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Ein Paar glühende Augen leuchteten aus der Dunkelheit des dichten Waldes. Der Hirschgott beobachtete das große Haus. Hinter den Fenstern brannten noch vereinzelte Lichter, und es bewegten sich ab und zu Schatten hinter dem Glas. Das Monstrum witterte die Menschen, die sich vorhin um sein vermeintliches Opfer gekümmert hatten. Connullus hatte dem Befehl seines Herrn Folge leisten müssen, aber jetzt würde er seinen Blutdurst stillen. Die weiße Gestalt stapfte auf das Hotel zu und hob sich in ihrer Erscheinung kaum von der Umgebung ab. War der Dämon auch mit einem unschuldigen hellen Fellkleid gesegnet, so dürstete er doch nach rotem, menschlichem Blut…
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Die jungen Leute hielten sich noch in Armin Fiedlers und Babsi Wegeners Zimmer auf und tranken einen Absacker. Erst das begeisternde Spiel ihrer Mannschaft, und dann hatte es diesen aufregenden Zwischenfall einige hundert Meter vor dem Hotel gegeben. Jessica sprach Dennis an: „Ich finde das ganz schön gruselig, was dir der Wanderer erzählt hat. Glaubst du ihm?“
Der 21-jährige Krankenpfleger lachte los: „Nee, auf keinen Fall! Ein Monster im Harz? Bären sind ausgerottet. Es gibt zwar Wölfe, aber die sind scheu und vermeiden den Kontakt mit Menschen.“
„Dann hat er sich das alles nur eingebildet?“
„Weiß ich nicht. Der Mann war stark unterkühlt und nicht mehr Herr seiner Sinne. Halluzinationen können in so einer Situation bei einem Menschen schon mal auftreten. Am Mittag wissen wir vielleicht mehr. Die Leute von vorhin wollten sich ja nochmal im Wald umschauen.“
Die 17-jährige nickte. An ihren Armen hatte sich Gänsehaut gebildet. Irgendwie hatte sie ein ganz mieses Gefühl. Ihr Freund Finn drückte sie: „Dir wird schon nichts passieren. Hier im Hotel sind wir sicher.“ Dann ging der 20-jährige nach draußen auf den Balkon, um eine Zigarette zu rauchen. Das Feuerzeug flammte auf. Die einzige Lichtquelle hier draußen! Zwei Meter unter Finn erstreckte sich eine verschneite Wiese. Die Bäume des dahinter angrenzenden Waldes konnte er nur erahnen, da sich dichte Wolken vor den Mond geschoben hatten.
Der Bankkaufmann-Azubi zog an seiner Kippe und inhalierte den Rauch tief. Dabei bemerkte er nicht die astähnlichen Sprossen, die sich am Balkon hinaufschlängelten. „Die frische Luft tut gut! Ihr müsst auch mal nach dr…“ Bauers Stimme erstarb in diesem Moment, als sich eine drei Zentimeter dicke Geweihspitze in sein linkes Auge bohrte und auf der anderen Seite aus dem Schädel wieder heraustrat. Wie ein Alien-Arm tanzte das blutverschmierte Gebilde durch die Luft, während das ausgelaufene Sehorgan auf den Steinboden klatschte. Babsis schriller Schrei durchdrang den Raum. Der Wanderer hatte Recht. Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu . Die 20-jährige stürzte in ihrer Panik Richtung Zimmertür.
Derweil hob der holzähnliche Greifarm Finn Bauer spielend einfach in die Höhe. Kleinere Sprossen hatten sich dabei um den Kopf des jungen Mannes gewunden. Dann knackte das Genick und der Schädel riss einfach so ab. Aus dem Hals schoss schwallartig Blut und flute den Boden unter der zusammensackenden Leiche. Doch schon waren neue Geweihabsonderungen zur Stelle und packten das, was vom jungen Mann noch übrig war und zogen es über das Geländer. Sein Torso wurde eins mit dem Geweih, als die Auswucherungen den Körper absorbierten.
Nun baute sich das über vier Meter hohe Monstrum vor dem Balkon auf. Die Eishockey-Fans sahen in das schreckliche Antlitz der Kreatur, die mit ihren glühenden, aber toten Augen die Menschen fixierte. Das wird heute noch ein Festmahl geben . Die riesigen Kiefer öffneten sich wie bei einem Raubsaurier. Dann legten die Geweiharme den Kopf des Toten dazwischen. Der Hirschgott biss mit seinen gewaltigen Zahnreihen zu. Bauers Schädel zerplatzte. Kurz darauf floss ein gräulich-roter Brei aus dem Maul des Monsters.
Entsetzt und in Todesangst schob sich der geschockte Rest der Clique zur Zimmertür, die Babsi bereits hinter sich gelassen hatte. Die rannte währenddessen schreiend durch den Flur, so dass sich einige Türen der naheliegenden Zimmer öffneten. Neugierige Hotelgäste schauten in den Korridor und wollten wissen, was los war.
Mittlerweile breiteten sich weitere Auswüchse des Monsters blitzschnell im Zimmer aus, versperrten den Ausgang zum Hotelflur und griffen nach Jessica Blumfeld. Während die anderen Hannoveraner „nur“ in der Falle saßen, hatte sie als Vorderste keine Chance, der Kreatur zu entkommen. Die hölzernen Tentakel bekamen die 17-jährige problemlos zu fassen.
Für das Monstrum war es bei seiner Größe ein Leichtes, den Balkon zu erklimmen. Das tat es jetzt von seinem Blutdurst getrieben. Mit brachialer Kraft durchschlug der Hirschgott mit seiner Statur das Geländer und drängte sich mit dem massigen Körper in das Hotelzimmer. Dabei splitterte das Glas der nebenliegenden Fensterscheiben, denn das Untier war einfach zu groß. Parallel zu seiner Vorgehensweise drangen die knöchernen Sprossen in den Oberkörper des Mädchens und teilten die Hautschichten auseinander. Die scharfen Zacken hatten dabei eine Aorta getroffen. Eine Blutfontäne ergoss sich im Raum und besprenkelte die jungen Leute; aber auch das Monster, welches jetzt gekrümmt über Jessica stand, da es für die Raumhöhe einfach zu riesig war. Die Sterbende schrie wie am Spieß, als ihre Gedärme heraustraten und auf den Zimmerboden klatschten. Connullus röhrte grausam. Dann riss er mit seinen Krallen das Herz aus dem Brustkorb und verleibte es sich in sein furchtbares Maul.
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Tim und Marty hielten sich gemeinsam in einem der gebuchten Hotelzimmer auf. Man wollte noch auf die Freunde warten. Alles war bisher ruhig geblieben, bis die Beiden plötzlich eine hysterisch schreiende Frauenstimme vernahmen.
Berger baute sofort Körperspannung auf. Sein Blick wanderte zur X-1, seiner Dienstwaffe, die im Halfter an der Garderobe hing. Nur Sekundenbruchteile später drangen polternde und klirrende Geräusche durch das gekippte Fenster an die Ohren der Zwei. Tumult und Geschrei auf dem Gang nahmen zu. Was zur Hölle …? Die Männer sprangen aus ihren Sesseln. Der Göttinger riss die Smith & Wesson vom Haken, schob ein Ersatzmagazin in die Hose seiner Jeans und trat in den Korridor, während ihm Marty Anders folgte.
Völlig aufgelöst und unter Tränen kam ihnen Babsi Wegener entgegen, die in Richtung der Räumlichkeiten ihrer Freunde deutete. Zu sprechen war sie anscheinend nicht in der Lage. „Schnell mit dir ins Zimmer!“ Berger schob die 20-jährige augenblicklich in sein Appartement. „Und schließ ab!“ Dann rannten die Männer den Gang hinunter. Am anderen Ende waren die Hannoveraner untergebracht.
Martys Blick fiel auf die Deko an den Wänden. Das Hotel legte wohl Wert auf Harzer Traditionen. Neben uralten Pickeln hing auch ein Fäustel aus längst vergangenen Bergbau-Zeiten im Gang. Den schnappte sich der 35-jährige. Die Zeit war reif, dass der Elbstone-Man zurückkehrte!
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Ein furchtbares Szenario offenbarte sich den Freunden, als sie in den Raum starrten. Fast schien dieser Moment einem Alien-Film mit einer Kreatur von H. R. Giger entsprungen zu sein. Der Dämon nahm mit seiner Gestalt nahezu das ganze Hotelzimmer ein. Die Ausläufe seines Schädels tanzten imaginär durch den Raum und schienen auf weitere Menschenopfer aus zu sein. Leichenteile schwammen in einem See aus Blut. Über alldem thronte eine grausige Gestalt, die sich nun über die Hannoveraner hermachen wollte.
Berger feuerte mit seiner Waffe durch einen Wirrwarr aus holzähnlichen Gebilden, die aus dem Kopf der Kreatur wuchsen. Die Silberkugel schlug in den muskulösen Oberkörper des Monsters ein. Doch anscheinend hatte der 40-jährige das falsche Geschoss im Magazin: Connullus wurde zwar durch die Wucht zurückgeschleudert, doch erhielt er davon keinen sichtbaren Schaden. Fuck! Wieder die falsche Munition gewählt! Ich hätte es von vorherein mit dem Implosionsgeschossen versuchen sollen. Ich bin echt ein Honk!
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