Besondere Verantwortung für Israel?
Frage: »Würden Sie sagen, Deutschland hat für das Schicksal Israels eine besondere Verantwortung, oder würden Sie das nicht sagen?«
Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage Nr, 11086
Die Umfrageergebnisse aus dem Jahr 2018 enthalten keine Hinweise auf eine ausgeprägte oder gar steigende Judenfeindlichkeit in der Bevölkerung, eher im Gegenteil: Bei einer Frage wurde eine Liste mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen vorgelegt. Die Befragten wurden gebeten anzugeben, welche dieser Personengruppen sie nicht gerne als Nachbarn hätten. 77 Prozent sagten daraufhin, sie würden nicht gerne neben Drogenabhängigen wohnen, 75 Prozent nannten Rechtsextremisten, 73 Prozent Leute, die oft betrunken sind, 56 Prozent Linksextremisten und immerhin 28 Prozent Muslime. Juden wollten dagegen nur 5 Prozent nicht als Nachbarn haben. Im Jahr 1991 waren es noch 12 Prozent gewesen. 24
ABBILDUNG 3
Eigenschaften von Juden und Muslimen
Frage: »Hier steht einiges, was uns andere Leute über Juden/Muslime gesagt haben. Welche Eigenschaften findet man denn Ihrer Ansicht nach besonders häufig bei Juden/Muslimen?« (Vorlage eines Kartenspiels) – Auszug aus den Angaben –
Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage Nr, 11086
Gehalten haben sich allerdings – vermutlich größtenteils im Unterbewusstsein – manche alten Klischees von den Eigenschaften von Juden. Dies zeigen die Antworten auf eine Frage, bei der die Interviewer insgesamt 22 Karten überreichten, auf denen Persönlichkeitseigenschaften standen. Eine Hälfte der Befragten wurde gebeten, die Karten auszusortieren, auf denen Eigenschaften standen, die man besonders häufig bei Juden fände. Die andere Befragtengruppe wurde aufgefordert, die gleichen Eigenschaften Muslimen zuzuordnen.
Der Vergleich zwischen den Juden und Muslimen zugeordneten Eigenschaften ist sehr aufschlussreich. Beide Gruppen wurden von einer deutlichen Mehrheit als religiös (Juden 72, Muslime 81 Prozent) und traditionsbewusst bezeichnet (Juden 65, Muslime 73 Prozent). Doch dass sie erfolgreich im Geschäftsleben seien, meinten 66 Prozent der Befragten von den Juden und nur 18 Prozent von den Moslems. Auch Intelligenz und Fleiß wurden Juden wesentlich häufiger als Moslems zugeschrieben, ebenso Geldgier und Raffgier, während umgekehrt Muslime deutlich häufiger als Juden als radikal, unversöhnlich und rücksichtslos beschrieben wurden ( Abb. 3).
Man kann nicht behaupten, dass die genannten Eigenschaften die Vorstellung der Juden bei den Deutschen dominieren, aber ein wenig schimmert in den Antworten der Befragten doch immer noch das Zerrbild vom gierigen, hinterhältigen Händler durch. Viele Befragte, die entsprechende Antworten geben, würden die Anschuldigung, sie hätten Vorurteile gegenüber Juden oder seien gar Antisemiten, empört und mit Recht zurückweisen. Doch Klischees dieser Art werden über Jahrhunderte tradiert und nisten sich ins Unterbewusstsein ein: Der stolze Spanier, der emotionale Italiener, der tiefsinnige Russe, der verschlagene Jude. Spuren dieser Vorstellungen finden sich in den Hinterköpfen vieler Bürger. Es bedarf vieler Zeit und Geduld, sie zu korrigieren.
Trotz solcher Spuren alter Vorurteile ist aber die Judenfeindlichkeit in Deutschland deutlich geringer als die Islamfeindlichkeit. Zählt man alle Prozentwerte der elf zur Auswahl gestellten negativen Eigenschaften zusammen und berechnet den Durchschnitt, erhält man bei Juden den Wert von 15, bei Moslems den von 27 Prozent ( Abb. 4).
So lässt sich also festhalten, dass der Antisemitismus in Deutschland trotz der Vorfälle in letzter Zeit, bezogen auf die Bevölkerung insgesamt, nicht zu-, sondern eher abgenommen hat. Das bedeutet aber nicht, dass er kein Problem wäre. Deswegen lohnt es sich, der Frage nachzugehen, in welchen Bevölkerungsgruppen der Judenhass oder die mit ihm verbundenen Klischeevorstellungen besonders stark vertreten sind.
Traditionell erwartet man, dass die Vorbehalte gegenüber Juden vor allem am rechten Rand des politischen Spektrums besonders stark sind. Andererseits ist in der öffentlichen Diskussion wiederholt darauf hingewiesen worden, dass auch bei der politischen Linken erhebliche antisemitische Affekte vorhanden seien, 25oft verknüpft mit antiamerikanischen Einstellungen. Dies mag in manchen intellektuellen Kreisen der Fall sein, doch insgesamt ist der Antisemitismus in der Tat vorwiegend ein Phänomen der politischen Rechten. Durchgängig zeigt sich in den Umfrageergebnissen, dass die Urteile über Juden bei den Anhängern der AfD deutlich negativer ausfallen als bei den Anhängern aller anderen Parteien. Ein Beispiel hierfür bietet eine Frage, bei der die Theorie von der ›jüdischen Weltverschwörung‹ in einer vorsichtigen Formulierung angesprochen wurde. Sie lautet: »Wenn jemand sagt: ›Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss.‹ Würden Sie sagen, das stimmt, oder das stimmt nicht?«
ABBILDUNG 4
Eigenschaften von Juden und Muslimen – Durchschnittswerte
Frage: »Hier steht einiges, was uns andere Leute über Juden/Muslime gesagt haben. Welche Eigenschaften findet man denn Ihrer Ansicht nach besonders häufig bei Juden/Muslimen?« (Vorlage eines Kartenspiels)
Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage Nr, 11086
22 Prozent der Befragten stimmten 2018 der These zu. Bei den Anhängern der Parteien schwankte der Wert zwischen 16 (SPD) und 20 Prozent (Die Linke). Lediglich die Anhänger der AfD fielen vollkommen aus dem Rahmen: Sie vertraten zu 55 Prozent die Ansicht, Juden hätten auf der Welt zu viel Einfluss. Hier trennt ein tiefer Graben die AfD-Anhänger von denen der anderen Parteien ( Abb. 5).
ABBILDUNG 5
Die ›jüdische Weltverschwörung‹
Frage: »Wenn jemand sagt: ›Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss.‹ Würden Sie sagen, das stimmt, oder das stimmt nicht?«
An 100 fehlende Prozent: Unentschieden Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage Nr, 11086
Auch bei einer analog formulierten Frage, ob Muslime auf der Welt zu viel Einfluss hätten, sonderten sich die AfD-Anhänger von den anderen Befragten ab: Sie stimmten zu 54 Prozent der These zu, während es bei den Anhängern der anderen Parteien zwischen 22 und 35 Prozent waren. Man erkennt, dass Judenfeindlichkeit heute in vielen Fällen mit Moslemfeindlichkeit einhergeht. Sie ist damit letztlich ein Aspekt allgemeiner Fremdenfeindlichkeit – wenn auch einer mit einer besonders langen und besonders grausamen Vorgeschichte.
1 Siehe z. B.: ANNETTE GROSSBONGART; TOBIAS RAPP; ANTONIA SCHÄFER: Der neue alte Hass. In: Der Spiegel , Nr. 42 vom 12. Oktober 2019, S. 18-21. RICHARD C. SCHNEIDER: »Diese lächerlichen Mahnwachen vor Synagogen«. In: Die Zeit , Nr. 43 vom 17. Oktober 2019, S. 2. FREIA PETERS: »Warum machen Leute sowas, Mama?« In: Welt am Sonntag Kompakt , Nr. 41 vom 13. Oktober 2019, S. 6-8.
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