Der Mann hatte einen alten Großvater im Haus, der war schwach und zittrig. Da er sonst nichts mehr tun konnte, stellte er ihn an, Geldstücke aus dem Faß zu schaufeln, und wenn der alte Großvater müde war und nicht mehr konnte, ward er böse und schrie ihn zornig an, er sei nur faul und wolle nicht. Eines Tages aber verließen den Alten die Kräfte. Er fiel in das Faß und starb. Schon war das Geld verschwunden, und das ganze Faß füllte sich mit toten Großvätern. Die musste der Mann nun alle herausziehen und begraben lassen, und dafür brauchte er das ganze Geld, das er bekommen hatte, wieder auf. Und als er fertig war, zerbrach das Faß, und er war wieder arm wie zuvor.
6. Das Glückskind und das Unglückskind
Es war einmal ein stolzer Fürst, der hatte eine Tochter. Die Tochter aber war ein Unglückskind. Als die Zeit herangekommen war, da sie heiraten sollte, da ließ sie alle Freier sich vor ihres Vaters Schloss versammeln. Sie wollte einen Ball von roter Seide unter sie werfen, und wer ihn fing, der sollte ihr Gatte werden. Da waren nun viele Fürsten und Grafen vor dem Schloss versammelt. Mitten unter ihnen stand aber auch ein Bettler. Und die Prinzessin sah, dass ihm Drachen zu den Ohren hinein krochen und zur Nase wieder herauskamen; denn er war ein Glückskind. Da warf sie den Ball dem Bettler zu, und er fing ihn auf.
Erzürnt fragte ihr Vater: »Warum hast du den Ball dem Bettler in die Hände geworfen?«
»Er ist ein Glückskind«, sagte die Prinzessin, »ich will ihn heiraten, vielleicht bekomme ich dann Teil an seinem Glück.«
Der Vater aber wollte das nicht leiden, und als sie standhaft blieb, da trieb er sie im Zorn aus dem Schlosse.
So musste die Prinzessin mit dem Bettler ziehen. Sie wohnte mit ihm in seiner kleinen Hütte und musste Kräuter und Wurzeln suchen und selber kochen, damit sie nur etwas zu essen hatten, und oftmals hungerten sie auch beide.
Eines Tages sprach der Mann zu ihr: »Ich will ausziehen und mein Glück versuchen. Wenn ich’s gefunden habe, will ich wiederkommen und dich holen.« Die Prinzessin sagte ja, und er ging weg. Achtzehn Jahre blieb er weg. Und die Prinzessin lebte in Not und Kümmernis; denn ihr Vater blieb hart und unerbittlich. Wenn ihre Mutter nicht im Stillen ihr Geld und Nahrung zugesteckt, so wäre sie wohl gar Hungers gestorben in der langen Zeit.
Der Bettler aber fand sein Glück und wurde schließlich Kaiser. Er kam zurück und trat vor seine Frau. Die aber kannte ihn nicht mehr. Sie wußte nur, dass er der mächtige Kaiser war.
Er fragte sie, wie es ihr gehe.
»Warum fragt Ihr mich, wie es mir geht?« erwiderte sie. »Ich bin doch viel zu gering für Euch.«
»Und wer ist denn dein Mann?«
»Mein Mann war Bettler. Er ging hinweg, sein Glück zu suchen. Nun sind es schon achtzehn Jahre, und er ist immer noch nicht zurück.«
»Was tust du denn in dieser langen Zeit?«
»Ich warte auf ihn, bis er wiederkommt.«
»Willst du nicht einen anderen zum Manne nehmen, da er so lange ausbleibt?«
»Nein, ich bleibe seine Frau bis in den Tod.«
Als der Kaiser die Treue seiner Frau sah, da gab er sich ihr zu erkennen, ließ sie in prächtige Gewänder kleiden und nahm sie mit sich in sein Kaiserschloß. Da lebten sie nun herrlich und in Freuden.
Nach einigen Tagen sprach der Kaiser zu seiner Frau: »Wir leben jeden Tag so festlich, als wenn Neujahr wäre.«
»Sollen wir nicht festlich leben«, sprach die Frau, »da wir doch Kaiser und Kaiserin sind?« —
Die Frau war aber doch ein Unglückskind. Als sie achtzehn Tage Kaiserin gewesen war, da ward sie krank und starb. Der Mann aber lebte noch lange Jahre.
Vor langen Zeiten lebten einmal ein König und eine Königin, die hatten eine Tochter. Eines Tages ging die Tochter im Garten spazieren. Da erhob sich plötzlich ein sehr großer Sturm, der sie mit sich führte. Der Sturm kam aber vom neunköpfigen Vogel. Der raubte die Prinzessin und brachte sie in seine Höhle. Der König wußte nicht, wohin seine Tochter verschwunden war. So ließ er im ganzen Lande ausrufen: »Wer die Prinzessin wiederbringt, der soll sie zur Frau haben.«
Ein Jüngling hatte den Vogel gesehen, wie er die Königstochter in seine Höhle trug. Die Höhle war aber mitten an einer steilen Felswand. Man konnte von unten nicht hinauf und von oben nicht hinunter. Wie er nun um den Felsen herumging, da kam ein anderer, der fragte, was er da tue. Er erzählte ihm, dass der neunköpfige Vogel die Königstochter geraubt und in die Berghöhle hinaufgebracht habe. Der andere wußte Rat. Er rief seine Freunde herbei, und sie ließen den Jüngling in einem Korb zur Höhle hinunter. Wie er zur Höhle hineinging, da sah er die Königstochter dasitzen und dem neunköpfigen Vogel seine Wunde waschen; denn der Himmelhund hatte ihm den zehnten Kopf abgebissen, und die Wunde blutete immer noch. Die Prinzessin aber winkte dem Manne zu, er solle sich verstecken. Das tat er auch. Der Vogel fühlte sich so wohl, wie die Königstochter ihm die Wunde wusch und ihn verband, dass alle seine neun Köpfe einer nach dem anderen einschliefen. Da trat der Mann aus dem Versteck hervor und hieb ihm mit einem Schwert alle seine Köpfe ab. Dann führte er die Königstochter hinaus und wollte sie in dem Korb hinauf ziehen lassen. Die Königstochter aber sprach: »Es wäre besser, wenn du erst hinaufstiegst und ich nachher.«
»Nein«, sprach der Jüngling. »Ich will hier unten warten, bis du in Sicherheit bist.«
Die Königstochter wollte anfangs nicht; doch ließ sie endlich sich überreden und stieg in den Korb. Vorher aber nahm sie einen Haarpfeil, brach ihn in zwei Teile, gab ihm den einen und steckte die andere Hälfte zu sich. Auch teilte sie mit ihm ihr seidenes Tuch und sagte ihm, er solle beides wohl verwahren. Als aber jener andere Mann die Königstochter heraufgezogen hatte, da nahm er sie mit sich und ließ den Jüngling in der Höhle, wie er auch rief und bat.
Der Jüngling ging nun in der Höhle umher. Da sah er viele Jungfrauen, die hatte alle der neunköpfige Vogel geraubt, und sie waren hier Hungers gestorben. An der Wand hing ein Fisch, der war mit vier Nägeln angenagelt. Als er den Fisch berührte, verwandelte sich der in einen schönen Jüngling. Er dankte ihm für seine Rettung. Sie schlössen Brüderschaft fürs Leben. Allmählich bekam er grimmigen Hunger. Er trat vor die Höhle, um Nahrung zu suchen, aber da waren überall nur Steine. Da sah er plötzlich einen großen Drachen, der an einem Steine leckte. Das tat der Jüngling auch, und alsbald hatte er keinen Hunger mehr. Nun fragte er den Drachen, wie er von dieser Höhle fortkommen könne. Der Drache neigte seinen Kopf zum Schwanz und deutete ihm an, dass er sich darauf setzen solle. Er stieg nun auf den Schwanz des Drachen, und im Umsehen war er unten auf der Erde, und der Drache war verschwunden. Er ging nun weiter, da fand er eine Schildkrötenschale voll von schönen Perlen. Es waren aber Zauberperlen. Wenn man sie ins Feuer warf, so hörte das Feuer auf zu brennen; wenn man sie ins Wasser warf, tat sich das Wasser auf, und man konnte hindurchgehen. Er nahm die Perlen aus der Schildkrötenschale heraus und steckte sie zu sich. Nicht lange danach kam er an den Strand des Meeres. Er warf eine Perle hinein; da teilte sich das Meer, und er erblickte den Meerdrachen. Der rief: »Wer stört mich hier in meinem Reich?« Der Jüngling sprach: »Ich habe Perlen gefunden in einer Schildkrötenschale und habe sie ins Meer geworfen, da hat das Wasser sich mir aufgetan.«
»Wenn es so ist«, sagte der Drache, »so komm zu mir ins Meer, da wollen wir miteinander leben.« Da erkannte er, dass es derselbe Drache war, den er in jener Höhle gesehen. Auch der Jüngling war da, mit dem er Brüderschaft geschlossen. Es war des Drachen Sohn.
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