»Boccaccio ist nicht nur ein amüsanter und brillanter Erzähler. Er ist schlechthin auf dem Gebiet der Novelle der größte Künstler der Weltliteratur.«
HERMANN HESSE
Obwohl Boccaccio den Inhalt vieler seiner Erzählungen aus dem Fundus der Weltliteratur, aus Fabeln, Parabeln und der mündlichen Tradition schöpfte, gelang ihm mit dem Dekameron ein absoluter Klassiker und neben seinem großen Vorbild der Geschichten aus 1001 Nacht die wohl bekannteste Geschichtenanthologie überhaupt. Die Rahmenerzählung ist schnell wiedergegeben: Die Pest wütet in Florenz, drei junge Männer und sieben junge Frauen fliehen auf einen idyllischen Landsitz. Um sich dort die Zeit zu vertreiben, erzählen sie sich Geschichten. Die hundert kleinen Erzählungen voller Witz, Liebe, Erotik und Phantasie sind heute genauso amüsant und lehrreich wie vor fast 700 Jahren.
Vollständige Ausgabe in der Übersetzung von Klabund
Giovanni Boccaccio
Das Dekameron
Giovanni Boccaccio
In der Übersetzung
von Klabund
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Einleitung von Klabund
Der erste Tag
Der zweite Tag
Der dritte Tag
An die Leserinnen
Der vierte Tag
Der fünfte Tag
Der sechste Tag
Der siebente Tag
Der achte Tag
Der neunte Tag
Der zehnte Tag
Nachschrift des Verfassers
Die Novelle ist aus dem Märchen, das Märchen aus dem Traum hervorgegangen. (In einigen Novellen des Decameron ist die Beziehung zwischen Novelle und Traum noch ganz deutlich; sechste Novelle des vierten Tages, siebte Novelle des neunten Tages.) Die Novelle darf an Charakter des Wunderbaren, Erstaunlichen nicht verlieren. Kobold, Elfe, Hexe, Dämon sind die bösen und guten Geister, die im unbewachten Traum aus der Tiefe der Menschenbrust steigen und im Märchen zu einer neuen Wirklichkeit verdichtet werden. Was Kobold und Dämon im Märchen, das wird, von Neuem sublimiert, in der Novelle zum Schicksal. Dieses Schicksal ist nichts anderes als die Ananke des griechischen Dramas. In der Tat ist die Novelle dem Drama ungleich näher verwandt als dem Roman, mit dem sie nur die äußere Form gemein hat. Nicht umsonst hat Shakespeare den Stoff zu vielen Dramen altitalienischen Novellen entnommen. Im Drama wie in der Novelle muss ein Menschenschicksal in einem Punkt kulminiert werden und sich himmlisch emporschwingen oder höllenhaft abstürzen. Das muss in der Novelle noch ungleich konzentrierter geschehen als im Drama. Die Novelle braucht eine (oder mehrere) Pointen. Sie ist der Unterbau der Pyramide, die über Anekdote, Epigramm im Witz gipfelt. Eine Novelle muss sich in These und Antithese derart zuspitzen, dass sie, paradox gesagt, ein Witz ist. Um ein klassisches Beispiel dafür zu wählen: die Novelle der Witwe von Ephesus des größten römischen Prosadichters Petronius, eines Zeitgenossen des Nero. Der Witwe von Ephesus haben sie ihren von ihr innig geliebten Mann gehängt. Sie kommt nachts an den Galgen und bittet den Wächter, ihr den Gatten zur Bestattung freizugeben. Erstes Spannungsmoment. Was wird geschehen? Der Wächter will ihr den Mann freigeben, trotz der Strafe, die ihm bevorsteht, wenn sie sich ihm dafür hingibt. – Der Leser hat diese Entwicklung geahnt. Der Leser muss in der Novelle immer den Weg ahnen, aber er darf ihn nicht wissen. Der Reiz der Ungewissheit muss bleiben. – Die Witwe gibt sich dem Soldaten hin, um den Leichnam zur Beerdigung zu erhalten. Der Soldat nimmt den Leichnam vom Galgen. Kulmination und Peripetie: Sie lernt den Soldaten noch in der gleichen Nacht lieben, und um ihn vor Strafe zu schützen, hängen sie gemeinsam den toten Gatten wieder am Galgen in die Schlinge. Das Leben ist mächtiger als der Tod.
Diese Novelle ist das klassische Beispiel einer vollkommen gebauten Novelle: Alles ist in ihr in höchster Konzentration enthalten: das Märchenhafte, die Dämonie des Schicksals und eine geradezu prachtvolle Peripetie. Petronius darf als der Vater der modernen Novelle gelten, die von Boccaccio auf ihren Gipfel geführt wurde, besonders im zehnten Buch des Decameron, in dem Boccaccio sein Thema, die Macht der Liebe von ihren primitivsten bis zu ihren höchsten Formen zu zeigen, gewaltig türmt und in den Novellen von Nathan und Mithridanes, Messer Gentile, Griselda, das Evangelium der reinsten Menschenliebe verkündet. Sie sind sämtlich genau so entwickelt und zur ersten geahnten, zur letzten überraschenden Peripetie (der Kulmination) geführt wie die oben zitierte Novelle des Petronius. Um die Novelle von Messer Gentile (die vierte des zehnten Buches) kurz zu skizzieren: Gentile liebt eine verheiratete Frau hoffnungslos. Sie stirbt. Um sie noch einmal zu sehen, geht er in die Grabkapelle, wo sie aufgebahrt liegt, und berührt zärtlich ihre Brust. Erstes Spannungsmoment: Er fühlt ihr Herz leise unter der Brust schlagen. Sie war nur scheintot! Zweites Spannungsmoment: Was geschieht? Er bringt sie in sein Haus, wo er sie, die jeder für tot hält, verbirgt. Drittes Spannungsmoment: Er lädt ihren Gatten und eine Anzahl Ritter ein, um ihnen das Liebste zu zeigen, was er besitzt. Er erzählt ihnen durch die Blume sein und seiner Geliebten Schicksal und fordert sie zu Richtern auf. Einstimmig geben sie der Meinung Ausdruck, dass dem Erwecker der Toten mit Recht die Frau gehöre. Ihr Gatte fällt den gleichen Spruch. Kulmination: Messer Gentile lässt die von ihm verborgen gehaltene Geliebte kommen – und gibt sie dem eigenen Gatten zurück.
Über den Titel des „Decameron“ haben, angeregt durch eine Stelle in der Einleitung zum vierten Buch, in der Boccaccio schreibt, er habe das Buch „senza titolo“ geschrieben, viele Gelehrte und Kommentatoren nachgedacht. „Senza titolo“ – was bedeutet das? Der Kommentar der Deputati (Florenz, Giunti 1573) meint: „ohne Namen eines Urhebers“, „ohne Autorenangabe“, also: anonym.
Dieser Meinung schließt sich Fiacchi an („Osservazioni sul Decameron“, Florenz 1821). Salviati (Rom 1582) behauptet: Senza titolo solle heißen: „niemandem gewidmet“, weil Boccaccio in seiner „Vita di Dante“ intitolare für „widmen“ gebraucht. In einem lateinischen Brief schreibt Boccaccio von jemandem, er sei dumm, roh, träge: sine titulo vivens: ohne Zweck und Absicht lebend. Daraus (und aus einer weiteren Stelle in Boccaccios Dante-Kommentar) ziehen Dionisi, Colombo und andere den Schluss, senza titolo wolle besagen: „Ohne eine bestimmte Absicht“, „ohne große Ambition“ habe Boccaccio das Buch geschrieben.
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