1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Suchen, suchen, spähen, spähen ,
einsam, einsam, Stille, Stille ,
frieren, frieren, Kummer, Kummer, Leid, Leid .
Bald warm, dann wieder kalt zur Zeit ,
wahrhaft schwer ist’s Ruh zu finden .
Drei Becher, zwei Schalen faden Weins ,
wie sollt er spät noch kommen, eilig wie der Wind?
Wildgänse ziehn ,
wirklich, tut weh im Herz .
Denn von früher her kannt ich sie noch .
Die Erde voll gelber Blüten, aufgetürmt ,
ausgezehrt, verwelkt .
Wer wollte sie jetzt noch pflücken?
So wach ich am Fenster ,
einsam und allein, wie kann es da dunkel werden?
Im Wutong-Baum hängt feinster Regen ,
bis zur gelben Dämmerung fallen, fallen Tropfen um Tropfen .
Dieser Zustand
ist durch ein Wort nur zu begreifen: Gram .
Sheng sheng man
1Zhong Jian. Die Dichterin Li Qingzhao . unter: China Heute , www.chinatoday.com. Juli 2004.
2Von Li Quinzhaos Hand sind 17 shi -Gedichte und etwa 60 ci -Lieder erhalten.
1Hans von Ess. »Die Literatur der Dynastien Song und Yaan«. in: Reinhard Emmerich (Hg.): Chinesische Literaturgeschichte . Stutt gart/Weimar: Metzler 2004. S. 187–224. hier: S. 205.
HĀFEZ (CHÂDĒ SHANSÒ D-DĪN MOHAMMAD)
(1326–1390)
Die Zunge der unsichtbaren Welt – Liebe und Wein in vollendeter Form
Hāfez gilt bis heute als der größte Lyriker, den die persische Sprache je gesehen hat. Sein Diwan 1gehört nicht nur zur Grundausstattung eines jeden iranischen Haushalts und wird – wie der Koran – zur Auslegung von Omen eingesetzt, sondern wird auch in der Türkei, in Afghanistan, Pakistan, Indien und Zentralasien hochverehrt. Die Gedichte des persischen Poeten, der etwa Johann Wolfgang Goethe (1749–1832) zutiefst beeindruckte 2, feiern bildstark und formvollendet den Wein und die Liebe und gehören unzweifelhaft zu den größten Texten der Weltliteratur.
Die Lebensumstände von Châdē Shansò d-Dīn Mohammad liegen zum Großteil im Dunkeln. Die beiden Ehrentitel Châdē (in etwa ›weiser, ehrwürdiger Lehrer‹) und Hāfez (›der im Gedächtnis Bewahrende‹, ›der den Koran auswendig weiß‹) verweisen auf die große Gelehrsamkeit des Dichters und legen nahe, dass er als Koranlehrer tätig war. Hāfez, im für seine intellektuelle und künstlerische Kultur gerühmten Schiras geboren, stammte aus einfachen Verhältnissen, erhielt aber offenbar dennoch eine exzellente Ausbildung (wohl auf Betreiben der Mutter, da der Vater des Dichters früh verstarb). Bis zum Alter von mindestens dreißig Jahren arbeitete Hāfez als Berufsschreiber (einige Handschriften sind überliefert), danach war er als Professor an einer theologischen Akademie ( Madrase/Medrese ) tätig und verfasste vermutlich einige theologische Werke. Schließlich jedoch erlangte Hāfez, der im fruchtbaren kulturellen Klima seiner geliebten und vielbesungenen Heimatstadt in seinem Element war, die Position des Hofdichters am Hof der Mosaffariden-Herrscher in Schiras. Schnell jedoch wurde der Poet Opfer der bewegten politischen Zeit 1; schon 1369 wurde Hāfez auf Verlangen des zelotischen Klerus und der mit diesem verbündeten Polizei vom Hof verbannt (der freie Moralkodex des Dichters und die offenen, scharfen Angriffe gegen die Heuchelei und Korruption der Geistlichkeit in seinen Versen machten Hāfez nicht gerade beliebt). Zwar wuchs der Ruhm des großen Lyrikers auch nach dieser Zeit und verbreitete sich über die Grenzen Persiens hinaus 2, aber seine wortgewandten poetischen Klagen über sein Schicksal sowie die ebenso beredten Bitten um erneute fürstliche Gunst trafen auf taube Ohren. Erst kurz vor seinem Lebensende wurde es Hāfez, der bis dahin relativ zurückgezogen in Schiras lebte, erlaubt, an das von ihm so vermisste kulturelle Zentrum des königlichen Hofes zurückzukehren.
Seiner Position als Hofdichter entsprechend, ist ein Großteil von Hāfez’ Dichtung dem Fürstenlob gewidmet und besingt Schiras und seine ›Großen und Schönen‹. Doch Hāfez verwandelte die Panegyrik (Lobdichtung) in eine Dichtkunst ganz eigener Prägung, indem er das der erotischen, hedonistischen und Liebesdichtung vorbehaltene Ghasel zu seiner Form erkor. Das Ghasel ist ein Gedicht von beliebiger Länge, das dem Reimschema aa ba ca da etc. folgt und aus in sich abgeschlossenen Doppelversen ( bayt , d. i. ›Haus‹) besteht, die in sich, oft antithetisch oder kontrapunktisch, einen bestimmten Gedanken verhandeln. Diese dialektische Struktur kommt Hāfez’ »skeptischer Beweglichkeit« (Goethe) zwischen den Gegensätzen entgegen, zwischen Gefühl und Intellekt, Diesseitigkeit und Jenseitigkeit, Hedonismus und Gelehrsamkeit, Schmerz und Glück – Dichotomien, die Hāfez in seiner wort-, gedanken- und gefühlsmächtigen Dichtung letztendlich zu einer schwebenden Synthese bringt. Über die unendliche Variation seiner beiden Zentralmotive, der Liebe und dem Wein, gibt Hāfez fundamental menschlichen Erfahrungen poetische Gestalt, von dem Sehnen nach der Verschmelzung mit dem Göttlichen bis hin zum puren Lebensgenuss – und dies oft in ein und demselben Atemzug:
Es stirbt der Durst, wenn du ihn stillst im Weine ;
und Liebe, die gesättigt wird, ist keine .
Wenn du erfliegen dürftest deine Sonne ,
wie sonntest du dich dann in ihrem Scheine?
Hāfez nutzt die erotischen, ja, bacchantischen Metaphern des Ghasels, um aus seinen Lobgedichten, in denen der Gelobte so zum Geliebten wird, Texte von universaler Gültigkeit und zeitloser Schönheit zu machen. Er schöpft den Bilderreichtum des Farsi (Neupersisch) – der hohen Literatursprache, die zu Hāfez’ Zeit und durch ihn zu ihrem Höhepunkt fand – und all seine vielfältigen sprachlichen Möglichkeiten 1voll aus, ja, bereicherte diese Sprache durch seine Poesie, die seit Jahrhunderten kulturelles Allgemeingut ist, noch weiter. Die Freiheit des Liebeswie des Weinrausches, die so viele von Hāfez’ Versen inhaltlich dominiert, prägt auch die Form seiner Gedichte und schlägt sich in gewagten Wortkunststücken, unorthodoxen Kombinationen poetischer Bilder, geistreichem Sprachwitz, spielerischen Zitaten aus der traditionsreichen persischen Dichtung und der antithetischen Struktur seiner Dichtung nieder. Die resultierende Vielschichtigkeit seiner Texte hat zu einigen Kontroversen bezüglich der Interpretation dieser einmaligen lyrischen Schöpfungen geführt. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Frage, ob seine sinnlichen Gedichte, die nicht selten den Geliebten und Gott gleichsetzen, mystizistisch zu deuten sind, als eine Poetisierung der sufischen Sehnsucht nach der Auflösung im Göttlichen. Während manche Forscher der Meinung sind, Hāfez’ Gedichte könnten ohne Berücksichtigung sufischen (d. i. islamisch-mystischen) Gedankenguts nicht voll verstanden werden – der Dichter war vermutlich Mitglied eines Sufi-Ordens –, verweisen andere auf die deutliche Kritik, der der Sufismus in Hāfez’ Versen nicht selten unterzogen wird, und sehen in der Gleichsetzung des Geliebten mit Gott vielmehr eine poetische Überhöhung menschlicher Liebe. Letzten Endes jedoch werden derartige Einengungen – egal, in welche Richtung sie erfolgen – der Vielschichtigkeit Hāfez’ und der so charakteristischen steten Schwebe, in der er seine Gedichte belässt, nicht gerecht. Diese Ambivalenz schließt die geschlechtliche Unbestimmtheit der/des Geliebten ein (das Persische hat nur ein unbestimmtes Pronomen für die dritte Person Singular), die aber durchaus auch ins Homoerotische umschlagen kann. Auch Gottes- und Menschenliebe erfährt keine Unterscheidung bei dem großen Perser; während die eine versinnlicht und erotisiert wird, wird die andere vergeistigt überhöht. Für Hāfez, der im Iran die ›Zunge der unsichtbaren Welt‹ genannt wird, ist letzten Endes alles Eins: Menschliches und Göttliches, Todesnähe und Lebensgenuss, Trunkenheit und Erleuchtung, Leben und Kunst.
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