1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Sophie war entschlossen, die Gunst der Stunde zu nutzen. Am liebsten hätte sie ihre fünfzehnjährige Tochter mit dem 49 Jahre alten König von Frankreich vermählt, dem mächtigsten Monarchen des Abendlandes. Doch ihre Nichte Liselotte, die bereits mit einem Bruder Ludwigs XIV. verheiratet war, machte ihr keine großen Hoffnungen. Mit Anspielung auf die mollige Figur Charlottes schrieb sie der Tante, es habe den Anschein, »westfälischer Schinken sei nicht das geeignete Fleisch für Leckermäuler«.
So konzentrierte Sophie ihre Bemühungen auf den Witwer in Brandenburg. Schon in ihrem Kondolenzschreiben lud sie Friedrich nach Hannover ein und deutete an, dass er »hier etwas finden könnte, um sich damit zu trösten«.
Doch mehr als ein Jahr ging ins Land, bis alle Bedenken ausgeräumt waren. Am 8. Oktober 1684 schließlich fand die prunkvolle Hochzeit in Herrenhausen statt – wenig später bereitete der Große Kurfürst seiner Schwiegertochter einen triumphalen Empfang in Berlin.
Große Sorgen dagegen machte der Herzogin Sophie ein familiärer Konflikt um das Erbrecht. Herzog Ernst August nämlich hatte seinen erstgeborenen Sohn Georg Ludwig als Universalerben für das gesamte Herzogtum eingesetzt, und der zweitälteste Sohn Friedrich August sah sich um seine Rechte betrogen. »Gustchen«, wie seine Mutter ihn nannte, rebellierte gegen den Vater. Der seinerseits reagierte mit Strenge. Der Herzog, der als jüngerer Bruder einst selbst nur durch den Verzicht Georg Wilhelms nach oben gelangt war, verwies den ungehorsamen Knaben des Landes und forderte ihn auf, künftig allein für seinen Unterhalt zu sorgen. Friedrich August trat daraufhin in die Dienste der kaiserlichen Armee.
Sophie war tief bekümmert. Sie liebte Friedrich August mehr als den Erstgeborenen und litt unter der Unnachgiebigkeit ihres Mannes. Einem Vertrauten schrieb sie: »Arm Gustchen wird ganz verstoßen. Sein Vater will ihm gar keinen Unterhalt mehr geben. Wenn ich tagsüber auch lache, so muss ich in den Nächten doch viel weinen. Denn ein Kind ist mir ebenso lieb als das andere; ich habe sie alle unter meinem Herzen getragen, und die unglücklich sind, jammern einen am meisten.«
Doch Sophie, Nachfahrin Maria Stuarts, hatte gelernt, dass es sinnlos war, gegen das Unvermeidliche aufzubegehren. Sie wusste, dass wahre Größe darin bestand, auch die Unannehmlichkeiten des Lebens mit Fassung zu tragen, insbesondere, wenn es um die machtpolitischen Interessen des Fürstenhauses ging.
Diese Haltung versuchte sie auch Sophie Dorothea nahe zu bringen. Während langer Spaziergänge durch die Herrenhäuser Gärten schärfte sie ihrer Schwiegertochter ein, dass man sich der Rolle zu fügen habe, die einem durch die göttliche Vorsehung bestimmt war. Dabei wurde sie nicht müde, Sophie Dorothea endlose Vorträge über die Geschichte des englischen Königshauses zu halten. Über das große Unrecht, das vor hundert Jahren ihrer Urgroßmutter Maria Stuart widerfahren war. Über die heilige Verpflichtung, diese Schmach zu sühnen.
Zwischendurch pflegte sich die Fürstin bisweilen selbst zu unterbrechen, um auf den Gesang der Nachtigall oder ein Froschkonzert hinzuweisen. Und dann konnte es geschehen, dass sie jenseits aller Vernunft ihrer Begeisterung freien Lauf ließ. »Hör nur. Ist das nicht wunderschön, mein Kind?«
»Oh gewiss.«
Die Erwiderung der jungen Begleiterin fiel nie viel wortreicher aus – auch dann nicht, wenn die kluge Schwiegermutter ihr von der geplanten Umgestaltung des Großen Gartens erzählte. Nein, Sophie Dorothea hasste diese langen wie langweiligen Spaziergänge, vorbei an den kantigen Buchsbaumhecken und gestutzten Sträuchern und Bäumen, die starr wie Gardesoldaten in Reih und Glied standen. Sie hörte gar nicht hin, wenn der bunte Kies unter ihren Füßen knirschte und die Fürstin unaufhörlich auf sie einredete. Was interessierte sie denn auch das alles? Die Geschichte. Die Gartenkunst. Die hohe Politik. Am allermeisten langweilte sie die Philosophie dieses oberschlauen Herrn Leibniz, mit dem sich ihre Schwiegermutter so gern traf. Diese Lehre von den Monaden, in denen sich angeblich das Universum spiegelte, lief doch immer nur darauf hinaus, dass jeder Einzelne stets das Große und Ganze vor Augen haben müsse, dessen Teil er sei. Nein, das alles kam ihr so unmenschlich vor. Wenn sie das Wort »Monaden« hörte, musste sie immer an Maden denken.
Sie unterhielt sich lieber mit ihrer Kammerzofe Eleonore über die alten Zeiten in Celle und über den neuesten Hofklatsch, scherzte mit ihren Schwagern und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf das, was sich in ihrem Bauch tat. Ja, bald schon würde es so weit sein, bald würde sie Mutter werden – und bald schon würde der Vater ihres Kindes heimgekehrt sein aus dem Krieg. Doch ihre Wiedersehensfreude hielt sich in Grenzen.
Am 9. November 1683 brachte Sophie Dorothea ihr erstes Kind zur Welt. Acht Stunden kämpfte sie im Kindbett mit den Wehen. Vor großem Publikum. Neben zwei Hebammen und einem Leibarzt waren ihre Schwiegermutter, zwei Minister sowie mehrere Hofdamen, darunter ihr Edelfräulein Eleonore, zugegen. Die Geburt eines Kindes war zu jener Zeit an den Höfen Europas ein öffentlicher Vorgang. Denn unter allen Umständen sollte verhindert werden, dass einer Prinzessin oder Königin das Neugeborene geraubt und das Kind einer anderen Frau untergeschoben wurde.
Unter den teils besorgten, teils kritischen Blicken der Herbeigeeilten brachte Sophie Dorothea einen kräftigen Knaben zur Welt, der kurz vor Weihnachten auf den Namen Georg August getauft wurde und so die Namen beider Großväter erhielt.
Mit der Geburt des Stammhalters vollzog sich ein fast wunderbarer Wandel im Verhältnis zu ihrem Ehemann. Georg Ludwig, soeben heimgekehrt als Kriegsheld aus der siegreichen Schlacht gegen die Türken am Kahlenberg vor Wien, schwebte auf einer Wolke des Stolzes. In dieser Stimmung sah der Erbprinz jetzt auch seine Gemahlin in einem anderen Licht. Sie war nicht mehr der verwöhnte Bastard aus Celle, nicht mehr das Püppchen, sondern die Mutter seines Sohnes, und plötzlich begriff er, warum alle so von ihr schwärmten: Sophie Dorothea war eine schöne Frau. Und er verwöhnte sie mit Geschenken und Gunstbezeugungen, die ihm niemand zugetraut hätte. Es war, als habe ihn ein geheimer Zauber aus seiner hölzernen Schale befreit und den wahren Kern freigelegt.
Möglicherweise lag das jedoch nicht nur an der Geburt seines Sohnes. Seine Mätresse Maria, der er noch kurz zuvor ewige Treue zugesichert hatte, war nämlich mittlerweile aus seinem Gesichtskreis entfernt worden. Seine Mutter hatte dafür gesorgt, dass sie auch »Monplaisir«, das Lustschlösschen in Linden, räumen musste.
Auch die Fürstin verhielt sich Sophie Dorothea gegenüber rücksichtsvoller. Mochte ihre Abstammung noch so zweifelhaft, ihr Geblüt noch so fragwürdig sein: Jetzt war Sophie Dorothea die Gattin des Erbprinzen und die Mutter eines Sohnes. Alles andere hatte dahinter zurückzustehen.
Die Geburt des kleinen Prinzen wurde auch in Celle begeistert kommentiert. Viel häufiger als zuvor machten sich jetzt Herzog Georg Wilhelm und seine Frau Eleonore auf den Weg nach Hannover, um ihre Tochter und den kleinen Stammhalter zu besuchen.
Sophie Dorothea war selig: stolz auf ihren Sohn, erleichtert, von ihrem Mann endlich mit Wertschätzung bedacht zu werden, und glücklich, ihre Eltern wieder häufiger zu sehen.
Doch dieses Glück währte nicht lange. Ihr kleiner Sohn wurde, der Etikette entsprechend, unter der Regie der Schwiegermutter in die Obhut einer Amme gegeben. Sophie Dorothea sah ihn nur noch selten. Georg Ludwig kehrte zurück ins Feldlager und übernahm erneut Führungsaufgaben im Krieg gegen die Türken. Und auch die Besuche der Herzogin von Celle wurden bald wieder seltener. Die hohe Politik war dafür verantwortlich.
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