Diese Verlegenheit entstand daher, dass er die Burgunder als hartnäckige, übelgesinnte und betrügerische Leute kannte, und er wusste sich auf keinen Menschen zu besinnen, den er für verschlagen und listig genug gehalten hätte, um sich auf ihn genugsam verlassen und ihn seinen Schuldnern entgegensetzen zu können. Wie er lange genug darüber nachgedacht hatte, erinnerte er sich endlich eines gewissen Ser Ciapperello da Prato, der oft in sein Haus in Paris zu kommen pflegte, und den die Franzosen Ciappelletto zu nennen gewohnt waren; denn weil er klein von Person und sehr zierlich und geschniegelt war, und weil die Franzosen nicht wussten, was Ciapperello bedeuten solle, sondern glaubten, er hieße vielleicht Capello (Kranz), welches in ihrer Sprache Chapelet heißt, so nannten sie ihn, weil er so klein war, nicht Capello, sondern Ciappelletto, und unter diesem Namen war er allgemein bekannt, da hingegen wenige seinen rechten Namen Ciapperello wussten. Mit der Lebensart dieses Ser Ciappelletto hatte es folgende Bewandtnis: Er war ein Notar, hätte sich aber gewaltig geschämt, wenn unter den wenigen Urkunden, die er ausfertigte, sich eine einzige richtige befunden hätte; aber solche zu fälschen war er jeden Augenblick bei der Hand und machte dergleichen lieber umsonst als eine echte für die beste Bezahlung. Falsches Zeugnis legte er mit dem größten Vergnügen ab, gebeten oder ungebeten, und da man zu der Zeit in Frankreich einem Eidschwur großen Glauben beimaß, so wurden alle Prozesse gewonnen, in welchen er zum Zeugen auf seinen Eid gerufen ward, weil es ihm nicht die geringste Überwindung kostete, einen Meineid zu schwören. Er gab sich auch viele Mühe und fand ein großes Vergnügen daran, Feindschaft und Verdruss in Familien und zwischen Freunden und andern Personen anzustiften, und je größer das Unglück war, das daraus entstand, desto größer war seine Freude. Ward er eingeladen, an einem Morde oder an einem andern Verbrechen teilzunehmen, so gab er nie eine abschlägige Antwort, sondern war mit dem größten Vergnügen dabei und hatte mit eigenen Händen manchen Menschen verwundet oder erschlagen. Er war der größte Lästerer Gottes und seiner Heiligen und fluchte und lästerte bei dem kleinsten Anlass, weil er ungewöhnlich jähzornig war. In die Kirche ging er nie, und ihre Sakramente verhöhnte er als verächtliche Dinge mit den abscheulichsten Ausdrücken. Dagegen war er nirgends lieber als in den Kneipschenken und an andern liederlichen Orten. Die Weiber liebte er wie der Hund den Knüppel, dem entgegengesetzten Laster aber war er mehr als irgendein anderer Lust- und Schandbube ergeben. Raub und Diebstahl beging er mit eben dem Gewissen, womit ein heiliger Mann seine Gabe auf dem Altar darbringen würde. Er war ein Fresser und Säufer bis zum ekelhaftesten Übermaß, und als falscher Spieler mit Karten und Würfeln war er berüchtigt. Mit einem Worte, er war vielleicht der größte Bösewicht, den jemals die Sonne beschienen hat. Die Macht und der Reichtum des Musciatto dienten ihm lange Zeit zur Stütze, und um seinetwillen fürchteten ihn oft diejenigen Privatpersonen, die er bisweilen beleidigte, und duldete ihn der Hof, dem er schon manchen Possen gespielt hatte. Wie sich demnach Musciatto dieses Ser Ciapperello erinnerte, dessen Lebenswandel ihm durch und durch bekannt war, so hielt er ihn eben für den rechten Mann, ihn der Arglist seiner Burgunder entgegenzusetzen. Er ließ ihn also rufen und sprach: „Ciappelletto, ich bin, wie du weißt, im Begriff, mich gänzlich von hier zu entfernen, und da ich unter anderem mit einigen Burgundern in Geschäften stehe, die ausgefeimte Spitzbuben sind, so weiß ich nicht, wen ich besser schicken kann als dich, um meine Forderungen von ihnen einzutreiben. Weil du nun eben nichts anderes zu tun hast, so will ich dir Geleitsbriefe vom Hofe verschaffen, wenn du dich dieser Sachen annehmen willst, und will dir von allem, was du mir einbringst, einen solchen Teil geben, dass du mit mir und dir zufrieden sein kannst.“
Ser Ciappelletto, dessen Geschäfte gerade schlecht gingen und der denjenigen abreisen sah, der lange Zeit sein einziger Stecken und Stab gewesen war, entschloss sich, von der Not gedrungen, kurz und gut, und gab seine Einwilligung. Wie sie einig waren, gab ihm Messer Musciatto seine Vollmacht und den Geleitsbrief des Königs, und Ser Ciappelletto ging nach Burgund, wo ihn fast niemand kannte, und fing an, wider seine Gewohnheit, mit Sanftmut und Geduld die Schulden einzufordern und die Geschäfte zu verrichten, um derentwillen er gekommen war, gleichsam als wolle er seine Bosheit bis zuletzt aufsparen. Wie er sich zu diesem Endzweck bei zwei Brüdern aus Florenz, die auf Wucher liehen und die ihn aus Achtung für Musciatto sehr gut aufnahmen, eingemietet hatte, traf es sich, dass er krank ward, weswegen die beiden Brüder sogleich Ärzte und Krankenwärter anschafften, die ihn bedienen mussten; allein es half nichts, sondern der Ehrenmann, der nicht mehr jung war und ausschweifend gelebt hatte, verfiel nach dem Urteil der Ärzte ersichtlich und eilte dem Tode entgegen, welches den beiden Brüdern sehr ungelegen war. Eines Tages unterredeten sie sich miteinander nahe der Kammer, wo Ciappelletto krank lag. „Was machen wir mit dem Kerl?“ fragte einer den andern. „Wir sind mit ihm schlimm daran, denn es wäre Sünde und Schande, ihn so krank aus dem Hause zu schaffen, nachdem die Leute gesehen haben, dass wir ihn bei gesunden Tagen gut aufgenommen und ihn hernach mit aller Sorgfalt haben pflegen lassen; und nun, da er uns keine Ursache zum Missvergnügen kann gegeben haben, sollten wir ihn plötzlich, und noch dazu todkrank, fortschicken? Andererseits aber ist er ein so gottloser Bursche gewesen, dass er jetzt nicht wird beichten oder irgendein Sakrament gebrauchen wollen, und wenn er ohne Beichte stirbt, so wird man seinen Leichnam in keiner Kirche aufnehmen, sondern ihn wie einen Hund in eine Grube werfen. Ja, wenn er auch beichtete, so sind seine Sünden so groß und abscheulich, dass es ihm nicht besser gehen wird, denn weder Mönch noch Priester werden ihn lossprechen wollen oder können, um zu verhüten, dass er nicht ebenso ohne Absolution auf den Anger geworfen werde. Wenn aber dieses geschähe, so würden die Leute in dieser Stadt (die uns nicht nur wegen unseres Gewerbes, das ihnen verhasst ist, Böses nachreden, sondern auch die größte Lust haben, uns bis aufs Hemd auszuplündern) einen Auflauf erregen, würden über die lombardischen Hunde schreien, welche die Kirche abgewiesen hat, und würden uns nicht länger das Brot gönnen, sondern uns das Haus stürmen und vielleicht nicht nur unsere Güter rauben, sondern auch unser Leben antasten, sodass es auf alle Weise misslich mit uns steht, wenn er sterben sollte.“ Ciappelletto, der wie gesagt nicht weit davon lag, wo jene miteinander flüsterten, hatte ein feines Gehör, wie es die Kranken oft haben, und verstand alles, was sie von ihm sprachen. Er ließ sie zu sich rufen und sagte zu ihnen: „Ich wünschte nicht, euch auf irgendeine Weise um meinetwillen in Verlegenheit zu wissen, oder euch die Besorgnis zu verursachen, dass ihr meinetwegen in Schande und Unglück geraten solltet. Ich habe alles gehört, was ihr von mir gesprochen habt, und ihr habt freilich Recht, dass es so kommen würde, wie ihr fürchtet, wenn das geschähe, was ihr voraussetzt; allein es soll schon anders gehen. Ich habe in meinem Leben an unserem Herrn Gott so vieles gesündigt, dass eine Sünde mehr oder weniger am Rande des Grabes nichts verschlimmern oder verbessern wird. Lasst mir demnach nur den frömmsten und besten Pater herkommen, den ihr finden könnt (wenn ein solcher zu haben ist), und lasst mich nur machen, so sollt ihr sehen, dass ich eure und meine Angelegenheit in Ordnung bringen will, wie sich‘s gebührt. Ihr sollt mit mir zufrieden sein.“ Die beiden Brüder bauten zwar nicht viel auf diese Versicherung, nichtsdestoweniger gingen sie nach einem Kloster und begehrten einen klugen und frommen Mann, um die Beichte eines Lombarden zu hören, der in ihrem Hause krank läge. Man gab ihnen auch einen alten Klosterbruder von sehr erbaulichem, frommem Wandel mit, einen in der Schrift wohlgelehrten und sehr ehrwürdigen Mann, der bei allen Bürgern in der Stadt in besonderem Ansehen und Hochachtung stand, und sie führten ihn nach ihrem Hause. Wie er in die Kammer des Ciappelletto kam und sich neben sein Bett gesetzt hatte, fing er zuerst an, ihn mit Sanftmut zu trösten, und fragte ihn dann, wie lange es wäre, seitdem er zum letzten Mal gebeichtet hätte.
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