1972 bekam die Familie erneut Zuwachs. Alexander Otto Fischer wurde am 29. März geboren. Bis zum Ende des siebten Monats ihrer Schwangerschaft stand Helga Hemala-Fischer auf der Bühne. Eine ihrer letzten Aufführungen war die Titelrolle im Schneewittchen. Während sie im gläsernen Sarg lag, die Hände auf dem Bauch gefaltet und bemüht, den Bauch beim Atmen kaum sichtbar zu heben oder zu senken, machte sich Alexander in ihrem Inneren gerne bemerkbar. „Der achte Zwerg“, sagt sie mit einem Lachen.
Als sie 1980 noch einmal schwanger wurde, behielt Helga Hemala-Fischer es vorerst für sich. Einzig die mittlerweile zehnjährige Tochter Claudia machte sie zu ihrer Vertrauten. Ließ sie den Kopf an ihren Bauch legen und das Baby spüren. Helga wollte die Schwangerschaft und das aufkeimende Muttergefühl einfach nur genießen, ohne stets an ihre Bühnenverpflichtungen, die sie sowieso wahrnahm, erinnert zu werden. Sie wartete lange. Erst als sie während einer Aufführung einen Kostümwechsel verneinte, in dem Bewusstsein, dass ihr das erforderliche Kleid nicht mehr passen würde, waren alle im Bilde. Am 11. August 1980 wurde Barbara Lucia Fischer geboren.
Helga Hemala-Fischer hat auf ihren Mann zählen können. „Wenn ich im Ballettsaal zu unterrichten oder zu choreographieren hatte, hat Adi in dieser Zeit die Kinder versorgt.“ Hatten beide Aufführungen, wurden die Kleinen einfach ins Theater mitgenommen, wo sie in der Kostümschachtel hinter der Bühne schliefen. Helga und Adi hatten immer versucht, den Spagat zwischen Bühne und Elternrolle zu meistern.
Anfangs in Eggenfelden zu Hause, zog die Familie schließlich nach Hebertsfelden, wo Helga Hemala-Fischer heute noch wohnt. Ihre drei Kinder leben in Wien und in München und sind mittlerweile alle in künstlerischen Berufen tätig. Claudia ist Sängerin und Regisseurin, Alexander arbeitet als Musik- und Tanzpädagoge sowie als Zauberer und Barbara hat sich der Kunst des Malens verschrieben.
Ein Ort, um die Sorgen hinter sich zu lassen
1965 begann für Helga Hemala-Fischer beruflich ein zusätzliches Kapitel. Es war die Geburtsstunde ihrer Ballettschule, in der sie heute noch jeden Werktag zugegen ist, unterrichtet und Aufführungen organisiert.
Auf dem Spielplan des Theaters an der Rott stand im September 1965 die Operette „Rose von Stambul“ von Leo Fall. Für die Choreographie brauchte Helga Hemala-Fischer junge Balletttänzerinnen. Woher nehmen? Helga sah sich in den örtlichen Gymnastikgruppen des Turnsportvereins um, wählte die Begabtesten aus und studierte mit ihnen die Tänze ein. Es war der Beginn eines Triumphzugs. Durch Helga Hemala-Fischer entstand ein Ensemble, das in den folgenden Jahren in Opern, Operetten, Musicals, Märchen und Ballettabenden eingesetzt werden konnte.
Helga Hemala-Fischer inmitten des Ensembles für die Operette „Rose von Stambul“, die für September 1965 auf dem Spielplan des Theaters stand. Für die Choreographie brauchte Helga Hemala-Fischer junge Balletttänzerinnen – der Beginn ihrer Ballettschule.
Gegenüber dem Theatergebäude wurde in einem ehemaligen Sitzungssaal des Landratsamtes ein großer Ballettsaal mit Spiegel errichtet. Hier begann Helga Hemala-Fischer, Unterricht zu geben. Es war der Grundstein dafür, dass Eggenfelden eine Anlaufstelle für Ballettbegeisterte wurde. Manche Schüler nahmen Fahrten von bis zu 50 Kilometern auf sich, um nach Eggenfelden ins Training zu kommen. „Ich kann vieles vermitteln, weil ich das Glück hatte, selber so viel lernen zu dürfen“, sagt Helga Hemala-Fischer. Das Besondere an ihrer Schule ist die Tatsache, dass Bühnenauftritte stets fester Bestandteil des Programms waren. Ob Groß oder Klein, alle wurden in Märchenaufführungen, Operetten und Ballettabenden eingesetzt. Klassisches und Modernes standen auf dem Spielplan. Ein „Nussknacker“ von Tschaikowsky ebenso wie Prokofjews „Peter und der Wolf“ oder Mozarts „Kleine Nachtmusik“. „Wir führten Werke wie ‚Die Puppenfee‘, ‚Coppélia‘ oder ‚Ein Amerikaner in Paris‘ auf“, erzählt Helga Hemala-Fischer. „All unsere Ballettabende – und das war das Außergewöhnliche – wurden von den Münchner Symphonikern in großer Orchesterbesetzung begleitet.“
Das Theater an der Rott und die Ballettschule profitierten wechselseitig voneinander. Zwischen Fotobüchern und alten Programmheften zieht Helga Hemala-Fischer ein besticktes Tuch heraus. Wer von Ballett nichts versteht, sieht eine kurios anmutende Anordnung von weißen Strichen und Kreuzchen auf blauem Untergrund. Es ist die Choreographie eines Tanzes, welche die Schüler der Lehrerin als Dankeschön auf eine Decke gestickt haben. Helga Hemala-Fischer hat immer Handlung in Tanz verwandelt. „Musik ist für mich Bewegung.“ Diese Gabe hat ihr viele Einsätze auch außerhalb von Eggenfelden beschert. Choreographieren zählt heute noch zu ihrer großen Leidenschaft. „Von da drin muss es kommen“, bekräftigt sie und legt ihre Hand auf die Brust. „Das Herz ist das Wichtigste.“
Ein Ort, an dem man einfach sein darf, und die Sorgen vor der Tür lässt – so sieht Helga Hemala-Fischer ihre Ballettschule. „Kommst du, weil du möchtest, oder weil du geschickt wirst?“ Diese Frage ist die erste, die sie Neuzugängen stellt. Dennoch sind in ihrem Spiegelsaal alle von Herzen willkommen. Sie würde kein Kind wegschicken. Helgas Gabe besteht darin, die Stärken des Einzelnen zu erkennen und entsprechend zu fördern.
Was Helga Hemala-Fischer zu vermitteln vermag, umfasst weit mehr als nur klassisches Ballett. Jazztanz, Modern Dance, Steppen, Charakter- und Nationaltänze, Formation. In allen Sparten ist sie zuhause. So wurde Helga Hemala-Fischer beispielsweise von der Rock’n’Roll-Formation „Dancing Baloos“ 2010 um Hilfe gebeten. Während dieser gemeinsamen Zeit stand die Gruppe ganze zehn Mal auf dem Treppchen. Die Erfolge dokumentierten die Tänzer in einem Album, das sie Helga Fischer zum Andenken überreichten.
Einige von Helga Hemala-Fischers Mädchen haben den Tanz zu ihrem Beruf gemacht. Ob sie nun regelmäßig auf der Bühne stehen oder selbst Schulen eröffnet haben – Helgas Arbeit als Pädagogin trägt Früchte. Das macht sie stolz. Als Tanzlehrer seine Kenntnisse weiterzugeben, hält sie noch immer für eine sehr schöne Art, sich professionell dem Tanz zu widmen. Von einer reinen Bühnenkarriere würde sie heutzutage abraten. „Es ist ein knallhartes Geschäft geworden. Menschen werden zu Maschinen gemacht, die Technik ist wichtiger als alles andere.“ Dabei komme es nicht immer auf Perfektion an. Herz und Seele müssten dabei sein.
Der große Wert der Freundschaften
Manchmal bedauert es Helga Hemala-Fischer, die zwar via Facebook und Instagram Kontakt mit ehemaligen Schülern in aller Welt hält, dass sich Kommunikation so sehr verändert hat. Handgeschriebene Briefe zählen zu ihren größten Schätzen. Es bedeutet ihr ungemein viel, mit alten Weggefährten auf diese Art im Austausch zu stehen. Ihre Freundschaften pflegt sie über Jahrzehnte hinweg: „61 Jahre Freundschaft, ja, das gibt es wirklich!“, erzählt sie.
Viele von ihr hochgeschätzte Kollegen leben mittlerweile nicht mehr. Etwa der Wiener Dirigent und Musikwissenschaftler Professor Kurt Pahlen. Mit ihm hat sie 16 Jahre beim österreichischen Musik- und Kulturfestival Carinthischer Sommer und sechs Jahre bei den Lenker Festwochen in der Schweiz zusammengearbeitet. Pahlen würdigt Helga Hemala-Fischer in seinen handgeschriebenen Widmungen als große Künstlerin. Sein Lexikon über die Opern der Welt und viele weitere seiner gut 60 Bücher bewahrt Helga auf. „Menschen hinterlassen Spuren in deinem Herzen.“
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