»Wer will das wissen?«, frage ich kritisch und kneife geblendet von der Sonne, die in diesem Moment hinter den Wolken hervorkommt, die Augen zusammen.
»Dein Date für heute Abend«, gibt er kess zurück.
Was hat er da gesagt? Perplex muss ich lachen und schüttle den Kopf. »Du träumst wohl.« Was für eine Frechheit. Für wen hält der sich? Mein Lächeln erstirbt. »Okay, jetzt mal im Ernst. Wer bist du und woher kennst du meinen Namen?«
»Paulina schickt mich«, antwortet er, wenn auch nicht auf meine Frage.
»Paulina?« Ich stemme die Arme in die Hüfte und hebe skeptisch eine Augenbraue. »Soll das ein Witz sein?«
Der Blonde lacht unsicher. »Nein. Sie hat mich geschickt, weil ich sie vertreten soll. Irgendwas mit Froschsalat soll ich dir sagen.« Er zuckt unwissend mit den Schultern.
Sofort schalte ich. Froschsalat ist unser Codewort. Wir haben da so ein Kuppelspiel. Jede darf versuchen, die andere zu verkuppeln. Ich habe Paulina gesagt, dass das bei mir sowieso keinen Zweck hat, da ich nicht interessiert bin und draußen sowieso nur Idioten rumlaufen. Da kann ich auch gleich Froschsalat essen. Das würde besser schmecken als ein Kuss von irgendeinem dahergelaufenen Typen.
»Tja, da hast du dir aber was eingebrockt«, antworte ich und setze meinen Flirtblick auf, für den ich mich eine Sekunde später schon wieder verfluche. Warum zur Hölle mache ich das? Ich meine, ja, er ist sexy, optisch der geborene Rebell, aber hallo? Ich bin Medizinstudentin. Die ab und zu mal die Sau rauslässt, höre ich Paulina in meinen Gedanken.
»Warum?«, fragt er und sieht mich irritiert an.
»Schon gut«, sage ich, und will den Typ eigentlich abwimmeln, doch irgendetwas hält mich davon ab. Ob es seine dreist-charmante Art ist, die mich aus dem Konzept bringt?
»Also?« Der Kerl guckt mich wie ein Auto an, als er auf meine Antwort wartet.
Provokativ hebe ich die Arme als hätte ich keine Ahnung, was er von mir will.
»Also, was?«, blaffe ich ihn an. »Ich kenne nicht einmal deinen Namen. Besitzt du eigentlich gar keinen Anstand, dich mal vorzustellen?« Verärgert verziehe ich das Gesicht.
Perplex guckt der Blonde mich an.
Die zwei Typen neben ihm, von dem einer groß wie ein Bär ist und eine Glatze trägt, reißen die Augen auf und lachen, als sei es das erste Mal, dass dem Blonden jemand Konter gibt.
»Ich bin Pierre?«, sagt er fragend und kneift die Augen zusammen, als ob es das Selbstverständlichste der Welt sei, dass man ihn kennt.
»Aha. Nett.« Ich rümpfe die Nase, so wie es Caterina immer macht, und verschränke die Arme vor der Brust. In was hat Paulina mich da bloß hineingezogen? Wenn ich die erwische.
»Jean Pierre Tiago«, ergänzt der überhebliche Blonde.
»Oh.« Fettnapf, komm her, ich bade heute in dir. Peinlich berührt sehe ich auf den Boden, denn der Name ist mir sehr wohl geläufig – nur hatte ich bisher kein Gesicht dazu auf dem Schirm. Der Tiago-Clan ist im Moment in aller Munde. Zumindest in denen unserer männlichen Studenten. Jeder von ihnen will so cool sein wie die Tiagos. Die großen Tiagos, die sich mit illegalen Geschäften eine goldene Nase verdienen, ausgelassene Partys feiern, teure Autos fahren und den Norden Italiens beherrschen. Ursprünglich kommt dieser Pierre wohl aus Castellar in Frankreich, aber seit Jahren sollen die Tiagos in Calandri leben, weswegen er unsere Sprache fließend spricht. Allerdings sollen sich die Tiagos oft in Mailand aufhalten. Auch ich bin zweisprachig aufgewachsen. Italienisch und Französisch – wie Pierre.
Niemand wagt es, sich mit den Tiagos anzulegen. Nicht einmal die örtliche Polizei, die wahrscheinlich gut von Pierre und Co geschmiert wird, so habe ich es jedenfalls irgendwo aufgeschnappt. Hast du mit einem Stress, hast du gleich mit allen Stress. Da kannst du direkt ein Dauer-Ticket für die Hölle buchen.
»Ist das jetzt ein Ja für heute Abend?«, fragt Pierre und bringt meine Gedanken wieder ins Hier und Jetzt zurück.
»Guck mal, bei wem die Versagerin da steht. Das gibt es doch nicht«, höre ich hinter mir die schrille Barbie-Stimme von Caterina erstaunt faseln.
Zeit, der Gans eins reinzuwürgen. Ich trete vor Pierre und sehe ihm in die hellblauen Augen. »Es wäre mir ein Vergnügen.« Ich küsse ihn auf die Wange und höre hinter mir aufgeregtes Schnattern. Sofort muss ich vor Schadenfreude in mich hineingrinsen. »Hol mich um sechs ab. Wo ich wohne, hat Paulina dir wahrscheinlich sowieso schon gesagt.«
Pierre nickt und grinst smart, während ich mich immer noch frage, was meine beste Freundin mit den Tiagos zu schaffen hat. Ob ihr neuer Freund mit ihnen zu tun hat?
Lächelnd trete ich einen Schritt von Pierre zurück, streiche mir eine Strähne meiner braunen Haare hinter das Ohr und umgreife fest die Gurte meines Rucksacks auf meinen Schultern. »Dann bis später.«
»Bis später«, gibt er zurück und zwinkert mir zu.
Innerlich total aufgeregt, doch äußerlich unbeeindruckt cool, lasse ich ihn, die Kerle und die dumme Gans Caterina hinter mir zurück und mache mich auf den Weg nach Hause.
Ich, brave Medizinstudentin, habe ein Date mit dem gefährlichsten und zugleich sexiesten Typen Norditaliens … Oh Mann, Paulina …
2. Kapitel
Gabriel
Das Palatrussardi ist brechend voll. Hoffentlich wird das Konzert die lange Anfahrt wert sein. Ewig habe ich auf diesen Gig gewartet. Um mich herum steht zwischen all den Rockern auch eine Horde Teenies, bei deren Anblick ich sofort die Augen verdrehe. Ich bin mit Anfang dreißig kein alter Sack, fühle mich aber neben ihnen wie einer.
Nachdem Antoine und ich eine geschlagene Stunde im Halbdüsteren verbracht und einige Biere gekippt haben, geht endlich das Scheinwerferlicht an. Wurde aber auch Zeit. Es folgt ein laut quietschender Soundcheck, der mir einen Schauer über den Rücken jagt wie das Kratzen an einer Schultafel. Ich blicke mich um. Wir werden vom Rauch der Nebelmaschinen eingekesselt. Zusammen mit meinem Kumpel Antoine habe ich mich in die vierte Reihe gequetscht, damit ich wenigstens eine gute Sicht auf die Bühne habe. Ich bin mit meinen 1,82 nicht klein, aber von meinem Buddy Antoine, der über 1,90 misst, halten alle um uns herum einen gebührenden Abstand. Es ist schon das zweite Nirvana-Konzert, das ich besuche. Überall um mich herum drängeln sich die Menschen. Vor uns steht ein Haufen Metaler und Rocker in zerrissenen Jeans und Holzfällerhemd. Scheinbar bin ich einer der wenigen mit Bandshirt und schwarzen Hosen. Die Teenies von vorhin haben sich in die erste Reihe gequetscht und kreischen aufgeregt.
»Oh, nein«, flucht Antoine plötzlich neben mir und deutet mit dem Finger ein paar Meter links von uns auf einen blonden Typ, der in Begleitung eines ziemlich hübschen Mädchens ist. Er hat harte Gesichtszüge, ist ein wenig kleiner als wir und uns ein Dorn im Auge. Es ist Pierre Tiago.
Dieser Maulaffe gehört zu dem Clan, der meinen Großvater vor vierzig Jahren beinahe tödlich verletzt hat und meint, er sei der größte Stecher unter der Sonne. Dabei weiß ich aus sicherer Quelle, dass sein Dogma »Kein Sex vor der Ehe« sein soll. Allerdings wette ich, dass diese Schwuchtel einfach nur auf Schwänze steht und sich mit Weibern und seinem Keuchheitsgebot schmückt, bis ihm die Eier gewachsen sind, sich zu outen. Aber da die Tiagos weder Schwuchteln noch Andersfarbige akzeptieren, wäre er am Arsch.
Auch ich habe nicht viel für Arschficker übrig. Unser Clan, die noble Vengeur, sind die Robin Hoods des 20. Jahrhunderts und im südwestlichen Teil Frankreichs ansässig. Genau wie die Tiagos damals, die eines Tages aus irgendeiner Versenkung aufgetaucht sind und anfingen, sich in unsere Geschäfte einzumischen. Die Proleten haben uns einige lukrative Waffendeals vor der Nase weggeschnappt und schon einmal versucht, ihre Drogengeschäfte über unsere Waffenfrachter abzuwickeln. Das hat uns die Zusammenarbeit mit einem unserer wichtigsten Geschäftspartner gekostet.
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