Mit unseren Vater konnten wir viele aufregende Sachen erleben. Ich erinnere mich als er sich zu seinem 50. Geburtstag eine Reise zur Drachenflugweltmeisterschaft nach Hawaii schenkte. Beim Zwischenstopp in LA wollte er einen seiner Träume erfüllen: einmal verbotenerweise mit seinem Drachen über die Golden Gate Bridge zu fliegen. Er war eben ein Abenteurer. Am Landeplatz warteten die Freunde, packten Horst und Drachen ins Auto und nix wie weg – da hörten sie schon die Sirenen der Polizei. Dann gewann er auch noch die Weltmeisterschaft in Hawaii, na ja da war er auch der einzige in seiner Altersklasse! Alle anderen Teilnehmer waren locker 20-30 Jahre jünger.
Das schönste Erlebnis mit meinem Vater war im Skiurlaub in der Nähe vom Schloss Neuschwanstein. Ich war dort mit einer internationalen Austauschgruppe mit ca. 25 Leuten aus ganz Europa zum Skifahren. Tagsüber Skifahren und abends Party. Eines Abends, ich saß in der Runde und war am flirten mit einem Holländer, als ein Fremder in den Partyraum eintrat.
Alle schauten zu ihm, er nahm mich an der Hand und forderte mich zum Tanz auf. Ich war so sprachlos und alle schauten uns zu. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder schimpfen sollte, denn der Fremde war mein Vater. Einmal ohne Eltern Urlaub machen und er hatte richtig Spaß daran, so zu tun, als wäre er mein Freund. Man konnte es auch glauben, denn er sah super gut aus für sein Alter und wirkte locker 15 Jahre jünger, er war zu der Zeit 55 Jahre alt. Als ich mich wieder zu meinen Freunden setzte und sie aufklärte, waren sie erstaunt, dass ich so einen tollen Vater habe. Wir feierten alle bis in die tiefe Nacht hinein.
Am nächsten Morgen fuhren wir alle Ski und hatten eine tolle Aussicht auf das Schloss Neuschwanstein. Als wir wieder auf dem Berg waren, stand da plötzlich mein Vater mit Ski und seinem Drachen. Er wollte doch tatsächlich hier fliegen und auf den Ski landen. Er hatte nur kurz zuvor den Schneepflug gelernt, also er war totaler Anfänger im Skifahren. Was war das für ein wundervoller Anblick, mein Vater in der Luft Richtung Schloss Neuschwanstein, dass er umflog und unten auf einem Platz landete, wo wir uns danach alle trafen.
Später, als ich während meiner Ausbildung meinen ersten Urlaub in Tunesien verbrachte, las ich in der Bildzeitung, dass ein deutscher Drachenflieger namens Horst Sauer in Österreich in den Alpen abgestürzt sei. Es klang so dramatisch, dass ich annahm, das er tot sei. Ich rief sofort zu Hause an, aber er lag zum Glück nur mit gebrochenem Bein im Krankenhaus. Dieser Verrückte!
Inzwischen hatte sich meine Mutter von ihm getrennt und war in ihre Heimatstadt Berlin zurückgekehrt. Dort lebte auch ihre beste Freundin Christin, die sie seit 1975 kannte und die sich im evangelischen Feriendorf Mauloff im Hintertaunus kennengelernt hatten. Beide ließen sich auf eine Warteliste setzen, viele Jahre vor ihrer Rente für das Seniorenheim Johannis Stift im Spandauer Wald. Die Liste war lang und sehr begehrt, denn das Stift hat eine besondere Lage mitten im Wald, eine Oase in Berlin-Spandau. Beide hatten später auch noch das Glück, dass sie nur wenige Meter auseinander in den Wohneinheiten leben durften, bis heute. Mein Vater zog meine noch minderjährigen Geschwister auf. Ich hatte meine Ausbildung beendet, machte meinen Führerschein und fuhr oft nach Hause, um mich auch um meinen Bruder und meine Schwester zu kümmern.
Jahre später, nach dem Mauerfall, Deutschland war vereint und mein Vater war gerade Rentner geworden. War er einer der Ersten, die rübergingen, während die meisten ehemaligen DDR-Bürger zu uns in den Westen kamen. Er zog nach Laucha bei Naumburg, um sich den Traum einer Drachenflugschule zu erfüllen. Er lernte in kürzester Zeit die Menschen aus der Umgebung kennen und die ihn und waren begeistert von der Idee. Er organisierte viele Veranstaltungen rund ums Fliegen und es kamen Begeisterte aus ganz Deutschland dort hin. Bei Laucha fand er einen stillgelegten Flughafen der FDJ (davor der HJ). Dort entstand, Dank meines Vaters, ein Drachenflug-Domizil und Treffpunkt vieler Flieger. Er lernte auch eine neue Frau kennen. Ich war damals so empört, da sie 28 Jahre alt war und er 65 Jahre.
Und kurz darauf sollten wir ein neues Geschwisterchen bekommen. Meine, unsere Halbschwester Mandy, ist heute erwachsen und hat inzwischen auch schon eine eigene Familie.
Mein Vater erreichte im Bezirk Naumburg in kürzester Zeit einen gewissen Bekanntheitsgrad, da er den Menschen half mit den Anträgen und dem Formularwahnsinn zurechtzukommen. Er organisierte einen Malkreis in seinem Haus, wofür er eigens eine Galerie geschaffen hatte.
Seine Bilder wurden sogar in der Bank von Naumburg ausgestellt. Dort veranstaltete er auch Vernissagen für den Malkreis. Seine Frau trennte sich vor einigen Jahren von ihm und er flog seitdem immer weiter. Bis vor 12 Jahren, als er mehrmals und recht kurz hintereinander abstürzte.
Er sah und hörte zunehmend schlechter, rauchte aber in der Luft noch sein geliebtes Pfeifchen und einen Getränkehalter hatte er auch am Trapez angebracht. Er hatte an seinem Trapez, die soggenante Lenkstange des Drachens, sich eine echte Luxus Komfort Zone eingerichtet. Einen Dosenhalter und einen Halter für seine Pfeife und für alle wichtigen Utensilien, um die auch in höheren Gefilden zu stopfen und zu rauchen, so kannte man ihn.
Es sollte ihm in der Luft an nichts fehlen.
Er flog bis ins hohe Alter, ich meine wirklich hohes Alter. Die Rettungsleute kannten ihn längst, ebenso die umliegenden Krankenhäuser.
Mit 83 hatte er im Flug über seinen Lieblingsberg einen Herzinfarkt, er kam ins Krankenhaus und kurz darauf war er wieder am Himmel zu sehen. Nach dem 2. Herzanfall entzog man ihm dann die Fluglizenz, was ihn aber nicht abhielt, weiter zu fliegen.
Vom Verein der Flieger erhielt er nun Flugverbot. Aber wer kann einem Abenteurer, wie meinem Vater das Fliegen verbieten? Er flog heimlich weiter, bis er ein letztes Mal abstürzte und sein Drachen das Zeitliche segnete. Er war völlig kaputt.
Mit ca. 85 Jahren hörte er auf und kam ins nahegelegene Seniorenheim mit Blick auf seinen Flugplatz. Sein kleines Haus in Laucha musste er aufgeben, da wir ihn leider im nahegelegenen Seniorenheim unterbringen mussten. Er nannte es sein Luxusgefängnis. Zum Glück hatte er von dort aus einen guten Blick auf seinen geliebten Flugberg.
Erst vor kurzen erfuhren mein Bruder und ich, dass Horst mit 88 Jahren heimlich das Seniorenheim verließ und ein guter Freund ihn mit seinem motorbetriebenen Drachen für eine letzte Runde fliegen ließ. Horst flog bis er den letzen Tropfen Benzin verbraucht hatte und musste dann eine Notlandung irgendwo im Feld durchführen. Die Polizei brachte ihn dann zum Startplatz zurück, wo sein Freund auf ihn wartete. Diese Story erfuhren wir erst jetzt 2020.
Horst verstarb mit 91 Jahren am 22.12.2016.
Dass ich so ausführlich über meinen Vater schreibe, ist wichtig, um zu verstehen, wie ich, seine Tochter von ihm profitiert habe.
Ich war seit der Pubertät sehr verklemmt. Je freier meine Eltern sich in den späten 70er Jahren nackt bewegten, umso mehr wurde ich zugeschnürter und verklemmter. In der Schule wurde ich wegen meines bis zum Kinn zugeknöpften Kleides oder Blusen, als „Nonnenfotz“ bezeichnet. Tja ich arme Socke war echt gefangen mit meiner Körperlichkeit. Sogar in der Sauna saß ich mit Badeanzug und zog mehr Blicke auf mich, als wenn ich nackt da gesessen hätte.
Eines Tages waren meine Freundinnen Petra und Gabi und ich in der Klapper 33 in Frankfurt Sachsenhausen, der historischen Altstadt, damals ein Touristen Hotspot. Dort versackten wir bis in die späte Nacht. Die Stimmung war so ausgelassen, dass wir und mit 3 Männern wir auf die Verrücktheit kamen, noch an die Sehring-Kiesgrube zum Schwimmen zu fahren. Tolle Idee, aber ich hatte keinen Badeanzug dabei. Ich nötigte alle, erst zu mir nach Hause zu fahren, um meinen Badeanzug zu holen. Wir haben einen Umweg von ca. 15 km in Kauf genommen, extra für die verklemmte Wera. Es war toll bei 27 Grad nachts zu schwimmen. Dann aber zog ein Gewitter auf und so jung und leichtsinnig wir waren, blieben wir trotzdem im Wasser. Erst als die Blitze mehrmals in unserer Nähe einschlugen, packten wir panisch die Sachen und fuhren nach Hause.
Читать дальше