nun mit ISBN ausgestatteten Hörbücher (mit dem Inhalt ›Hörspiel‹) im Buchladen. Das Internet ermöglichte neben dem lokalen UKW-Radiokonsum weltweiten Empfang über Computer, Laptop, Smartphone. Und es ermöglichte technisch einfaches, automatisiertes und oft kostenloses Herunterladen von Hörspielen. 2005 stellte MDR Figaro Friedrich Schillers Kabale und Liebe in einer Neuinszenierung 14 Tage zum kostenlosen Herunterladen ins Netz, es gab rund 30.000 Downloads. Beim WDR riefen 18.000 Personen ein erstes, probeweise ins Netz gestelltes Hörspiel ab – und damit »sehr viel mehr, als normalerweise Hörer über UKW ein solches Angebot nutzen. Die Redaktion freut sich natürlich. Aber jeder Abruf lässt es auch bei uns in Form der Serverkosten klingeln« (PIEL 2007).
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