Leidenschaft war also sicher auch auf seiner Seite bei der Anbahnung der Verbindung mit Sophie Dorothea nicht im Spiel. Doch der Ehevertrag, der zwischen Hannover und Celle ausgehandelt werden sollte, tröstete ihn über die Vernunftehe hinweg, eröffnete er ihm doch die schönsten Aussichten. Denn der Herzog von Celle erklärte sich damit einverstanden, sieben Ämter seiner Grafschaft Hoya mit einem Jahresertrag von 50 000 Talern an Hannover abzutreten und seinen gesamten Besitz nach seinem Tode dem Ehemann Sophie Dorotheas zu vermachen. Darüber hinaus billigte Herzog Georg Wilhelm seiner Tochter eine einmalige Mitgift von 150 000 Talern und eine jährliche Rente von 10 000 Talern zu – eine Rente, über die in Wirklichkeit nur ihr Ehemann verfügen durfte. »Die Heirat interessiert ihn wenig, aber zehntausend Taler haben ihn überzeugt, wie sie wohl auch jeden anderen überzeugt hätten«, schrieb seine Mutter an ihre Nichte Liselotte. »Es ist eine bittere Pille«, hatte Sophie schon während der vorausgegangenen Verhandlungen in einem Brief an ihren Bruder geseufzt, »aber wenn sie mit 100 000 Talern vergoldet wird, macht man die Augen zu und schluckt sie herunter.«
Sophie Dorothea war einer Ohnmacht nahe, als ihr Vater sie an diesem Septembertag aufforderte, der Tante und künftigen Schwiegermutter die Hand zu reichen. Die Herzogin aus Hannover beobachtete das Familiendrama dagegen nahezu unbewegt. Peinlich berührt wandte sich die Fürstin ab, während Sophie Dorothea und ihre Mutter sich weinend in den Armen lagen.
Doch die Zeit trocknete die Tränen. Sophie Dorothea überwand ihren Widerwillen. Sie fügte sich in das Unvermeidliche. Nach einem Höflichkeitsbesuch von Georg Ludwig in Celle fand sie sich mit der Heirat schließlich ab. Innerlich gebrochen und vermutlich von ihrem Vater gezwungen, schrieb sie ihrer zukünftigen Schwiegermutter am 21. Oktober 1682 einen Brief, in dem sie sich allen Vereinbarungen unterwarf: »Ich habe so große Hochachtung vor meinem Herrn und Gebieter, dem Herzog, ihrem Gemahl, und vor meinem Herrn und Gebieter, meinem eigenen Vater, dass, welche Behandlung Sie auch immer geruhen mögen, mir zuteil werden zu lassen, ich mit allem zufrieden sein werde. Mögen ihre Herzogliche Gnaden überzeugt sein, dass Sie keine Schwiegertochter hätten finden können, welche ihre Pflichten besser kennte.«
Die Hochzeit wurde am 2. Dezember 1682 im Celler Schloss gefeiert – wie der französische Gesandte René Marquis de Arcy berichtete, »ganz im Stillen und fast ohne, dass es jemand wusste«.
Ein Sturm fegte über das Celler Schloss hinweg, während Sophie Dorothea an einem düsteren Dezembertag des Jahres 1682 mit Georg Ludwig vermählt wurde. Böse Zungen behaupteten später, selbst der Himmel habe gegen den Kuhhandel protestiert, der hier als Trauung gefeiert wurde.
Die Braut fühlte sich, als gehe sie ihrer eigenen Hinrichtung entgegen. Doch die Tränen wurden überpudert. Wie weiß gekalkt wirkte Sophie Dorotheas Gesicht auf die wenigen Augenzeugen.
Zu den Gästen zählte der französische Gesandte René Marquis de Arcy. Nach dem Bericht des Diplomaten fand die Eheschließung nicht etwa in der Schlosskapelle statt, sondern im purpurrot tapezierten Prunksalon der Prinzessin. Und gleich im Anschluss an die Trauung wurde das junge Paar zum Bett geleitet.
Wörtlich heißt es in dem Bericht, den der französische Gesandte am 4. Dezember 1682 seinem König Ludwig XIV. erstattete:
»Seit meiner Rückkehr von der großen Wildschweinjagd mit dem Herrn Herzog von Celle hat man an diesem Hof alle Sorgfalt und alle Gedanken angewandt für die Hochzeit der Prinzessin von Celle und dem erstgeborenen Prinzen von Hannover. Die Hochzeit selbst wurde vorgestern ausgeführt, und fast zur gleichen Zeit wurde die Ehe vollzogen. Es geschah ohne irgendeine Zeremonie und fast unbemerkt von der Außenwelt, so wie man es schon immer vermutet hatte. Denn vorgestern Abend, nachdem die Hoheiten von Celle und Hannover wie gewohnt soupiert hatten, zogen sie sich gegen 10 Uhr abends in ihre Gemächer zurück, um sich dann im Appartement der Prinzessin zu versammeln, wo sich ein Priester befand. Die Ehe wurde geschlossen in Gegenwart Ihrer Hoheiten von Celle und Hannover und der Herren Podewils (hannoverscher Heerführer und Mitglied des geheimen Rates) und Chauvet (der die gleichen Ämter in Celle innehatte) und einiger anderer Offiziere aus dem Gefolge, die man insgeheim benachrichtigt hatte, sich dort einzufinden. Endlich endete die Angelegenheit gegen 11 Uhr abends damit, dass man das Brautpaar zu Bett brachte. Gestern fand hier eine Art von kleinem Ballett zusammen mit einer Oper statt, um die Hochzeitsgäste zu erfreuen, und es wird ein ganz schönes Feuerwerk vorbereitet, das man, glaube ich, heute Abend abbrennen wird. Der Prinz von Hannover wird hier noch eine Weile mit seiner Frau, der Prinzessin, bleiben. Der Herzog und die Herzogin von Celle werden sie dann nach Hannover begleiten …«
Am 19. Dezember 1682 hielten die Jungvermählten Einzug in Hannover. Sie fuhren vor in einer cremefarbenen Staatskutsche, die von sechs Hengsten aus dem Celler Marstall gezogen wurde – eskortiert von einem Regiment der Kavallerie, begleitet von den Eltern Sophie Dorotheas, von Ministern wie dem Grafen Bernstorff, von Hofdamen, Pagen und hohen Beamten. Tausende säumten die Straßen Hannovers, um der Braut zuzujubeln.
Die unerwartete Herzlichkeit rührte die Erbprinzessin, und sie winkte zurück, entschlossen, das Beste aus dieser Ehe zu machen. Ein wenig Trost fand Sophie Dorothea auch darin, dass ihr persönliches Kammerfräulein, Eleonore von dem Knesebeck, sie nach Hannover begleiten durfte.
Nach der schlichten Eheschließung in Celle wurde die Hochzeit nun in Hannover in barocker Pracht gefeiert. Überliefert ist das Festgedicht, das der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz, ein guter Freund der Fürstin Sophie, verfasste und selbst vortrug. Es besteht aus 56 Zeilen und rühmt vor allem den hannoverschen Erbprinzen Georg Ludwig – als »würdigen Sohn eines Helden« und als »Neffen des Mars auf Erden«. In den letzten vier Zeilen heißt es:
»Europa verspricht sich von dieser großen Hochzeit die Früchte der Schönheit, die Auswirkungen des Mutes. Prinz, geliebt von den Himmeln, Euer Schicksal sei so lieblich, dass es die Könige, ja selbst die Götter eifersüchtig machen wird.«
Die Herzogin Sophie lauschte den Versen des großen Philosophen und Freundes voller Hingebung. Sophie Dorothea dagegen zeigte sich eher gelangweilt. Dabei fehlte es ihr an Bildung nicht. »Ihre reichen geistigen Anlagen, erweitert durch gute Lektüre und angeborene Lebendigkeit gehen bei ihr Hand in Hand mit glücklicher Erfindungsgabe, und der natürliche gute Geschmack, den sie besitzt, ist durch eine sorgfältige Erziehung noch verfeinert und gebildet«, schrieb das französischsprachige Gesellschaftsblatt »Mercure galant« nach ihrer Ankunft in Hannover. »Sie weiß über alles zu sprechen und geht gewandt auf jeden Gegenstand der Unterhaltung ein.« Auch die Schönheit der jungen Erbprinzessin wurde in dem Lobgesang gerühmt: »Sie hat kastanienbraunes Haar, ein niedliches Grübchen auf dem Kinn, einen glatten und schönen Teint und einen sehr schönen Busen.« Hervorgehoben wurde zudem, dass Sophie Dorothea eine »vortreffliche Tänzerin« sei, dass sie Cembalo spiele und den Gesang beherrsche.
Gleichwohl: Sophie Dorothea tat sich schwer am hannoverschen Hof. Sie bezog neben der Schlosskirche mit ihrem Angetrauten den finsteren Altbau des Schlosses, in dem sie einen kompletten Hofstaat vorfand – mit Kammerherren, Ehrendamen, Pagen und einem äußerst strengen Zeremoniell. Vor allem ihre Schwiegermutter achtete auf Etikette. Sophie Dorothea hatte ständig das Gefühl, etwas falsch zu machen. Bisher war sie es gewohnt gewesen, sich mit ihrer heiteren Art über die festen Regeln des Hoflebens hinwegzusetzen. Aber in Hannover war das unmöglich. Dauernd wurde sie von der Fürstin zurechtgewiesen. Ob sie es sich erlaubte, mit Menschen niederen Ranges zu plaudern oder an der herrschaftlichen Tafel zu gähnen, wenn sich das Mahl über fünf Stunden hinzog, stets war mit einer Zurechtweisung oder zumindest mit einem tadelnden Blick zu rechnen.
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