4.3.2 Addendum für neue NPLs
Nachdem die EZB nach Ende der Konsultation zum NPL-Addendum auf ihre Annahme verzichtete, legte sie nur einen Tag nach dem Kommissionsvorschlag für eine Verordnung zum NPL-Backstop, also am 15.03.2018, ihre finale Version des Addendums vor (vgl. Abschnitt 4.1). [40]
Das Addendum konkretisiert den NPL-Leitfaden und legt die Erwartungen der EZB bezüglich des Ausmaßes an aufsichtlicher Risikovorsorge der Banken für NPLs dar. Wie schon der Leitfaden ist das Addendum „nicht verbindlich“ und gilt nur für die direkt von der EZB beaufsichtigten „bedeutende Institute“. [41]
Wohl vor dem Hintergrund des vorangegangen Kompetenzstreits (vgl. Abschnitt 4.1) betont die EZB erneut, dass das Addendum „geltende regulatorische Anforderungen oder Rechnungslegungsanforderungen nicht ablöst oder ersetzt.“ [42]Auch die Verordnung zum NPL-Backstop geht indirekt auf das Verhältnis mit dem EZB-Leitfaden ein. Die Verordnung „sollte die zuständigen Behörden [hier: die EZB] nicht daran hindern, ihre Aufsichtsbefugnisse […] auszuüben. Stellen die zuständigen Behörden im Einzelfall fest, dass die notleidenden Risikopositionen eines bestimmten Instituts trotz Anwendung der durch diese Verordnung eingerichteten aufsichtsrechtlichen Letztsicherung für notleidende Risikopositionen nicht ausreichend gedeckt sind, können sie von ihren […] Aufsichtsbefugnissen Gebrauch machen, einschließlich der Befugnis, Instituten eine bestimmte Rückstellungspolitik oder eine bestimmte Behandlung ihrer Aktiva vorzuschreiben.“ [43]
Ähnlich wie bei der Verordnung zum NPL-Backstop gilt das EZB-Addendum nur für neue NPLs, nicht aber für den Bestand an NPLs. Die EZB nutzt dabei allerdings eine andere Definition als der EU-Gesetzgeber. Während die Verordnung nur solche Risikopositionen betrifft, die nach dem 26.04.2019 begründet wurden – und entsprechend später notleidend wurden – findet das EZB-Addendum Anwendung auf alle Risikopositionen, die ab dem 01.04.2018 als notleidend eingestuft werden. Der Geltungsbereich des EZB-Addendums ist damit deutlich weiter gefasst (vgl. Tabelle 2).
Tabelle 2:Erwartungen der EZB bezüglich der Mindestdeckungshöhen bei NPLs
Jahr nach Einstufung als NPL |
0 |
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
6 |
7 |
8 |
9 |
Unbesicherte NPLs |
0% |
0% |
100% |
100% |
100% |
100% |
100% |
100% |
100% |
100% |
Besicherte NPLs |
0% |
0% |
0% |
40% |
55% |
70% |
85% |
100% |
100% |
100% |
Die Erwartungen der EZB erweisen sich strenger als die Anforderungen der Verordnung (vgl. Abbildung 5). Der EU-Gesetzgeber weist darauf hin, dass es möglich ist, dass „zuständige Behörden im Einzelfall über die Anforderungen dieser Verordnung hinausgehen, um eine ausreichende Deckung notleidender Risikopositionen zu gewährleisten“. [44]
Abbildung 5:EZB-Erwartungen und die Anforderungen der Verordnung im Vergleich
Quelle: EZB-Addendum und Verordnung (EU) 2019/630
Die EZB will die Einhaltung ihrer Erwartungen im Rahmen eines jährlich stattfindenden SREP-Aufsichtsdialogs (Supervisory Review and Evaluation Process) prüfen. Die Banken müssen daher erst ab 2021 die Kapitaldeckung melden, welche den Erwartungen der EZB für unbesicherte NPLs nicht genügen.
Sowohl die Verordnung zum NPL-Backstop als auch das EZB-Addendum richten sich – wenngleich mit Abweichungen im Detail – an neue NPLs. Den derzeit teilweise sehr hohen Bestand an NPLs in der EU adressieren sie nicht. Die im Kontext von Bankenunion und ESM-Review immer wieder betonte Notwendigkeit einer Risikoreduzierung können beide Initiativen daher kaum leisten.
In einer Pressemitteilung vom 11.07.2018 kündigte die EZB „weitere Schritte beim aufsichtlichen Ansatz“ auch für den Bestand an NPLs an. [45]Erneut gerichtet an die direkt beaufsichtigten „bedeutende Institute“ äußert die EZB das Ziel, „mittelfristig dieselbe Deckung für NPL-Bestände und neue NPL zu erreichen.“ [46]
Wie bereits beim Addendum arbeitet die EZB dabei mit „bankspezifischen aufsichtlichen Erwartungen“ zur adäquaten Risikovorsorge für NPL-Altbestände. Diese Erwartungen werden im Dialog mit den einzelnen Banken festgelegt und basieren auf einem Benchmarking mit vergleichbaren Banken.
Auch wenn dies einer deutlichen Verschärfung der Erwartungen der Aufsicht gleichkommt, gilt dies vorerst nur für die direkt von der EZB beaufsichtigten Institute, also in aller Regel für große Institute. Die Masse an ausstehenden NPLs befindet sich jedoch in den Bilanzen von kleinen und mittelgroßen Banken (vgl. Abschnitt 3). Diese werden i.d.R. von den nationalen Behörden beaufsichtigt. Ob diese die Erwartungen der EZB zur NPL-Risikovorsorge übernehmen werden oder die EZB vermehrt von ihrem Selbsteintrittsrecht [47]Gebrauch machen wird, bleibt abzuwarten.
5 EU-Regulierung des NPL-Sekundärmarkts
5.1 Sekundärmarkt-Richtlinie
Schon im Aktionsplan für den Abbau notleidender Kredite in Europa vom 11.07.2017 verlangte der Ministerrat von der EU-Kommission, bis Sommer 2018 eine EU-Strategie für die Entwicklung von Sekundärmärkten zu entwickeln und Hindernisse für die Übertragung der Kredite auf Nichtbanken abzubauen. Daraufhin schlug die EU-Kommission am 14.03.2018 eine Richtlinie über Kreditdienstleister, Kreditkäufer und die Verwertung von Sicherheiten vor. [48]
Ziel der Richtlinie ist es, die Entwicklung von NPL-Sekundärmärkten in der EU zu beschleunigen, um den hohen NPL-Bestand zu verringern und eine erneute, künftige NPL-Erhöhung zu verhindern. [49]
Obwohl die EU-Kommission, der Rat und das Europäische Parlament die – damals noch nicht vorgeschlagene – Richtlinie zu den NPL-Sekundärmärkten am 14.12.2017 zu einer Priorität für die Jahre 2018/2019 erklärten, [50]blieb die Annahme der Richtlinie noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 aus. Auch bis November 2020 wurde die Richtlinie nicht angenommen.
Der Kommissionsvorschlag umfasst einerseits Regeln für Kreditdienstleister und Kreditkäufer (Sekundärmarktteil) sowie andererseits ein Verfahren für die außergerichtliche Verwertung von Sicherheiten (Accelerated Extrajudicial Collateral Enforcement (AECE)). Aufgrund der Tatsache, dass v.a. der Rat letzteres durchaus kritisch sah, wurden beide Teile formell voneinander getrennt. Dies sei angemessen, „da es dringend notwendig ist, die Entwicklung eines gut funktionierenden Sekundärmarktes für notleidende Kredite zu unterstützen“. [51]
Am 27.03.2019 nahm der Rat seine Verhandlungsposition zum Sekundärmarktteil der Richtlinie an. [52]Erst am 27.11.2019 konnte sich der Rat auf eine Verhandlungsposition zum AECE einigen. [53]Dem federführenden Wirtschaftsausschuss (ECON) des Europäischen Parlaments gelang es bis Anfang November 2020 nicht, sich auf eine Verhandlungsposition zu den beiden Dossiers zu einigen. Trilogverhandlungen zwischen Rat und Parlament stehen daher noch aus.
Da unklar ist, wie sich das neu gewählte Parlament positionieren wird, werden im Folgenden jeweils die Kommissionsvorschläge und die Ratsposition wiedergegeben.
Читать дальше