„Und der Mann sprach von einem Monster? Wo trafen er und diese Jasmin auf es?“, hakte Jana nach.
„Der Verletzte faselte etwas von den sogenannten Schnarcherklippen , wo sie wohl zuvor waren. Aber ob es da passiert ist? Keine Ahnung!“
„Es ist unwahrscheinlich, dass die Freundin noch lebt. Aber wir dürfen nichts außer Acht lassen“, äußerte sich Henning Sturm gegenüber seiner Kollegin. „Ich informiere Pete Saunders. Wir werden hoffentlich einen Suchtrupp zusammengestellt bekommen. Mit dem werden wir das Gebiet notdürftig durchkämmen, nachdem wir uns im Hotel ein paar andere Klamotten angezogen haben, Jana.“ Er sprach die Schlachtenbummler an: „Wo wolltet Ihr Jungs und Mädels denn eigentlich hin?“ Döring erklärte es ihm. „Das trifft sich ja gut. In dem Hotel sind wir auch untergebracht.“ Der Blick des EPO-Agenten wanderte zu seinen Freunden. „Tim und Marty! Ihr bleibt bei den Hannoveranern in der „Schöne Aussicht“. Ist mir lieber, wenn wenigstens ein Superheld bei ihnen ist, der meinen schießwütigen Freund notfalls unterstützen kann, falls Gefahr droht.“ Marty grinste stolz. Berger klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Im Moment war jede Hilfe willkommen.
Sturm ging zu dem Sani-Team und stellte dem behandelnden Arzt einige Fragen. Dann nickte er und kam zurück. „Und du, Pauline, fährst mit Jaqueline nach Wernigerode ins Krankenhaus. Der Verletzte heißt Julian Reinhold und wird gleich dorthin gebracht. Er wird schon auf der Fahrt stabilisierende Infusionen erhalten. Ich hoffe, dass er bald so fit ist, dass du ihn nochmal befragen kannst. Wahrscheinlich liegen wir dann spätestens in zweieinhalb Stunden in unseren Betten.“ Der Geisterjäger schaute auf seine Rolex, während Jaqueline sich auf ein neues Abenteuer freute. Es war gerade kurz nach Mitternacht.
Berger bewunderte das Organisationstalent seines Freundes und wie er in kritischen Situationen stets kühlen Kopf bewahrte. Doch, dass der Deutschdäne mit seinem letzten Satz Unrecht haben sollte, konnte auch der Göttinger Hauptkommissar nicht ahnen.
Saunders hatte mal wieder alles perfekt in die Wege geleitet. Noch auf dem Weg zum Hotel hatte Sturm mit ihm telefoniert. Seitdem war eine halbe Stunde vergangen, und schon standen zwei ortskundige Polizisten im Empfangsbereich und warteten auf die beiden EPO-Agenten.
Nachdem sie sich miteinander bekannt gemacht hatten, begaben sich die Vier in ihrer Winterbekleidung auf den Weg. Kurz hinter der Einbiegung zum Resort führte ein Wanderweg in den Wald hinein. Ein Schild wies nach Schierke und Elend. Unter den Ortsbezeichnungen stand Schnarcherklippen .
Zum Glück war das Schneegestöber an dieser Ecke vorbeigezogen. Jana Sommer konnte die Fußspuren im weißen Boden deutlich ausmachen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von Julian Reinhold stammten. Breitflächig schritten die Vier unter Einsatz von Taschenlampen den Pfad entlang.
Der Schrei einer Eule erklang entfernt und sorgte nicht nur bei den Polizisten für ein mulmiges Gefühl. Ansonsten passierte auf den nächsten eineinhalb Kilometern nichts Außergewöhnliches. Doch dann erkannte A-Girl etwas: Weiter vorne befand sich im Schein des Mondlichts ein Haufen. Ihre Schritte wurden schneller. Dann fiel der Lichtschein ihrer Lampe auf das Objekt. Es handelte sich um Bekleidung; dem Anschein nach von einer Frau. Sommer hob mit spitzen Fingern die rotdurchtränkten, zerfetzten Textilien an. Was hat das zu bedeuten? Jetzt waren auch die Männer da.
Henning Sturm fielen sofort die Hufspuren im Schnee auf. Entweder war hier vor kurzem noch ein riesiges Tier aktiv gewesen oder es handelte sich womöglich doch um ein Monster. Der 43-jährige tendierte eher zur zweiten Variante. Sturm tunkte seinen Daumen in den dunklen Fleck. Er roch. Hier handelte es sich nicht nur um Blut. Ein bräunliches Gemisch aus Fäkalien und Urin klebte an seinem Finger. Einer der Polizisten übergab sich angewidert.
*
Am helllichten Tag würden die Fundstücke womöglich nicht mehr hier sein. Dafür wimmelte es im Harz von zu vielen Raubtieren, die sich auch bei dieser eisigen Kälte auf Nahrungssuche begaben. Die Kleidung musste schnellstmöglich in der Göttinger Gerichtsmedizin untersucht werden. Der EPO-Agent verstaute sie in einem mitgebrachten Plastikbeutel. Er nahm auch eine Probe von dem schmutzigen Schnee.
Während die Polizisten die Fundstelle notdürftig mit Zweigen und mitgebrachtem Absperrband fixierten, untersuchten die Agenten den Boden im Umfeld. Die Hufspuren verschwanden irgendwo im Gehölz. Auf dem Waldboden befanden sich dagegen in Richtung Schnarcherklippen Rillen, als ob diese jemand mit Zweigen verursacht hatte. Dazwischen war der Schnee auf einer Länge von zwanzig Metern herabgedrückt. Knapp daneben konnte man die Fußspuren von einer Person ausmachen. Hinter dieser Distanz erkannte Jana zwei Schuhpaare. „Das Wesen hat hier Jasmin Schmidt attackiert und sie bis dort vorne, wo wir die Bekleidung gefunden haben, hingeschleift. Es kann gar nicht anders sein! Die Spuren neben dem heruntergedrückten Schnee dürften von Reinhold sein. “
„Gut kombiniert, A-Girl. Aber ich sehe keine Hufspuren in dem Bereich bis zum Fundort. Haben wir es hier mit Mr. Fantastic von den Fantastischen Vier zu tun?“ Sturm grinste sarkastisch.
Die Kollegin fand das gar nicht witzig. Sie packte Henning mit einer Hand am Kragen und hob den 1,90 großen Hünen wutentbrannt in die Höhe, als ob es sich bei ihm um eine Feder handele. Dann schleuderte sie den Überraschten mit Leichtigkeit einige Meter weit zwischen die Bäume, wo er im tiefen Schnee weich fiel. Die beiden Polizisten guckten die Wutschnaubende verdutzt an. „Wolltet Ihr auch noch einen fachlichen Kommentar abgeben? Nur zu. Bin gerade gut drauf!“
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Man lag gut in der Zeit, auch wenn man derzeit noch auf dem Rückweg zum Hotel war. Die Polizeibeamten erklärten sich bereit, die Proben unverzüglich nach Göttingen zu überführen.
Pauline hatte sich zwischenzeitlich telefonisch bei Sturm gemeldet. Sie war durch einen besonderen Ausweis der EPO befugt, über dem Gesetz aktiv zu werden. War das in diesem Fall zuvor auch etwas schwierig gewesen, da die zuständigen Ärzte den Patienten absolute Ruhe verordnet hatten, durfte sie aufgrund dessen dann doch den Patienten befragen. Reinhold befand sich auf dem Weg der Besserung. Inzwischen hatte er ihr seine Erlebnisse ausführlich geschildert. Laut seinen Aussagen tötete ein hirschähnliches Ungeheuer die Freundin. Seine Beschreibung ihrer Kleidung deckte sich mit den gefundenen Sachen im Wald. In Folge hatte sich die intelligente Bibliothekarin die Kontaktdaten von Jasmins Eltern geben lassen. Mit Sicherheit besaßen sie DNA von ihrer Tochter, und sei es nur eine Haarlocke oder ein Milchzahn aus Kindertagen, die sich mit dem Fund vergleichen ließe. Im Laufe des folgenden Tages würde sich deshalb ein Beamter mit der Familie in Verbindung setzen.
Die das Telefongespräch mitverfolgende Jana Sommer fühlte jetzt schon mit den Hinterbliebenen, die wohl bald die Todesnachricht von ihrer Tochter erhalten würden, war sie doch selbst in der Vergangenheit von schicksalhaften Ereignissen nicht verschont geblieben. Jetzt galt es aber vorerst, Julian Reinhold wieder aufzupäppeln und im Anschluss psychologische Hilfe zu gewähren. Noch stand er laut Pauline unter Schock. Schon bald würde der 24-jährige erst so richtig realisieren, dass der geliebte Mensch aus seiner Mitte nie mehr zurückkehren würde.
Mit Pete Saunders hatten die EPO-Agenten in einem weiteren Gespräch vereinbart, dass man in Begleitung eines Harz-Rangers bei Tageslicht das Areal erneut ablaufen würde. Somit fiel der geplante Skilanglauf definitiv aus. Aber vielleicht konnte man den an einem anderen Tag nachholen…
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